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Die Erbschaft als Prozess - vom emotionalen Ballast zum bewussten Vermögensmanagement

Sven Ebert

Einleitung

Auf den Tod eines geliebten Menschen kann man sich schwerlich vorbereiten. Egal ob unerwartet oder am Ende einer langen Krankheit – Abschied nehmen von einem nahestehenden Menschen löst Trauer aus. Falls mit dem Trauerfall eine Erbschaft verknüpft ist, können noch Schuldgefühle aufgrund neu gewonnenen, aber nicht selbst erarbeiteten Reichtums dazukommen. In einer solchen Ausnahmesituation wohlüberlegte Entscheidungen zu treffen, ist schwer.

Erben und Vererbende sollten daher frühzeitig den Austausch zum Vermögensübergang suchen. Ein Dialog erhellt die Erwartungen, beugt einem Gefühl des Unwissens und der Überforderung auf Seiten der Erben vor und hilft Erblassern dabei, ihr Vermächtnis in guten Händen zu wissen. Erben bleibt so kein singuläres Ereignis, sondern wird zu einem Prozess.

Die Ausgangslage

In Deutschland finden rund 600.000 generationenübergreifende Erbschaften pro Jahr statt. Je ein Drittel entfällt auf Vermögen unter 25.000 Euro, zwischen 25.000 und 150.000 Tausend Euro und auf mehr als 150.000 Euro. Da jeder dritte vererbte Euro auf die zwei Prozent größten Erbschaften entfällt, werden im Schnitt rund 180.000 Euro an den einzelnen Erben vererbt.1

Die Verwendung unterscheidet sich dabei von anderen Einmalzahlungen wie z.B. Lottogewinnen. Die Sparraten liegen deutlich höher. Dies liegt daran, dass die bereits erwähnten Schuldgefühle einen rein konsumorientierten Umgang mit dem Erbe hemmen. Konsumscham nach einem Trauerfall, Aufschiebung der Entscheidung über die Verwendung oder auch ein „Reinwaschen“ des Erbes durch „sinnvolle“ Nutzung sind Ausdruck dieses Verhaltens.2

Schuldgefühle schützen den Einzelnen also vor allzu verschwenderischem Konsum. Dauerhaft passives und lediglich auf moralischer Rechtfertigung aufgebautes Handeln kann jedoch kaum nachhaltig zufriedenstellen. Langfristiges Ziel eines Erben sollte das Überkommen der eigenen Schuldgefühle und ein (selbst-)bewusster Umgang mit dem Erbe sein.

Emotionale Herausforderungen

Die Quelle der in Erben ausgelösten Schuldgefühle beschreibt der amerikanische Sozialwissenschaftler Paul G. Schervish treffend:

„The great American sin is having advantage without earning it.”3

Neben der „Sünde“ des nicht selbst erarbeiteten Vorteils, muss gleichzeitig mit dem Verlust eines nahestehenden Menschen umgegangen werden. Um beides zu verarbeiten, durchlaufen Erben laut der Autorin Ann Perry nacheinander sechs Phasen. Diese sind mit den fünf Phasen der Trauer der Psychiaterin Elizabeth Kuebler-Ross eng verwandt:4

  1. Unglaube: die Ablehnung des Geschehenen. Im Falle des Tods der Eltern, versucht der Erbe an seinem Status als Kind festzuhalten.
  2. Wut: das Gefühl allein gelassen zu werden. Im Falle nicht ausreichender Kommunikation im Vorfeld der Erbschaft verstärkt die Unklarheit über die Vorstellungen des Erblassers das Gefühl.
  3. Euphorie: Entdeckung der neuen finanziellen Möglichkeiten. Teilweise exzessives Ausgeben der Erbschaft, weil man sich z.B. nach Jahren der Pflege eines Angehörigen etwas gönnen möchte. Manchmal findet keine Entwicklung über diese Phase hinaus statt und das Erbe wird vollständig „verkonsumiert“.
  4. Schuld: Das Erbe fühlt sich „unverdient“ an. Das zusätzliche Vermögen wurde nicht selbst erarbeitet.  Um es zu erlangen, musste ein anderer Mensch sterben. Bei Entscheidungen steht die Frage im Vordergrund, ob der Erblasser diese gebilligt hätte.
  5. Lähmung: Aus Unklarheit über die Wünsche des Erblassers und der Angst etwas „falsch“ zu machen, wird oft jahrelang nichts mit dem Erbe getan. Bargeld bleibt auf einem Geldmarktkonto; Ferienwohnungen werden nicht mehr genutzt und verfallen.
  6. „Heirworthy“ (das Gefühl, des Erbes wert zu sein): Die Trauer verebbt und die Dankbarkeit gegenüber dem Erblasser steht im Mittelpunkt. Zentrale Erkenntnis des Erben ist, dass die geerbten Vermögensgegenstände für den Erblasser sinnvoll gewesen sein mögen, aber nicht unbedingt den eigenen Bedürfnissen bzw. derer der nachfolgenden Generation entsprechen. Falls nötig wird die Erkenntnis zur aktiven Umstrukturierung des Nachlasses genutzt. Man wird vom passiven Erben zum aktiven Nachlassgestalter.

Ziel eines Erben sollte es stets sein, Trauer und Schuldgefühle hinter sich zu lassen und die Phase zu erreichen, in der er sich des Erbes wert fühlt. Dort angekommen hat man ein gesundes Verhältnis zu seinen neuen Lebensverhältnissen entwickelt und blickt optimistisch in die Zukunft. Man hat sich von der „Sünde“ des nicht selbst erarbeiteten Vermögenszuwachses emanzipiert.

Sorgen der Erblasser

Größte Sorge der Erblasser sind - ihrer Ansicht nach - bestehende Defizite der Erben mit dem Nachlass verantwortungsvoll umzugehen. Laut einer Studie der Bank of America unter Personen mit großen Vermögen („High Net Worth Individuals“)5 trauen nur vier von zehn Eltern ihren Kindern zu, verantwortungsvoll mit dem Familienvermögen umzugehen. Von ihren Enkeln sind sie noch weniger überzeugt. Nur einer von fünf traut diesen einen guten Umgang zu.6

Grundsätzlich gehen Menschen sehr vernünftig mit Erbschaften um.7 Sofern ein Unternehmen vererbt wird, ist die Angst der Erblasser jedoch nicht von der Hand zu weisen: Eine Studie zu amerikanischen Familienunternehmen aus dem Jahr 1987 zeigt, dass nur 30 Prozent der Betriebe die zweite Generation und nur 13 Prozent die dritte Generation der Eigentümerfamilien überleben. In der vierten sind es nur noch 3 Prozent.8 Als Hauptgrund wird ein Mangel an Planung genannt. Dies beinhaltet explizit eine fehlende Strategie zur Übergabe des Unternehmens an die nächste Generation. Es passt ins Bild, dass die Bewahrung des Status Quo in weiteren Studien als einer der Gründe für ein Scheitern von Familienunternehmen gesehen wird.9 Die oben erwähnte Lähmung, welche bei Immobilien oder Geld-Erbschaften für eine Bewahrung der Vermögenswerte sorgt, führt bei der Übernahme eines Unternehmens nicht selten zu Stillstand, der die Existenz des Betriebs bedroht.

Weitere Gründen für den Misserfolg beim Generationenübergang sind, dass familiäre Beziehungen die Geschäftstätigkeit erschweren und der Pool an Führungstalenten nur auf den Familienkreis begrenzt ist. Beides sind für sich genommen valide Einzelargumente. Sie könnten aber auch auf mangelnde Kommunikation zwischen den Generationen zurückgeführt werden. Dazu passt, dass nur 64 Prozent der Befragten im Jahr 2016 angaben, mit ihren Nachkommen über ihre Vermögensverhältnisse gesprochen zu haben.10

Trotz aller Bedenken bleibt es für drei von vier Befragten der über Siebzigjährigen (Silent-Generation)11 wichtig, eine Erbschaft zu hinterlassen. Sie planen 8,5 von zehn Dollar an ihre Familien zu vererben.

Zwei Wege – zwei Gemeinsamkeiten

Zwei Beispiele zeigen, wie unterschiedlich man den Vermögensübergang auf die nächste Generation organisieren kann: Der Mehrheitseigner des Luxusgüter-Konzerns LVHM Bernard Arnault nahm seine Tochter Delphine bereits im Alter von 10 Jahren mit, wenn er Ladengeschäfte seiner Marke Dior besuchte. Heute arbeiten alle fünf Kinder an verschiedenen Stellen im Unternehmen. Auch wenn der Vater die Kinder nie gezwungen hat ins Unternehmen einzusteigen, so ist die heutige Situation wohl wesentlich auf seinen Einfluss zurückzuführen. Oder wie sein Sohn Frédéric sagt:

“He found a way to make me want to give my life to the family business like he did.”12

Der Investor Warren Buffett hat einen anderen Ansatz für seine Kinder:

“I’ve seen people try to steer their children, and the worst thing you could do is use money to induce given behavior with kids,”13

Und weiter:

“I told my kids they don’t have to do anything ... finish college, become doctors or lawyers. ... I told them to use their talents in whatever form they think will create the greatest net benefit to society.”14

In der Konsequenz ist ein Sohn Musiker und Autor und der andere Landwirt. Seine Tochter arbeitet hauptsächlich als Philanthropin. Gleichzeitig hat er aber nicht vor sein gesamtes Vermögen an seine Kinder weiterzugeben:

“You should leave your children enough so they can do anything, but not enough so they can do nothing.”15

Den Rest seines Vermögens möchte er der Stiftung von Bill Gates hinterlassen, was auch seinen Kindern bekannt ist.

Diese beiden recht unterschiedlich anmutenden Konzeptionen haben zwei Gemeinsamkeiten: Erstens die offene Auseinandersetzung mit der eigenen finanziellen Situation und zweitens die Weitergabe von Werten, also ein Nachlass, der über das Finanzielle hinausgeht.

Ratgeber über Nachlassplanung unterstützen dieses Verhalten.16 Für alle die etwas zu vererben haben und alle die eine Erbe erwarten gilt: frühzeitig miteinander sprechen. Erbschaften sollten ein Prozess und kein singuläres Ereignis sein. So entsteht Klarheit über die Gedanken, Motive und etwaigen Wünschen des Vererbenden. Das Gefühl von Schuld auf Seiten der Erben wird gemindert. Das Erbe erreicht sie nicht aus heiterem Himmel und sie sind sich im Klaren über die damit verbundenen Intentionen.

Der Erbfall

Wie wir gesehen haben, empfiehlt sich rechtzeitiger Austausch über die gegenseitigen Erwartungen. Für den Tag, an dem man dann wirklich als Erbe dasteht, existieren unter Experten anerkannte Verhaltensregeln:

  1. Keine großen Entscheidungen übers Knie brechen: Entscheidungen, die potentiell die nächsten 10 bis 15 Jahre beeinflussen, sollten nicht innerhalb weniger Tage oder gar Stunden getroffen werden. Insbesondere dann nicht, wenn einen Dritte dazu drängen. Dies gilt für die finanziellen Angelegenheiten genauso wie für Arbeitsplatz und Wohnort.
  2. Der Versuchung widerstehen Teile des Erbes aufgrund von Schuldgefühlen zu verschenken: Spenden an wohltätige Organisationen können eine gute Verwendung für Erbschaften sein. Geschieht dies aber reflexartig (siehe auch 1.), um die eigenen Schuldgefühle zu beruhigen, ist die Gefahr groß, die eigene Großzügigkeit später zu bereuen.
  3. Sicherstellen, dass Immobilien und physische Erbstücke versichert bzw. sicher aufbewahrt sind. Das gibt die nötige Ruhe, sich über deren Verwendung klar zu werden.
  4. Zeit nehmen, die Trauer zu verarbeiten. Man vermeidet emotionale Überreaktionen.
  5. Sich etwas vom Erbe gönnen: Ein fest definiertes Budget zwischen fünf und zehn Prozent des Erbes egoistisch zu nutzen, dient als Ventil gegen unkontrollierten Konsumrausch, der droht, wenn man vollständigen hedonischen Verzicht versucht.
  6. Experten zu Rate ziehen. Insbesondere komplexe Erbschaften sollten mit Steuerberatern, Gutachtern und Finanzberatern besprochen werden. Für guten Rat zu bezahlen, ist oft sinnvoll. Man sollte jedoch stets hinterfragen, ob der Preis für die in Anspruch genommene Dienstleistung angemessen ist.
  7. Die eigene Nachlassplanung angehen: Mit den neuen finanziellen Möglichkeiten ergibt sich Regelungsbedarf. Ein gut durchdachter Nachlass ist ein Geschenk an sich.

Fazit

Eine Erbschaft ist ein einmaliger Vorgang. Erben, beginnt im Idealfall aber weit vor dem Tag der Erbschaft. Je unvorbereiteter uns eine Erbschaft erreicht, umso größer ist das Risiko in eine Schockstarre zu verfallen und von Schuldgefühlen übermannt zu werden. Man sollte daher frühzeitig über den (generationenübergreifenden) Vermögensübergang sprechen.

Erblasser sollten sich bewusst sein, dass ein Nachlass mehr als nur finanzielles Vermögen ist. Er ist mit Werten und Lebensanschauungen verbunden. Insbesondere den eigenen Kindern hilft es über die Vorstellungen und Erwartungen der Eltern im Bilde zu sein. Auf einem Verständnis für das Vermächtnis lässt sich die Verwendung leichter aufbauen. Und den Eltern gibt es das beruhigende Gefühl, mehr als „nur“ Geld zu vererben und das Vermächtnis in guten Händen zu wissen.

Ist der Erbfall eingetreten lautet die wichtigste Regel „Ruhe bewahren“. Bis man seine komplexen Emotionen unter Kontrolle hat, trifft man am besten keine grundlegenden Entscheidungen. Gerade zweifelhafte Investments oder hohe Spenden sind schnell getätigt und noch schneller bereut. Neben den Vermögensgegenständen beinhaltet dies aber auch die eigenen Lebensumstände wie Wohnort und berufliche Tätigkeit.

1 Deutsches Institut für Altersvorsorge: Analyse Erben in Deutschland 2015-24 und Flossbach von Storch Research Institut: Plötzlich vermögend - und dann?

2 Flossbach von Storch Research Institut: Plötzlich vermögend - und dann?

3 Ann Perry: The Wise Inheritor, Crown Currency, 2003; Seite 98.

4 Ann Perry: The Wise Inheritor, Crown Currency, 2003 und Elizabeth Kübler-Ross: On Death and Dying, Simon & Schuster, 1969.

5 Mehr als 3 Millionen US-Dollar investierbares Vermögen (Erstwohnsitz nicht eingerechnet)

6 U.S. Trust Bank of America Private Wealth Management: 2017 U.S. Trust Insights on Wealth and Worth

7 Flossbach von Storch Research Institut: Plötzlich vermögend - und dann?

8 John L. Ward: Keeping the Family Business Healthy, Springer, 2011.

9 Thomas Zellweger et al.: From Longevity of Firms to Transgenerational Entrepreneurship of Families: Introducing Family Entrepreneurial Orientation

10 Poor little rich kids: Most kids from wealthy families squander their inheritance | Toronto Sun

11 Zum Zeitpunkt der Befragung über 70 Jahre - Jahrgänge bis 1945

12 LVMH’s Bernard Arnault Is the King of Luxury, but Who Is Next to the Throne? - The New York Times (nytimes.com)

13 Warren Buffett's Advice On How To Raise Well-Adjusted Heirs (forbes.com)

14 Warren Buffett's Advice On How To Raise Well-Adjusted Heirs (forbes.com)

15 Warren Buffett's Advice On How To Raise Well-Adjusted Heirs (forbes.com)

16 Siehe z.B. Ann Perry: The Wise Inheritor, Crown Currency, 2003 oder Considerations for Family Legacy Planning | U.S. Bank (usbank.com)

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Verschiedene Fachbegriffe aus der Welt der Finanzen finden Sie in unserem Glossar erklärt.

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