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Staatsschulden, Sicherheitspolitik und Finanzkrisen - Weshalb Schuldenbremsen sicherheitspolitisch sinnvoll sind

Norbert F. Tofall

Heute finden wir sowohl auf nationaler staatlicher Ebene als auch auf übernationaler europäischer Ebene unzählige weitere Aufgaben. Bei begrenzten staatlichen Einnahmen sind immer Priorisierungen bezüglich der unzähligen ausgabenwirksamen Aufgaben notwendig.

Eine Priorisierung gegen die sicherheitspolitische Kernaufgabe des Staates gefährdet jedoch früher oder später sowohl die Existenz des eigenen Staates als auch die Existenz anderer Staaten und ist verantwortungslos. Wer Kriege verhindern will, muß ausreichende finanzielle Mittel für Rüstung zum Zweck der Abschreckung zur Verfügung stellen. Und wer verhindern will, daß Kriegstreiber für Angriffskriege belohnt werden, muß die Angegriffenen bei ihren Verteidigungsmaßnahmen militärisch und finanziell unterstützen.

I.

Das moderne Finanzwesen mit seinem komplexen Bank- und Kreditsystem hat sich im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert entwickelt, um Kriege effizienter durch Schulden finanzieren zu können. Der Zusammenhang zwischen „Geopolitik, Staatsschulden und Finanzmärkten“1 nahm eine derart ausgeprägte Form an, daß von der sogenannten „finanziellen Revolution“ die Rede war.2 Die entscheidenden Faktoren bestanden dabei erstens in einem effizienten System zur Aufnahme von Schulden, zweitens in der Aufrechterhaltung der Kreditwürdigkeit von Regierungen an den Finanzmärkten3 und drittens in der Vermeidung eines Verfalls der Währung durch monetäre Kriegsfinanzierung.

Daß Großbritannien und nicht Frankreich führend aus dieser Entwicklung hervorging, dürfte unter anderem auf Großbritanniens solide Staatsfinanzierung zurückzuführen sein. Bis zum amerikanischen Unabhängigkeitskrieg 1780 unterstützten der Finanzplatz Amsterdam und die finanziellen Ressourcen der Vereinigten Provinzen der Niederlande wiederholt die britische Staats- und Kriegsfinanzierung, weil britische Staatsanleihen für ausländische und insbesondere niederländische Investoren immer attraktiver wurden. Frankreich war aufgrund seines wenig effektiven Steuersystems und Schuldendienstes für internationale Investoren wenig attraktiv und für Geldkrisen anfällig.4 Als dann 1780 die Niederlande nicht auf Seiten der Briten standen, stellte das für die britische Kriegsfinanzierung kein Problem mehr dar. Das einheimische britische Kapital war so angewachsen, daß fast alle Staatsanleihen von Inländern gezeichnet werden konnten.5

Wie dieses historische Beispiel zeigt, ist eine solide Staatsfinanzierung ein nicht zu unterschätzender sicherheitspolitischer Faktor.

Dazu kommt, daß überbordende Staatsschulden Geldkrisen auslösen können. Die Inflation in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg konnte dann nur durch die Währungsreform von 1948 gestoppt werden. Die Auflösung des Gold-Dollar-Standards 1971 war die Folge der schuldenfinanzierten Brot-und-Butter-Politik von US-Präsident Johnson und des schuldenfinanzierten Vietnam-Kriegs.

Heute liegen die europäische Staatsschuldenkrise und die Griechenlandkrise noch nicht lange zurück. Und trotzdem sind viele westliche Staaten und nicht zuletzt die USA bereits so stark verschuldet wie sonst nur in Kriegszeiten. Dabei liegen die eigentlichen geopolitischen und geoökonomischen Herausforderungen erst noch vor dem Westen.

Eine ausgeprägte Finanzkrise wie 2008 mit einer folgenden Griechenland- und europäischen Staatsschuldenkrise könnte im Falle eines heißen Krieges schnell existentielle sicherheitspolitische Auswirkungen zeitigen. Bezüglich der Höhe der Staatsschulden wird der Westen durch die aufziehenden geopolitischen Konflikte auf dem falschen Fuß erwischt. Angesichts dieser Lage auch noch die Finanzierung von Rüstungsausgaben durch die Aussetzung oder Abschaffung von Schuldenbremsen bewerkstelligen zu wollen, ist nicht nur kurzsichtig, sondern fahrlässig. Um effektive militärische Fähigkeiten auf Dauer aufrechtzuerhalten, bedarf es solider Staatsfinanzen.

II.

In der Europäischen Union sollte die Budgetdisziplin der Mitgliedsstaaten durch den im Vertrag von Amsterdam 1997 beschlossenen Stabilitäts- und Wachstumspakt gesichert werden. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt konnte die europäische Staatsschuldenkrise von 2010 bis 2012 aber nicht verhindern. Deshalb wurde zur Vermeidung zukünftiger Finanz- und Eurokrisen die Einführung von nationalen Schuldenbremsen vertraglich vereinbart. 25 Mitgliedsländer der Europäischen Union verpflichteten sich im europäischen Fiskalpakt vom 2. März 2012 eine Schuldenbremse in ihre nationalen Verfassungen oder in ihrer nationalen Gesetzgebung zu verankern. Im Februar 2017 teilte die EU-Kommission mit, daß „der Inhalt des fiskalpolitischen Pakts Eingang in die nationalen Haushaltsrahmen aller Vertragsparteien gefunden“ habe.

Obwohl der europäische Fiskalpakt seit dem 1. Januar 2013 in Kraft war und selbst Italien eine entsprechende Schuldenbremse in seine Verfassung aufgenommen hatte, haben die europäischen Schuldenbremsen auch vor der Corona-Krise die Schulden vieler Euroländer nicht gebremst.

Staatsschulden, Sicherheitspolitik und Finanzkrisen - Weshalb Schuldenbremsen sicherheitspolitisch sinnvoll sind - Flossbach von Storch

In Italien und Frankreich stiegen die Staatsschuldenquoten weiter (siehe Schaubild 1) und die zyklisch bereinigten Budgetdefizite der Staaten blieben weit entfernt von ihrem Ziel von maximal 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. In Deutschland fiel die Staatsschuldenquote bis zur Coronakrise auf rund 60 Prozent und der zyklisch bereinigte Budgetsaldo des Staats verzeichnete einen Überschuß. Das heißt, daß die deutsche Schuldenbremse sehr effektiv ist, während in Italien und Frankreich die dort aufgrund des Fiskalpaktes eingeführten Schuldenbremsen weitgehend ignoriert werden.

Nach der Coronakrise unterbreitete die Europäische Kommission am 9. November 2022 Vorschläge für eine Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes.6 Diese sind weitgehend von den Mitgliedsstaaten akzeptiert worden und seit dem 30. April 2024 in Kraft. Auf der Grundlage einer Bewertung vom Juni 2024 hat die EU-Kommission im Juli 2024 dem Rat vorgeschlagen, gegen Belgien, Frankreich, Italien, Ungarn, Malta, Polen und die Slowakei Verfahren wegen Vorliegens eines übermäßigen Defizits einzuleiten. Dem hat der Rat der Europäischen Union inzwischen zugestimmt. Inwieweit durch die Einleitung der Defizitverfahren die Schulden in diesen sieben Ländern wirklich dauerhaft begrenzt werden, ist fraglich, denn Politik und Öffentlichkeit fehlt weitgehend die Einsicht in die Notwendigkeit dazu.7

Vor allem bleibt abzuwarten, wie Ungarn auf EU-Vorgaben zum Schuldenabbau reagieren wird und ob der Vorwurf der Parteilichkeit erhoben wird.

Und Frankreich hat noch gar keine neue Regierung. Die amtierende Regierung muß dem Parlament aber bis zum 1. Oktober 2024 einen Haushaltsentwurf für 2025 zukommen lassen. Geplant ist wohl, daß der amtierende französische Ministerpräsident das Budget für 2025 auf die gleiche Höhe des Budgets von 2024 festlegt. Daß so die notwendige Mehrheit zur Verabschiedung des Haushalts im Parlament zustande kommt, darf bezweifelt werden. Auch ist fraglich, ob Frankreich im Januar 2025 überhaupt einen verabschiedeten Haushalt haben wird. Damit stellt sich jedoch die Frage, wie ein EU-Defizitverfahren geregelt ablaufen kann, wenn aus Frankreich keine belastbaren Haushaltspläne vorliegen.

Für die Europäische Union besteht zudem das Problem, daß im Falle eines Wahlsieges von Donald Trump in den USA die Gefahr besteht, daß US-Hilfen für die Ukraine gestrichen werden. Eine Streichung der US-Hilfen für die Ukraine würde die Notwendigkeit höherer Verteidigungsausgaben in Europa nochmals massiv ansteigen lassen.

Obwohl die Schuldenbremsen in Frankreich und Italien wenig wirksam sind und obwohl abzuwarten bleibt, ob durch die neuen EU-Defizitverfahren ein wirksamer Schuldenabbau eingeleitet wird, so dürften die Schuldenbremsen zumindest dazu führen, daß der Frage der Priorisierung von Staatsaufgaben auf Dauer nicht mehr ausgewichen werden kann. Die Notwendigkeit, die Staatshaushalte umzustrukturieren und die sicherheitspolitische Kernaufgabe zu stärken, wird weiterwachsen, da die geopolitischen Herausforderungen nicht kleiner werden. Sicherlich wird es weitere Versuche geben, durch die Einrichtung neuer Schuldensondertöpfe auf EU-Ebene den Priorisierungsdruck auf der nationalen Ebene abzubauen. Insgesamt dürften die Staatsfinanzen in der Europäischen Union aber noch unsolider dastehen, wenn es gar keine Schuldenbremsen gäbe. Neue Finanzkrisen wären wahrscheinlicher.

Ohne solide Staatsfinanzen sind militärische Fähigkeiten auf Dauer nicht sicherzustellen. Es stellt sich deshalb die über Schuldengrenzen hinausgehende Frage, ob das Schuldenproblem nicht viel fundamentaler durch eine Reform unserer Geld- und Schuldenordnung angegangen werden muß. Ceterum censeo: Der Dreh- und Angelpunkt sind die Staatsschulden. Die Staatsschulden müssen reduziert und unsere monetäre und fiskalische Ordnung muß neu aufgestellt werden. Der Westen benötigt eine Art neues „Bretton Woods“, - eine Neuaufstellung unserer Währungs-, Geld- und Schuldenordnung.

1 Siehe zu diesem und den folgenden Abschnitten Norbert F. Tofall: Geopolitik, Staatsschulden und Finanzmärkte, Kommentar zu Wirtschaft und Politik des Flossbach von Storch Research Institute vom 4. August 2023, online: https://www.flossbachvonstorch-researchinstitute.com/de/kommentare/geopolitik-staatsschulden-und-finanzmaerkte/

2 Vgl. Paul Kennedy: Aufstieg und Fall der großen Mächte. Ökonomischer Wandel und militärischer Konflikt von 1500 bis 2000, aus dem Englischen von Catharina Jurisch (amerikanische Originalausgabe „The Rise and Fall of the Great Powers“ 1987), Frankfurt a. M. (Fischer) 1989, S. 134.

3 Vgl. ebenda S. 135.

4 Wie zum Beispiel mit der Mississippi-Blase im Jahr 1720.

5 Vgl. Kennedy, a.a.O., S. 140. Allerdings suspendierten auch die Briten zur Finanzierung der napoleonischen Verteidigungskriege die Anbindung der Währung an Gold. Doch konnten sie danach ohne Währungsreform wieder dahin zurückkehren.

6 Siehe EU-Kommission: Building an economic governance framework fit for the challenges ahead, Pressemitteilung vom 9. November 2022, online: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/ip_22_6562

7 Kommentare von neunmalklugen Ökonomen, daß die Schuldenbremse ökonomisch unsinnig ist, kommen einer populistischen Finanzpolitik zur Bedienung von Wählerklientelen sehr entgegen.

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