Die künstliche Intelligenz (KI) hat begonnen, am Stuhl der Kundenberater, Analysten und Portfoliomanager zu sägen. Der einstige Glaube, dass Computer niemals eigenständig Analysen erstellen, Empfehlungen aussprechen oder mit Kunden kommunizieren können, ist verflogen.
Einschätzungen des IT-Beratungshauses Accenture zufolge lassen sich 39 Prozent der Arbeitszeit bei Finanzdienstleistern zukünftig durch KI-Systeme automatisieren. Bei weiteren 34 Prozent könnte KI unterstützend zum Einsatz kommen, sodass lediglich 27 Prozent der Arbeitszeit verbleiben, der vor dem Einsatz von KI geschützt wäre und ausschließlich dem Menschen vorbehalten bliebe.1
So wundert es nicht, dass in einer Umfrage des Beratungshauses Boston Consulting Group 40 Prozent der Angestellten angeben zu befürchten, zukünftig ihren Job an ein KI-System zu verlieren.2
Wie erfolgreich ist bislang der KI-Einsatz in der Finanzbranche?
Während KI noch vor nicht allzu langer Zeit ein Thema für Spezialisten war, hat der Hype um ChatGPT bewirkt, dass es bis in die Führungsetagen der Finanzhäuser vorgedrungen ist. In einer Umfrage des Beratungshauses EY Ende des Jahres 2023 gaben 99 Prozent der Führungskräfte von Finanzdienstleistern an, dass sie generative KI bereits einsetzen oder zumindest in der Planungs- oder Entwicklungsphase seien.3 Ein Jahr zuvor hätte man mit dieser Antwort nicht rechnen können.
Etliche IT-Häuser erfreuen sich der Nachfrage und sind bereits umtriebig, KI-Konzepte für Finanzdienstleiter zu entwickeln und zu vertreiben. Der „digitale Kollege“, der einen Anwender in seiner Arbeit vielseitig und individuell unterstützen kann, steht dabei hoch im Kurs. Durch ein sogenanntes Retrieval-Augmented Generation Modell (RAG)4 werden unternehmensinterne Datenbanken mit Sprachmodellen verknüpft. Dies ermöglicht Anwendern, präzise Antworten auf Anfragen zu bekommen, ohne dass das Sprachmodell einem kostenintensiven Training unterzogen werden muss.
Mit einem RAG-Modell lassen sich Informationen schneller sammeln, zusammenfassen, und nach individuellen Wünschen aufbereiten. So ist es denkbar, dass Kundenberater zukünftig auf Knopfdruck alle relevanten Informationen über bevorstehende Kundengespräche in gewünschter Form präsentiert bekommen. E-Mail Ansprachen können individuell erstellt werden, ohne dass der Kundenberater lange an der Formulierung feilen muss, weil das System alle verfügbaren Informationen einbeziehen kann. Selbst personalisierte Anlagestrategien können RAG-Modell basierend auf den Kundeninformationen erstellen.
Auch für Finanzanalysten und Portfoliomanager bieten solche KI-Systeme einen großen Mehrwert. Eine der größten Herausforderungen für Analysten und Portfoliomanager ist die
gigantische Informationsflut, der sie ausgesetzt sind. Weit mehr als die Hälfte der eigenen Arbeitszeit verbringt man damit, Informationen zu suchen, zu aggregieren und zu interpretieren. Während konventionelle Suchalgorithmen lediglich die Fundorte aufzeigen, können RAG-Modelle die Informationen auswerten und aufbereitet präsentieren. Das zeitliche Einsparpotential ist enorm.
Sollte die Geldanlage vollständig den Systemen überlassen werden?
Während in der Kundenberatung KI-Systeme weitestgehend noch Neuland sind, aber in der Analyse immer häufiger zum Einsatz kommen, haben sie schon seit Jahren oder gar Jahrzehnten einen festen Platz in der Portfoliosteuerung inne. Der vorzuweisende Erfolg ist jedoch gemäß dem von Sven Ebert und mir dokumentierten Status-Quo des letzten Frühjahres eher mäßig und hat sich unserer Einschätzung nach nicht grundlegend geändert.5
Diverse Hedgefonds und Handelshäuser vertrauen bei kurzfristig ausgerichteten Transaktionen auf Machine Learning, einer Unterform der KI. Meist erfolgt dies jedoch nur in einem sehr begrenzten Umfang bezogen auf Zeitspanne und eingesetztes Kapital profitabel. Durch den übermäßigen kurzfristigen Einsatz von Machine Learning Systemen an Kapitalmärkten kann es sogar zu systemischen Risiken kommen, wie ich bereits im Sommer letzten Jahres aufgezeigt habe.6 In der langfristigen Portfoliosteuerung werden KI-Systeme gerne beworben, der Nachweis eines langfristig wirtschaftlich nachhaltigem Erfolg bleibt bislang aus.7
Wird KI den Kundenberater zukünftig ersetzen?
Zwar ist für einige Bürgerinnen und Bürger der Klick beim Onlinebroker auf das gewünschte Produkt selbstverständlich. Bezogen auf alle deutschen Haushalte sind sie jedoch in der Minderheit. Nach Angaben der Deutschen Bundesbank (2023) besitzen über 35 Prozent der privaten deutschen Haushalte ein liquides Geldvermögen von mehr als 10.000 Euro, welches unverzinst auf Spar- oder Girokonten geparkt wird. Lediglich 21 Prozent aller Haushalte besitzen Fondsprodukte und somit eine Chance zum Inflationsausgleich oder Vermögensaufbau.8
Die Geldanlage ist ein Vertrauensgut
Die Unsicherheit in der Geldanlage ist nach wie vor für viele Deutsche der größte Hemmschuh. Die Qualität und Sicherheit einer Anlage sind oft erst nach langer Zeit erkennbar und schwer vorab zu beurteilen. Ohne ein notwendiges Maß an Vertrauen kommt für die Mehrheit der Bevölkerung eine Finanzanlage nicht in Frage.
Erst durch Aufklärung, Vertrauensbildung und Beistand, wenn es einmal nicht so gut läuft wie erhofft, wird in vielen Haushalten die Entscheidung für eine Geldanlage getroffen. Das hat mein Kollege Marius Kleinheyer (2020) in seinem Beitrag „der ehrbare Finanzkaufmann“ anschaulich gezeigt.9 Eine KI kann zwar hierbei den Menschen unterstützen, sie kann ihn aber nicht ersetzen.
Wie steht es schlussendlich um die Jobs in der Finanzbranche?
Derzeit sieht es nicht danach aus, als ob die künstliche Intelligenz das Ruder in der Geldanlage übernehmen wird. Jedoch gibt es ein hohes Potenzial für Effizienzgewinne und somit weniger Nachfrage nach Personal. So sägt schließlich nicht die künstliche Intelligenz selbst, sondern jemand, der erfolgreich KI einsetzt, am Stuhl der Kundenberater, Analysten und Portfoliomanager.
Verschiedene Fachbegriffe aus der Welt der Finanzen finden Sie in unserem Glossar erklärt.
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