Da sie den Anstieg der Inflation am Ende der Pandemie anhand ihrer Modelle nicht vorhersehen konnten, haben sie diese verworfen und geben an, nun „datenabhängig“ zu agieren. Die Auswahl der Daten, die sie betrachten, ist jedoch weiterhin in ihrem alten „Output-Gap“-Modell der Inflation orientiert. Da die Zinspolitik für Marktteilnehmer wichtig ist, beobachten sie die gleichen Daten, an denen die Zentralbanken ihre Entscheidungen orientieren. Dabei bleibt die Entwicklung der Geldmenge unbeachtet, obwohl sie relevante Signale für die Inflationsentwicklung liefern kann. Der Fokus auf die Treiber der Inflation - und weniger auf die für die Zentralbanken relevanten Daten - könnte für Anleger mit einem längeren Zeithorizont lohnend sein.
Die gängigen makroökonomischen Modelle zur Erklärung von Inflation basieren auf der Phillips-Kurve. Diese besagt, dass es einen negativen Zusammenhang zwischen Inflation und dem Produktionspotenzial einer Volkswirtschaft gibt. Das Produktionspotenzial ist eine Schätzung des Produktionsniveaus, das erreicht werden würde, wenn Arbeit und Kapital maximal ausgelastet wären. Liegt die Produktion über ihrem Potenzial, sind die Kapazitäten in Arbeit und Kapital überlastet. Da das Angebot hinter der Nachfrage herhinkt, steigen die Preise.
Zur Anwendung dieser Modelle in der Geldpolitik, gehört der Glaube, dass Zentralbanken die Wirtschaft steuern können. Sollte es zu Inflation kommen, muss die Zentralbank durch eine Anhebung der Leitzinsen die Kredite verteuern, um die Nachfrage „abzukühlen“, die Kapazitätsauslastung zu verringern. Dann sinkt die Inflation wieder – so das Narrativ.
Die empirische Evidenz dafür ist jedoch bescheiden. Seit langem wird in der akademischen Literatur diskutiert, warum die Phillips-Kurve flach bzw. tot und wer dafür verantwortlich ist.1 Weil sie sich dennoch an diesem Modell orientiert haben, haben die Zentralbanken den Anstieg der Inflation im Jahr 2021 fälschlicherweise als vorübergehend interpretiert.
Inzwischen haben die Zentralbanken dieses Modell für die Zinspolitik zwar verworfen und handeln nach eigenen Aussagen „datenbasiert“, doch folgen sie konzeptionell weiterhin dem alten Ansatz. Aus Indikatoren der Realwirtschaft suchen sie nach Signalen der „Überhitzung“ oder „Abkühlung“ der Wirtschaft.
Dass eine an diesen Signalen orientierte Zinspolitik die Inflation beeinflussen kann, ist jedoch unwahrscheinlich. Die Einkaufsmanagerindizes (PMIs) gelten als verlässliche Frühindikatoren der Konjunktur und fassen die Indikatoren zusammen, die die Zentralbanken verfolgen. Für die USA ist die Korrelation zwischen dem PMI und der PCE-Kerninflation, der Zielgröße der Fed, jedoch statistisch insignifikant (Abbildung 1). Das gilt sowohl für die zeitgleiche als auch zeitverzögerte Beziehung der Variablen.
Wenn die Einkaufsmanagerindizes in der Tat eine gute und zeitnahe Zusammenfassung der Entwicklung von Konjunktur und Kapazitätsauslastung darstellen, folgt, dass sich die Zentralbanken an Daten orientieren, die für die Inflationsentwicklung keine entscheidende Bedeutung haben. Dennoch folgen viele Marktteilnehmer dieser Betrachtung, weil für sie die Zentralbankentscheidungen wichtiger sind als die Entwicklung der Inflation.
Robert Armstrong und seine Mitarbeiter diskutieren in der Financial Times-Kolumne „Unhedged“ regelmäßig die Stimmung und Sorgen der Finanzmarktteilnehmer. Dort wird klar, dass die Marktteilnehmer die tatsächlichen Daten und Frühindikatoren für die Konjunktur intensiv verfolgen.2
Eine Studie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIS) zeigt, dass PMIs und Finanzmarktvariablen in der Tat stark korrelieren.3 Finanzmarktvariablen reagieren auf Überraschungen in den PMI-Daten.4 In den letzten Jahren gingen PMI-Werte, die höher ausfielen als der Median einer Bloomberg-Umfrage mit leichten Senkungen der Renditen 2-jähriger US-Staatsanliehen einher (Abb. 2, Korrelationskoeffizient -0,24).
Wenn die Beziehung zwischen Wachstum und Inflation nicht dem Output-Gap-Modell entspricht, dann sind die Zentralbanken auf dem falschen Weg. Marktteilnehmer folgen ihnen, weil vielen die Zinspolitik wichtiger ist als das, was sie bewirkt.
Inflation kann über mehrere Kanäle entstehen, die alle in die Betrachtung eingehen sollten (Mayer, 2024). Der US-Ökonom Gregory Mankiw (2024) empfahl kürzlich in einem Kommentar im Journal of Monetary Economics einen stärkeren Fokus auf die Geldmenge. Sein Argument lautet: Wer die Inflation vorausgesehen hat, hat die Geldmengenentwicklung richtig eingeschätzt.
Dass es eine Beziehung zwischen Geldmenge und Preisniveau gibt, ist nichts Neues. Die Quantitätstheorie des Geldes (M * v = P * Y), die bereits im 16. Jahrhundert entstand, besagt, dass das nominale Einkommen in einer bestimmten Zeitspanne mit einem entsprechenden Geldfluss einhergehen muss.5 Der Geldfluss (M * v) besteht aus der Geldmenge (M) und der Häufigkeit, mit der die Geldbestände die Hände wechseln, auch Umlaufgeschwindigkeit (v) genannt. Das Einkommen (P * Y) besteht aus dem realen Einkommen (Y) und dem Preisniveau (P). Diese Beziehung war ursprünglich als eine Identität definiert. Tendenziell ist es jedoch so, dass sich die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes (v) über die Zeit nur langsam verändert und die Produktion Y von realwirtschaftlichen Faktoren bestimmt wird. Deshalb sollte die Entwicklung der Geldmenge zumindest zeitweilig das Preisniveau treiben.
Mayer (2022) definiert einen Geldüberhang als „eine Ausweitung des Geldangebots (M), die nicht durch eine entsprechende fundamentale Steigerung der Geldnachfrage (permanenter Rückgang von v) kompensiert wird.“ Ein Geldüberhang muss sich also in einem höheren nominalen Einkommen widerspiegeln. Da das reale Einkommen nicht in erster Linie von der Geldmenge, sondern vom Produktivitätswachstum abhängt, liegt es nahe, dass ein Geldüberhang mit einer Steigerung des Preisniveaus einhergeht.
Da die Geldmenge sowie das nominale Einkommen in den USA im Trend steigen, hilft eine Betrachtung der Abweichungen vom Trend. Anders als bei den PMIs ist die Korrelation zwischen der Abweichung der Geldmenge M2 vom 10-jährigen Durchschnitt und der (jährlichen) PCE-Kerninflation ein Jahr später positiv und statistisch signifikant, sowohl vor als auch nach der Pandemie (Abb. 3). Diese Beziehung ist über die Zeit robust.
In der Zeit zwischen 2009 und 2019 lag der Abstand zwischen der Geldmenge und ihrem 10-Jahres-Durchschnitt bei 30 bis 35 % (Abb.4). Mit den expansiven geldpolitischen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung stieg der Abstand auf 55 % und blieb dort einige Monate lang. Die Kerninflation stieg 12 Monate später auf über 5 % und blieb ebenfalls auf diesem Niveau. Der Rückgang unseres Geldüberhangsindikators geht mit einem späteren Rückgang der Inflation einher. Sollte die Korrelation für die kommenden zwölf Monate bestehen bleiben, könnte man anhand dieser einfachen Beobachtungen schlussfolgern, dass sich der Geldüberhang abgebaut hat und daher die Preise nicht mehr so stark steigen können. Die Inflation würde tendenziell wieder zu pre-pandemischen Werten zurückkehren.
Die Prognose ist jedoch mit einigen Unsicherheiten behaftet. Erstens könnte eine Veränderung der Umlaufgeschwindigkeit aufgrund einer strukturellen Veränderung der Geldnachfrage die Korrelation auf eine andere Ebene verschieben, sodass der Abstand zum Trend, der mit einer Inflation von 2 % und dem realen Wachstum der USA einhergeht, höher oder niedriger ausfallen könnte. Gründe dafür wären höhere Energiepreise aufgrund von geopolitischen Spannungen oder höhere Löhne aufgrund von Arbeitskräfteknappheit. Zweitens könnte eine Rezession z eine expansive Geldpolitik auslösen, die einen neuen Geldüberhang schaffen könnte Bleibt die laufende Entwicklung der Geldmenge jedoch bestimmend, erscheint ein moderater Rückgang der Kern-Inflation in den USA im Laufe der kommenden zwölf Monate wahrscheinlich.
Obwohl Zentralbanken betonen, „datenabhängig“ zu agieren, zeigt ihre Auswahl an Indikatoren, dass sie sich weiterhin an Modellen orientieren, die auf die Realwirtschaft fokussieren. Die Entwicklung der Geldmenge gibt jedoch weitere wichtige Hinweise auf die Inflationsentwicklung. Kurzfristig orientierte Investoren werden weiterhin der Betrachtungsweise der Zentralbanken folgen, weil für sie die Entwicklung der Zinsen wichtig ist, auch wenn die Zinspolitik an der Inflation vorbeigeht. Längerfristig orientierte Anleger sollten jedoch die Entwicklung der Geldmenge im Auge haben, weil diese einen wesentlichen Einfluss auf die Inflation haben und die Zentralbanken zu Korrekturen ihrer Zinspolitik zwingen kann.
1 Siehe, zum Beispiel, Del Negro et al. (2020), Ratner & Sim (2022), Stock & Watson (2020).
2 Siehe Falling inflation, sturdy economy, happy Fed (ft.com).
3 Siehe Erik et al. (2019).
4 Siehe Datta et al. (2021).
5 Siehe Mayer (2022).
Datta, D. D., Johannsen, B. K., Kwon, H., & Vigfusson, R. J. (2021). Oil, equities, and the zero lower bound. American Economic Journal: Macroeconomics, 13(2), 214-253.
Del Negro, M., Lenza, M., Primiceri, G. E., & Tambalotti, A. (2020). What’s up with the Phillips Curve? (No. w27003). National Bureau of Economic Research.
Erik, B., Lombardi, M. J., Mihaljek, D., & Shin, H. S. (2019). Financial conditions and purchasing managers’ indices: exploring the links. BIS Quarterly Review, September.
Ratner, David, and Jae Sim (2022). “Who Killed the Phillips Curve? A Murder Mystery,” Finance and Economics Discussion Series 2022-028. Washington: Board of Governors of the Federal Reserve System, https://doi.org/10.17016/FEDS.2022.028
Mankiw, N. G. (2024). Six Beliefs I Have About Inflation: Remarks Prepared for NBER Conference on “Inflation in the Covid Era”. Journal of Monetary Economics, 103631.
Mayer, Thomas (2022), Das “monetäre Phänomen“, Flossbach von Storch Research Institute, Studie.
Mayer, Thomas (2024), A Latticework of Inflation Models. Flossbach von Storch Research Institute, Studie.
Stock, J. H., & Watson, M. W. (2020). Slack and cyclically sensitive inflation. Journal of Money, Credit and Banking, 52(S2), 393-428.
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