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Das Inflations-Orakel

- Julian Marx

Im Vergleich zum Jahr 2020 sind die Verbraucherpreise weltweit stark gestiegen. Bleibt uns die Inflation erhalten? Und was bedeutet das für Anleger?

 

Es war ein Paukenschlag, als das U.S. Bureau of Labor Statistics (BLS) für den Dezember 2021 eine Verbraucherpreisinflation von 7,0 Prozent vermeldete – die höchste US-Inflationsrate seit Juni 1982. Entsprechend der immer weiter steigenden Inflation prognostizieren nun immer mehr Finanzmarktteilnehmer und Notenbanken, dass der Preisauftrieb nicht mehr nur als vorübergehend zu bewerten ist, sondern sich künftig in nachhaltig höheren Inflationsraten niederschlagen dürfte. Letztere könnten in Zukunft (spürbar) oberhalb dessen liegen, was wir in der vergangenen Dekade gesehen haben, als die Eurozone und die USA durchschnittliche Inflationsraten von 1,3 beziehungsweise 1,6 Prozent pro Jahr erreichten.

Auch die Europäische Zentralbank (EZB) kann sich diesem neuen Inflationsnarrativ nicht länger entziehen und passte ihre Inflationsprognose für das Jahr 2022 unlängst von 1,7 Prozent auf 3,2 Prozent an. Wenngleich das Ausmaß der Prognoseanhebung überrascht haben könnte, gehören Revisionen der Inflationsschätzungen zur Tagesordnung. Auch in früheren Jahren war die Treffsicherheit bei den alljährlichen Inflationsprognosen der EZB überschaubar. Beispielsweise hatte die Notenbank noch im Dezember 2020 eine Eurozonen-Inflation von 1,0 Prozent für das Kalenderjahr 2021 prognostiziert. Im Ergebnis fiel diese dann für diesen Zeitraum mit 2,6 Prozent deutlich höher aus als erwartet.

Geringe Trefferquote

Dennoch kam die EZB-Vorhersage Ende 2020 nicht von ungefähr. Die Inflationsraten lagen im Durchschnitt des Jahres 2020 bei 0,3 Prozent und die Möglichkeit eines anhaltend deflatorischen Umfelds wurde diskutiert. Die pandemiebedingten Unsicherheiten waren zu diesem Zeitpunkt enorm und die dann letztlich gesehenen Lieferengpässe und Energiepreisanstiege galten als außergewöhnlich. Die letztjährige Inflationsrate haben daher fast sämtliche Notenbanken, Institutionen und Finanzmarktteilnehmer nicht richtig vorhergesagt.

Und nun haben sich innerhalb von zwölf Monaten die Deflationsängste (in der Eurozone) und die sehr moderate Inflationserwartungen (in den USA), die noch zum Jahresende 2020 bestanden, in ein neues Narrativ gewandelt. In Zukunft soll also mit nachhaltig höheren Inflationsraten als in früheren Jahren zu rechnen sein. Was ist davon zu halten?

Nicht nur die Notenbanken haben im Dezember 2020 eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass sie offensichtlich begrenzte Fähigkeiten hinsichtlich (kurzfristiger) Inflationsprognosen haben. Wieso sollte die Prognosegüte zwölf Monate später also besser sein?

Es deutet sich einerseits bereits eindrucksvoll an, dass in den USA insbesondere die Lohnverhandlungsmacht der „Niedriglöhner“ zuletzt deutlich gestiegen ist. So vermeldete das BLS rekordhohe 4,5 Millionen Kündigungen für November 2021. Die Unzufriedenheit mit Löhnen und Arbeitsbedingungen wird offensichtlich häufiger damit quittiert, dass sich Arbeitnehmer aus ihren Jobs verabschieden – vermutlich, weil die ebenfalls außergewöhnlich hohe Zahl offener Stellen bessere Alternativen verspricht. Und Zweitrundeneffekte durch ein dauerhaft höheres Lohnniveau können dazu beitragen, die gestiegene Inflation auf einem höheren Niveau zu verfestigen.

Gleichwohl sind die Lohnentwicklungen in ausgewählten Bereichen nur ein Baustein der hochkomplexen Verbraucherpreisbildung. Als ein wesentliches Risiko für Überraschungspotenzial in die andere Richtung könnte man die bereits im vergangenen Jahr stark gestiegenen Energiepreise anführen. Ab der zweiten Jahreshälfte 2022 könnten mögliche Rückgänge bei den volatilen Energiepreisen nämlich spürbar disinflationär wirken, sollten sich niedrigere Energiepreise mit den hohen Preisen Ende 2021 vergleichen.

In Summe erscheinen damit vorerst (noch) höhere Inflationsraten zwar wahrscheinlich. Angesichts der erheblichen Unsicherheiten, die offensichtlich in der Natur der Inflationsprognosen liegen, erscheint es jedoch wenig ratsam, sich einseitig auf das Narrativ nachhaltig höherer Inflationsraten für das Jahr 2022 festzulegen.

Wie bedeutend sind die Inflationserwartungen für Anleger?

Für das langfristige Anlageweltbild erscheinen die Implikationen überschaubar, egal, ob es zu einer anhaltend höheren Inflation kommt oder nicht. Entscheidend bleibt die relative Attraktivität von Sachwerten (insbesondere Aktien) gegenüber Nominalanlagen (beispielsweise Anleihen).

Aufgrund rekordhoher Staatsschulden in Verbindung mit der zunehmenden Akzeptanz chronisch (hoch-) defizitärer Staatshaushalte haben die Notenbanken ein anhaltend hohes Interesse an einer tiefen, beziehungsweise negativen Realverzinsung, um die Schuldentragfähigkeit und damit die Handlungsfähigkeit der Staaten sicherzustellen. Mit einer Zinsanhebung auf ein Niveau, dass Anleger mit den Erträgen aus Staatsanleihen die Kaufkraftverluste durch die Inflation ausgleichen oder sogar überkompensieren könnten, ist daher aus unserer Sicht nicht zu rechnen. Damit bleiben Aktien unseres Erachtens attraktiver als Anleihen.

Für die Rentenseite bedeuten die wahrscheinlich höheren Inflationsraten ein Dilemma. Anleihen rentieren unverändert auf niedrigen Niveaus, sodass mancher Anleger versucht sein könnte, das Ertragspotenzial der Anlageklasse durch die Wahl von besonders langen Laufzeiten zu heben. Doch selbst zehnjährige US-Staatsanleihen rentieren trotz zuletzt sieben Prozent Inflation bei lediglich rund 1,8 Prozent.

Damit lassen sich die Kaufkraftverluste aber bei weitem nicht ausgleichen. Natürlich wird diese Differenz bei sinkenden Inflationsraten wieder etwas schrumpfen. Für den Moment besteht infolge der gestiegenen Aufwärtsrisiken für die Inflation allerdings Potenzial für weitere Renditeanstiege. Eine einseitige Ausrichtung auf lange Laufzeiten könnte also eine teure (Fehl-) Entscheidung werden, sollten die Renditen weiter steigen und damit die Anleihekurse langlaufender Anleihen überproportional fallen.

Unterm Strich ist es wahrscheinlich gar nicht möglich, punktgenaue Inflations-, Rendite- und Währungsprognosen abzugeben. Das ist für den Anlageerfolg letztlich aber auch gar nicht so entscheidend, zumindest wenn Anleger langfristig einer klaren Strategie folgen.

 

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