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Gesellschaft
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„Die Menschen glauben an den guten Zaren“

Wladimir Putin lässt die Ukraine überfallen und droht mit einem Weltkrieg. Was treibt den Mann an, in dem viele deutsche Spitzenpolitiker einst einen verlässlichen Partner sahen? Ein Gespräch mit Udo Lielischkies.

Herr Lielischkies, ließe sich Wladimir Putin von seinen Beratern überzeugen, den Krieg in der Ukraine zu beenden?

Udo Lielischkies: Das glaube ich nicht. Putin ist weitgehend isoliert. Er umgibt sich mit einigen wenigen Gefolgsleuten, allesamt Hardliner – Falken. Sie bestärken ihn in seiner Haltung, weil sie genau wissen, dass es ihm allein um Bestätigung geht. Kritik ist dagegen unerwünscht.

Wie konnte es so weit kommen?

Das ist eine sehr komplexe Frage, auf die es nicht die eine, alles umfassende Antwort gibt. Wir können aber zumindest versuchen, Hinweise zu sammeln, etwa in Putins Lebenslauf.

An welche denken Sie?

Putin stammt aus Leningrad, aus sehr ärmlichen Verhältnissen. Wir alle kennen mittlerweile die Geschichte, in der er Ratten im Hinterhof jagt, sie in die Ecke treibt, um zu sehen, wie sie reagieren.

Sie springen den Angreifer an ...

Ein passendes Bild, gerade in diesen Tagen. Der junge Putin möchte unbedingt Geheimagent werden, was er auch wird. Kampfsport ist sein großes Hobby; er treibt sich in den Kampfsportclubs herum, knüpft Freundschaften, die er bis heute pflegt. Er wird Teil eines Milieus, das geprägt ist von Gewalt und Kleinkriminalität. Als KGB-Agent ist er später ein eher unscheinbarer Typ, Spitzname: „Die Motte“. Auch in Dresden, wo er viele Jahre stationiert ist, macht er keine steile Karriere, lebt unauffällig und schwärmt vom Radeberger Pils.

Wie kann so ein Mann Präsident Russlands werden?

Das hat mit ihm selbst, aber auch den Umständen in den 1990er-Jahren zu tun.

Beginnen wir doch mit ihm ...

Putin hat ein Gespür für Menschen; er geht auf sie zu. Ein Kollege und Freund von mir berichtet gerne von einem großen Empfang in Paris, bei dem Putin von Stehtisch zu Stehtisch ging, fast alle Gäste persönlich begrüßte, Komplimente verteilte, sich scheinbar interessiert nach dem Befinden seiner Gesprächspartner erkundigte und sie konkret auf Dinge ansprach, die er sich bei früherer Gelegenheit gemerkt hatte. Was ich sagen möchte: Putin ist extrem diszipliniert und fleißig – und nicht zuletzt deshalb immer gut vorbereitet.

Und die Umstände?

Mit der deutschen Wende und dem Ende der Sowjetunion bricht eine Welt für ihn zusammen, sein Weltbild, auch weil er zunächst nicht weiß, wie es mit ihm weitergehen soll. Der KGB bringt ihn zunächst im Kreml in der Verwaltung unter. So bekommt er direkten Kontakt zu Boris Jelzin – und nutzt ihn: Jelzin macht ihn zum Chef des Inlandsgeheimdienstes FSB.

Jelzin und Putin – eigentlich zwei Charaktere, die nicht so recht zueinander zu passen scheinen, oder?

Sie passen, weil Jelzin einen Nachfolger sucht, der loyal ist. Denn er und seine Familie, deren Reichtum nicht durch harte Arbeit entstanden war, fürchten Strafverfolgung, sollte die kommende Wahl verloren gehen. Putin ist loyal. Es gibt nur ein Problem.

Welches meinen Sie?

Niemand kennt damals Putin. Jelzin muss ihn also populär machen.

Und wie hat er das gemacht?

1999 explodieren mehrere Wohnhäuser in russischen Städten. Es gibt viele Tote und Verletzte. Die Täter, so heißt es sofort, seien Terroristen aus Tschetschenien. Tatsächlich aber werden dann FSB-Mitarbeiter dabei ertappt, wie sie Säcke mit Hexogen-Sprengstoff in ein Haus tragen! An die Ausrede, es habe sich um eine Übung gehandelt und um harmlose Zuckersäcke, glaubt zwar niemand, aber der Vorwand für einen Krieg gegen die tschetschenische Unabhängigkeitsbewegung war geschaffen. Putin, inzwischen Ministerpräsident, nutzt die Bühne und profiliert sich als energischer Terrorbekämpfer. Seine Umfragewerte steigen. Jelzin tritt dann kurz vor der Jahrtausendwende zurück, Putin wird zunächst amtierender und dann im März gewählter Präsident. Seine erste Amtshandlung: Ein Erlass, der die gesamte Familie Jelzin vor Strafverfolgung schützt. Und dann beginnt er sofort, seine Machtbasis zu sichern.

Wie stellt er das an?

Er umgibt sich mit loyalen Gefolgsleuten aus den Geheimdiensten und beginnt, Medien, Parlament und Justiz von Kritikern zu säubern. Die Bevölkerung nimmt das in Kauf im Tausch gegen wachsenden Wohlstand. Demokratische Freiheiten vermissen viele nicht, weil sie den Zusammenbruch der Sowjetunion und die 90er-Jahre nicht als befreienden Aufbruch, sondern als chaotisch und verstörend empfunden haben – ganz anders als der Westen. Und Putin hat das Glück, dass die Rohstoffpreise immer weiter steigen, es gibt also etwas Wohlstand zu verteilen.

Warum hat er es nicht dabei belassen – warum der Krieg in der Ukraine?

Mit Ausbruch der weltweiten Finanz- und Schuldenkrise ist Schluss mit den Geschenken, weil auch die Energiepreise abstürzen. Der Unmut der russischen Bevölkerung wächst. Putin braucht einen Plan B, ein Feindbild; er findet es im Westen, in der Nato. Von da an läuft die Propaganda-Maschinerie an. Es wird ein Fernsehsender eingerichtet, der nichts anderes zeigen wird als Filme über den Zweiten Weltkrieg, den großen, vaterländischen Krieg. Putin bedient geschickt die Gefühle der Menschen, denn auf nichts sind sie stolzer als auf den Sieg gegen die Nationalsozialisten. Diese mentale, kollektive Aufrüstung nimmt dann sehr schnell merkwürde Züge an. Vor den Toren Moskaus wurde zum Beispiel der deutsche Reichstag nachgebaut, damit Mitglieder der geschaffenen Jugendarmee schon mal spielerisch dessen Erstürmung nachempfinden können ...

Warum funktioniert Putins Propaganda so gut?

Es hat wohl viel mit unterschwelligen Minderwertigkeitsgefühlen der Menschen zu tun, glaubt zum Beispiel der Historiker Hannes Adomeit. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion fühlten sie sich herabgesetzt gegenüber den westlichen Nachbarn, orientierungslos. Die Westler, die nach Russland kamen, hatten Taschen voller US-Dollar oder D-Mark, konnten sich alles leisten, und die Einheimischen standen mit ihren mehr oder weniger wertlosen Rubeln daneben, etwas platt gesagt. Ihr Land, das Nazideutschland besiegt hatte, war in der Bedeutungslosigkeit verschwunden, sie waren die ökonomischen Verlierer. Putin nutzte diese Unterlegenheitsgefühle, um neuen Stolz zu entfachen. Er projizierte Russland, die russische Welt, als die bessere Alternative zum angeblich dekadenten Westen. Er beschwor russische Werte wie Vaterlandsliebe, Familienwerte und Aufopferungsbereitschaft und verdammte gleichzeitig die Freiheiten der westlichen Welt als Schwäche und Zeichen von Dekadenz, zum Beispiel die Akzeptanz von Homosexuellen – in Russland wurden die inzwischen verprügelt.

Würden Sie sagen, dass die Russen mehrheitlich auf Putins Seite sind?

Ich würde sagen, dass Putin weit mehr Unterstützung genießt, als man sich das im Westen wünschen würde. Ein wichtiger Grund ist der alles umspannende Propaganda-Apparat. Im Fernsehen, dem nach wie vor dominanten Medium, sehen die Menschen moderne Industriebetriebe und strahlende Städte wie Moskau oder St. Petersburg. Doch fahren Sie einmal mal aus Moskau hinaus, eine Stunde vielleicht. Dann kommen Sie in ein anderes Russland: in das der einstürzenden Altbauten, der verrotteten Infrastruktur, der Hoffnungslosigkeit. Selbst dort aber glauben die Menschen an die Projektion des guten Zaren Putin, der das Beste für das Land will, aber an unfähigen und korrupten Bürokraten scheitert – und sein Land vor der wachsenden Bedrohung aus dem Westen schützt. Es ist eine zynische Scharade, die aber leider funktioniert.

Was ist mit den jungen Russen?

Vielen fehlt schlicht die Perspektive. Deswegen wandern sie aus, seit Jahren schon, wenn sie eine Chance sehen, qualifiziert sind, Fremdsprachen beherrschen. Wissenschaftler, IT-Spezialisten, Mediziner, Ingenieure – der Braindrain ist längst im Gange und hat sich durch den Ukrainekrieg noch einmal dramatisch verschärft.

Das klingt eher düster ...

Ich wünschte, es wäre anders.

Udo Lielischkies ist ein deutscher Fernsehjournalist. Er hat jahrelang das ARD-Studio in Moskau geleitet. Er gilt als profunder Kenner russischer Politik und ist nicht zuletzt deshalb als Redner gefragt. Lielischkies hat Familie und viele Freunde in Russland. Das Interview stammt aus dem Magazin Position, das Sie hier kostenfrei abonnieren können.

 

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