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Risiken und Nebenwirkungen

- Julian Marx

Die Inflation muss runter – darin sind sich alle Notenbanker einig. Doch zu welchem Preis? Über die hohe Kunst der Geldpolitik und deren Risiken. 

In diesem Jahr kannte die Geldpolitik bislang nur eine Richtung. Die (massiv) steigenden Inflationsraten führten zu einer ernsthaften Entschlossenheit der Notenbanker, der Preisentwicklung entgegenzuwirken. Vor allem die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) zeigte sich als „Währungshüter“: Bis November diesen Jahres hob sie ihre Leitzinsen in eine Bandbreite von 3,75 bis 4,0 Prozent an. Das sind 3,75 Prozentpunkte mehr als zu Jahresbeginn. Auch die Europäische Zentralbank (EZB) hat mittlerweile drei Leitzinsanhebungen in Höhe von insgesamt 2,0 Prozentpunkten vorgenommen.

Jetzt treffen die geldpolitischen Maßnahmen auf die Realität. Notenbanker wie Bürger schauen mit Spannung darauf, ob die restriktivere Geldpolitik tatsächlich die erwünschte Wirkung hat. Egal ob EZB-Präsidentin Christine Lagarde, US-Notenbankchef Jerome Powell oder Andrew Bailey, Vorsitzender der Bank of England: Sie alle verwiesen jüngst auf wohlbekannte geldpolitische Zusammenhänge. Konkret sagten sie, dass sich die (volle) Wirkung geldpolitischer Maßnahmen erst mit einer gewissen Zeitverzögerung einstellt. Wirklich „neu“ ist dieser Zusammenhang natürlich nicht. Neu ist jedoch, dass sämtliche Notenbanker ihn zuletzt explizit erwähnten; und das aus gutem Grund. Denn alle Notenbanken sehen sich zunehmend einem Spannungsfeld gegenüber – den Risiken und Nebenwirkungen ihrer Maßnahmen.

Geduld oder Tatendrang?

Einerseits ist den Geldpolitikern sehr bewusst, dass die Inflation nicht über Nacht verschwinden wird. Nachholeffekte wie Lohnerhöhungen sprechen vorerst für anhaltend hohe (Kern-) Inflationsraten. Der Bundesbankpräsident Joachim Nagel hält es daher für wahrscheinlich, dass die deutschen Verbraucherpreise 2023 im Schnitt um gut sieben Prozent steigen könnten. Aus diesem Blickwinkel ist die Geldpolitik wohl gut beraten, weiterhin einen restriktiven Kurs zu fahren, um die Kosten (anhaltend) hoher Inflationsraten so gering wie möglich zu halten.

Andererseits dürften uns signifikante realwirtschaftliche Belastungen, die von der restriktiveren Geldpolitik forciert werden, erst noch bevorstehen. Zwar gab es bereits in diesem Jahr einen spürbaren Rückgang der Reallöhne. In Deutschland sanken sie im zweiten Quartal 2022 etwa um 4,4 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal. Allerdings dürfte die Wirtschaftsentwicklung in diesem Jahr vielerorts (noch) von den Corona-Ersparnissen der Konsumenten und den „alten“ Auftragsbüchern der Unternehmen profitiert haben. Ab dem nächsten Jahr entfaltet sich die Wirkung der bereits getroffen geldpolitischen Maßnahmen dann deutlich stärker, was für viele Unternehmen und Haushalte zu einer echten Belastungsprobe werden dürfte.  

Die Kostenlawine kommt ins Rollen

Ein Bereich, in dem Geldpolitik sehr kurzfristig eine starke Wirkung entfalten kann, ist beispielsweise der Wohnungsbau. Hauskäufer müssen neben den immer noch hohen Baupreisen plötzlich rasant gestiegene Kreditkosten einkalkulieren. Die Zinsen für Baugeld haben sich seit Jahresanfang vervielfacht. Insofern ist die Entwicklung des Auftragseingangs beim Wohnungsbau in Deutschland nicht überraschend: Im August 2022 sanken die Auftragseingänge um 24 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Eine dramatische Entwicklung, die sich zuletzt eher noch verstärkt haben dürfte.

Aber nicht nur die sinkende Zahl an neuen Krediten wird zur realwirtschaftlichen Belastung. Auch Altkredite werden zur Konjunkturbremse. Müssen sie in den meisten Fällen doch früher oder später durch höher verzinste Kredite ersetzt werden, was dem ein oder anderen Schuldner wohl schon jetzt den Schlaf rauben dürfte. In den verschiedenen „Kreditlandschaften“ gestaltet sich die Situation dabei sehr unterschiedlich, denn je nach Region verschulden sich die Menschen anders.

Besonders hart dürfte der Zinsanstieg etwa Immobilienbesitzer im Vereinigten Königreich treffen. In Großbritannien haben rund 30 Prozent der Haushalte einen Immobilienkredit am Laufen. Jeder fünfte Immobilienkredit ist dabei variabel verzinst und die monatlichen Raten orientieren sich an der Entwicklung der Bank Rate, dem Leitzins der Bank of England. Der diesjährige Anstieg der Bank Rate auf 3,0 Prozent – nach 0,1 Prozent ein Jahr zuvor – schlägt bei variabel verzinsten Immobilienkrediten oftmals ohne jeden Zeitverzug durch.

Aber auch die übrigen 80 Prozent der Immobilienkreditnehmer des Vereinigten Königreichs sehen sich häufig zeitnah steigenden Zinskosten gegenüber – verfügen sie doch zumeist nur über kurze Zinsbindungsfristen. Allein bis Ende 2023 endet die Zinsbindung von gut zwei Millionen Haushalten. Für britische Haushalte kommt es daher knüppeldick. Als wären die inflationsbedingten Kaufkraftverluste nicht genug, sehen sich zahlreiche Briten in den kommenden Quartalen auch noch massiv steigenden Zinskosten gegenüber. Entsprechend düster waren die jüngsten Prognosen der britischen Notenbanker. Nach ihrer Einschätzung könnte das Vereinigte Königreich in eine Rezession rutschen, die bis in die erste Jahreshälfte 2024 andauern könnte. Das sind schlechte Aussichten.

Schritt für Schritt

Die realwirtschaftlichen Implikationen der jüngeren Geldpolitik sind in allen Industrieländern eindeutig: Die Notenbanker wollen (und müssen) die Inflation herunterbringen. Daher ist es geldpolitisch gewünscht, die Nachfrage zu drosseln und sogar eine mögliche Rezession in Kauf zu nehmen. Einerseits.

Andererseits bleibt ein Problem bestehen. Die volle Wirkung steigender Zinsen wird erst mit einem gewissen Zeitverzug sichtbar. Daher besteht das Risiko, dass die Geldpolitik über das Ziel hinausschießt und die Realwirtschaft durch eine zu restriktive Geldpolitik unbeabsichtigt stark abwürgt. Diesem Risiko ist sich die Geldpolitik bewusst, wie Christin Lagarde und ihre Kollegen zuletzt betonten. Eine behutsame Vorgehensweise, die EZB spricht von einem „meeting-by-meeting approach“, soll dabei helfen.

Anders ausgedrückt: Eine blinde Inflationsbekämpfung um jeden Preis wird es nicht geben. Das geldpolitische Vorgehen erfolgt Schritt für Schritt in Abhängigkeit der jeweils aktuellen Datenlage. Auf diese Weise sollen die Kollateralschäden steigender Zinsen begrenzt werden. Was theoretisch gut klingt, durchläuft im kommenden Jahr den Praxistest. Wie gut es funktionieren wird – das lässt sich jetzt noch nicht sagen. Inflation zerstört Wohlstand, Lebensentwürfe, privates Glück – ebenso wie eine tiefe Rezession. Kommt beides zusammen, dann droht eine (noch) größere Krise.

Jetzt ist geldpolitische Kunstfertigkeit gefragt. Orientierung in einem hochkomplexen Umfeld. Die Suche nach einem Mittelweg, der uns (hoffentlich) an das gewünschte Ziel führt.

 

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