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Gesellschaft
6 Minuten

„Viel mehr Grau als Schwarz und Weiß“

Nachhaltiges Investieren ist eines der wichtigsten Themen der Finanzbranche. Zusammengefasst wird es gemeinhin unter dem Kürzel ESG. E für Environment (Umwelt), S für Social (Soziales) und G für Governance (die gute Unternehmensführung). Im Interview spricht Frederike von Tucher, zuständig für das Thema ESG im Bereich Corporate Communications, über die Wünsche von Anlegern und falsche Erwartungen.

Einige Fondsgesellschaften sind zuletzt in die Kritik geraten wegen ihrer ESG-Produkte, die offenbar gar nicht so nachhaltig sind wie behauptet. Bert Flossbach hatte vor etwa zwei Jahren vor einem „Dieselskandal für die Fondsbranche“ gewarnt. Fühlen Sie sich heute darin bestätigt?

Das hat weniger mit Bestätigung, oder sich bestätigt fühlen zu tun, als vielmehr mit der Komplexität des Themas. Nachhaltigkeit ist das drängendste Thema unserer Zeit. Es ist verbunden mit riesigen Erwartungen – von Anlegern, die ihr Geld sinnvoll anlegen wollen. Aber auch von Vertretern unserer Branche, die ordentliche Produkte anbieten möchten, ohne so recht zu wissen, wie die im Detail aussehen sollen. Für beide Seiten nicht ganz einfach.

Anders gefragt: Täuscht der Eindruck, dass Flossbach von Storch als Gesellschaft bisher sehr kritisch ist, was ESG-Themen betrifft?

Natürlich sind wir kritisch, aber nicht in dem Sinne, dass wir das Thema negieren oder kleinreden wollen. Das Gegenteil ist der Fall. Wir sind kritisch, weil das Thema Nachhaltigkeit so wichtig ist – auch uns. Wie der Fußballfan stets der größte Kritiker seines Clubs ist oder das Parteimitglied derjenige seiner Partei. Wir wollen konstruktiv-kritisch sein. Wir folgen nicht einfach einer Marktmeinung oder einem Trend, sondern versuchen uns eine eigene Meinung zu bilden. Unseres Erachtens der einzig richtige Weg, um verantwortungsvoll mit dem Thema umzugehen.

Ganz banal: Was bedeutet für Sie nachhaltig?

So banal ist das gar nicht.

Aber?

Die Frage zeigt vielmehr, wie schwierig, ja fast schon unmöglich es ist, eine einheitliche Definition zu formulieren. Es gibt nichts, was nicht mindestens mal einen riesigen Ermessensspielraum böte. Im Grunde lässt sich alles in den Begriff Nachhaltigkeit hineininterpretieren.

Und wenn Sie eine Definition liefern müssten ...

... dann würden wir es mit Hans Carl von Carlowitz halten. Sein Nachhaltigkeitsbegriff entstammt der Forstwirtschaft des 18. Jahrhunderts und ist im Grunde so einfach wie immer noch richtig: „Fälle nicht mehr Holz als nachwachsen kann.“

Das klingt sehr puristisch.

Aber mehr braucht es auch nicht – wenn sich nur jeder daran hielte. Dazu passen Adjektive wie dauerhaft, beständig, stabil, zukunftsfähig und langfristig.

Wo liegt denn aus Ihrer Sicht das größte Problem in der ESG-Diskussion?

Dass immer so getan wird, als sei es das Leichteste der Welt, zu sagen, welches Unternehmen, welche Anlage „nachhaltig“ ist und welche nicht. Als ließe sich die Investmentwelt ganz einfach in Gut und Böse einteilen und voneinander trennen wie Papier von Plastikmüll. Das funktioniert aber nur bei ganz wenigen Unternehmen und Branchen; bei der großen Mehrheit klappt es eben nicht. Da ist viel mehr Grau als Schwarz oder Weiß. Und es gibt keine Instanz, die allgemeingültig und damit verbindlich sagen könnte, was nachhaltig ist und was nicht.

Was ist mit den Ratingagenturen?

Die stehen vor dem gleichen Problem.

Inwieweit?

Sie sollen Tausende Unternehmen anhand Hunderter – mehr oder weniger – geeigneter Kriterien bewerten. Nur wie soll das funktionieren? Es ist keine Seltenheit, dass Agentur A bei Unternehmen B zu einem ganz anderen Urteil als Agentur C kommt.

Haben Sie Beispiele?

Konkrete Beispiele dürfen wir leider nicht nennen, aber wir haben uns viele Ratings angeschaut, von verschiedenen Agenturen zu den gleichen Unternehmen. Die Unterschiede waren zum Teil beträchtlich. Ein erschreckendes Ergebnis. Zwischen Vorzeigeunternehmen und Umweltverschmutzer ist es offenbar ein schmaler Grat. Das Problem ist, dass am Ende Unternehmen, Investments, Produkte mit einem Nachhaltigkeitssiegel versehen werden, die womöglich alles sind, nur eben nicht nachhaltig.

Werden die Anleger betrogen?

Vorsätzlichen Betrug würde ich niemandem unterstellen wollen. Zumal ich die falsche Ansprechpartnerin bin, um das zu beurteilen. Man wundert sich aber, wenn ein Unternehmen, das nachweislich in einer sehr energieintensiven Branche unterwegs ist, besonders gute ESG-Noten bekommt. Wenn man dann genauer hinschaut, fällt auf, dass das Management ein paar Solarkollektoren auf dem Dach der Firmenzentrale hat anbringen lassen – und das besonders gut vermarktet.

Sie scheren sich also nicht um ESG-Ratings?

Es spricht nichts dagegen, ESG-Analysen zu lesen. Sie machen auf den ein oder anderen kritischen Punkt aufmerksam, mehr aber nicht. Sie dürfen aus Investorensicht niemals die eigene Analyse ersetzen. Ein Standard-Fragen-Katalog kann die Beschaffenheit eines Unternehmens nicht angemessen erfassen, nicht mal annähernd. Oft fällen die ESG-Analysten ihr Urteil, ohne das Unternehmen jemals kontaktiert, geschweige denn es von innen gesehen zu haben. Wobei man es ihnen nicht einmal verübeln kann.

Warum?

Weil ein Analyst eben nicht fünf oder sechs Unternehmen bewerten muss, sondern Hunderte.

Was macht Flossbach von Storch denn besser?

Ich mag da nicht in Kategorien wie „besser“ oder „schlechter“ argumentieren. Was wir tun, ist zu versuchen, ein möglichst tiefes Verständnis für die Unternehmen zu entwickeln, in die wir investieren. Das setzt voraus, dass sich ein Analyst um deutlich weniger Unternehmen kümmert, das aber umso intensiver. Vor allem im Bereich der ESG-Datenverfügbarkeit und -qualität wird sich in den kommenden Jahren viel tun, dem werden wir in unserem Analyseprozess Rechnung tragen. Insofern ist das Thema Nachhaltigkeit ein elementarer Bestandteil unseres Investmentprozesses – seit jeher im Übrigen. Nicht erst seit gestern.

Geht es auch ein bisschen konkreter?

Letztlich sind wir davon überzeugt, dass der Schlüssel zu einer sinnvollen Nachhaltigkeitsdebatte in den Unternehmen liegt, dem G für gute Unternehmensführung deshalb eine sehr viel größere Bedeutung zukommen müsste. Vielleicht sollten wir nicht ESG sagen, sondern GSE oder GES.

Wird das G unterschätzt?

Chronisch, ja!

Warum ist das so?

Weil das G weniger griffig ist als beispielweise der CO2-Ausstoß und weniger bedrohlich klingt als die Klimakrise. In der öffentlichen Diskussion geht es stattdessen fast ausschließlich um das E für Environment, also die Umwelt.

Anders gefragt: Warum sollte das G wichtiger sein als das E?

Gute Unternehmensführung bringt die Interessen von Managern mit denen der Stakeholder, insbesondere der Eigentümer, der Aktionäre, in Einklang. Manager sollten nicht nur über Fachkompetenz verfügen, sondern auch über ein hohes Maß an Integrität. Sie müssen denken und handeln wie Eigentümer: langfristig. Wie Forstwirte. Da wären wir wieder bei von Carlowitz. Anders formuliert: Es darf ihnen nicht darum gehen, persönliche Interessen zu optimieren.

Aber was hat das mit Nachhaltigkeit zu tun?

Nachhaltigkeit darf kein Lippenbekenntnis sein. Denn ein Unternehmen kann nur dann nachhaltig erfolgreich sein, wenn es seine Kunden gut bedient, seine Mitarbeiter motiviert, fair mit seinen Geschäftspartnern umgeht, ausreichend investiert, Steuern zahlt und eben keine Umweltschäden anrichtet. Ökologie und Soziales sind also Voraussetzung für langfristigen wirtschaftlichen Erfolg. Das eine geht nicht ohne das andere. Dieser Zusammenhang erschließt sich aber nur selten auf den ersten Blick, weil eine gute Corporate Governance eben nicht so einfach messbar ist wie der CO2-„Fußabdruck“ eines Unternehmens.

Also wird das E im Umkehrschluss überschätzt?

Nein, wird es nicht. Es geht uns eher um Zusammenhänge. Darum, dass weder E noch S oder G für sich allein stehen und wirken. Investments beispielsweise nur deshalb zu tätigen, weil man damit etwas für die Umwelt tun möchte, hat in der Vergangenheit häufig zum Totalverlust geführt.

Haben Sie ein konkretes Beispiel?

Die vielen, mittlerweile insolventen deutschen Solar- und Windenergiefirmen etwa. Die waren zwar grün, aber nicht nachhaltig. Weder für die Aktionäre, noch für die Mitarbeiter und deren soziales Umfeld. Letztlich kann ein Unternehmen nur dann Positives für Umwelt und Gesellschaft leisten, wenn es profitabel wirtschaftet und genügend Geld für Forschung und Entwicklung hat – für Investitionen in die Zukunft. Ökologie und Ökonomie sind kein Widerspruch. Sie bedingen und brauchen einander. Ohne Ökonomie keine Ökologie.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview ist in der aktuellen Position erschienen. Das Magazin können Sie kostenfrei abonnieren.

 

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