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Vielfalt ist (k)ein Problem

- Julian Marx

Am 1. Juni 1998 wurde die Europäische Zentralbank gegründet. Sie feiert ihr 25-jähriges Bestehen. Doch die ökonomische Divergenz der Euro-Mitgliedstaaten ist enorm. 

Die Europäische Zentralbank (EZB) ist nicht irgendeine Zentralbank. Sie ist Teil eines großangelegten politischen Projekts. Zunächst haben elf Länder ihre Geldpolitik an sie übertragen und damit von einer nationalen auf die Gemeinschaftsebene gehoben. Das war Ende der 1990er Jahre ein großer Schritt auf dem Weg zur Verwirklichung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion.

Um die gemeinsame Geldpolitik nicht zu belasten, sollten die teilnehmenden Volkswirtschaften über eine annähernd gleiche ökonomische Stärke verfügen. Dafür hatten sie sich auf exakte Kriterien festgelegt. Doch schon früh war klar, dass die angestrebte Konvergenz wohl nie abschließend erreicht würde. Gerade die Haushaltsdisziplin einiger Mitgliedstaaten bereitete außenstehenden Betrachtern bereits vor der EZB-Gründung Bauchschmerzen.

Zwar konnte beispielsweise das damals hochverschuldete Belgien das jährliche Haushaltsdefizit zwischen 1992 und 1997 von 8,4 auf 2,2 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) reduzieren. Angesichts einer Staatsschuldenquote von 124 Prozent des BIP war das aber immer noch zu wenig, um die vereinbarten Maastricht-Kriterien, die eine maximale Staatsschuldenquote von 60 Prozent vorsahen, zu erfüllen. So urteilte der Vorläufer der EZB, das Europäische Währungsinstitut (EWI), 1998 im Rahmen seines abschließenden Konvergenzberichts: „Die Notwendigkeit einer Konsolidierung der öffentlichen Finanzen steht im Gegensatz zu den beträchtlichen tatsächlichen Defiziten in vielen Ländern.“

Doch damals war die politische Entscheidung, das Projekt „Euro“ mit den elf Gründungsländern zu starten, bereits gefallen. Die teilweise zu hohen Schuldenquoten hatten darauf keinen Einfluss mehr. Und so startete die Eurozone mit einem „angeborenen“ Konstruktionsfehler.

Wirtschaftliche Diversität

Noch immer gilt die wirtschaftliche Konvergenz der mittlerweile 20 Mitgliedsländer als ausbaufähig – und damit als wesentliche Schwachstelle des Euroraums. Zuletzt ist Kroatien am 1. Januar diesen Jahres der Eurozone beigetreten, womit insgesamt rund 350 Millionen Bürgerinnen und Bürger von den Vorteilen der Gemeinschaftswährung profitieren, wie einer Beseitigung der Wechselkursrisiken innerhalb des Binnenmarkts oder einer höheren Preistransparenz. Doch am EZB-Hauptsitz in Frankfurt hat der Mitgliederzuwachs die Arbeit kaum vereinfacht.

Denn die wirtschaftliche Bandbreite, innerhalb der sich die Mitgliedstaaten bewegen, hat sich immer weiter erhöht. So lag das kroatische Pro-Kopf-BIP im vergangenen Jahr bei 17.130 Euro. Im Durchschnitt erwirtschafteten die Bürger der Eurozone ein mehr als doppelt so hohes Pro-Kopf-BIP, das bei 38.450 Euro lag. Auch der Arbeitsmarkt offenbart große Unterschiede innerhalb der Währungsgemeinschaft. Waren in Deutschland zuletzt rund drei Prozent aller Erwerbspersonen arbeitslos, betrug die Arbeitslosenquote im Schnitt der Eurozone etwas weniger als sieben Prozent. In Spanien waren es sogar knapp dreizehn Prozent.

Zudem existieren wesentliche Unterschiede in der Kreditlandschaft der Mitgliedsländer, so dass die Auswirkungen der Geldpolitik in einigen Ländern deutlich schneller spürbar werden als in anderen. Während beispielsweise Finnland, Italien, Österreich oder Spanien über einen hohen Anteil variabel verzinster Wohnungsbaukredite verfügen, werden Hauskredite in Belgien, Deutschland, Frankreich oder den Niederlanden überwiegend mit einer langen Zinsbindung ausgestattet.

Daher dämpfen die Zinserhöhungen zwar in allen Mitgliedsländern die Zahl der neu vergebenen Immobilienkredite. Allerdings sind die durchschnittlichen Kreditzinsen, die etwa deutsche und französische Haushalte auf die insgesamt ausstehenden Immobilienkredite zahlen müssen, trotz eines deutlich höheren Zinsniveaus im Euroraum bislang kaum gestiegen, während sich die Kreditraten in Finnland und Spanien im Durchschnitt bei Immobilienfinanzierungen bereits spürbar verteuert haben (vgl. Grafik).

Vielfalt ist (k)ein Problem -

Geldpolitische Gleichbehandlung

Doch nicht nur bei den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen existieren signifikante Unterschiede zwischen den Eurostaaten.

Auch die Inflationsdynamik ist nicht homogen. Während die Inflation im April beispielsweise in Belgien und Spanien weniger als vier Prozent betrug, lag sie in Italien und Österreich bei mehr als acht Prozent (vgl. Grafik).

Vielfalt ist (k)ein Problem -

Die EZB muss zwar grundsätzlich „nur“ auf die Eurozonen-Inflation achten, die zuletzt bei 7,0 Prozent lag. Zudem existieren auch in den Vereinigten Staaten von Amerika signifikante Unterschiede bei den Inflationsraten. So betrug die April-Inflation in der Region „Urban Alaska“ nur 3,1 Prozent, in „Atlanta/Sandy Springs/Roswell“ 5,8 Prozent und in „Miami/Fort Lauderdale/West Palm Beach“ sogar 9,0 Prozent. Insofern sind regionale Inflationsunterschiede also kein Merkmal, das spezifisch für den Euroraum ist.

Dennoch bleibt das Problem, dass die Geldpolitik nicht immer passgenau auf die jeweiligen nationalen Bedürfnisse der Mitgliedsstaaten zugeschnitten sein kann, auch wenn für den Moment eine entschlossene Inflationsbekämpfung noch nicht zum Streitpunkt wird. Schließlich sind die Inflationsraten in allen Eurostaaten viel zu hoch.

Probleme kommen und gehen

Eines ist klar: Der Euroraum ist spürbar heterogener als etwa die Vereinigten Staaten von Amerika. Angesichts einer fehlenden Fiskalunion ist die Wahrscheinlichkeit hier höher, dass vor allem Sorgen um die Schuldentragfähigkeit einzelner Mitgliedstaaten zukünftig wieder zur Belastung werden können und die geldpolitische Handlungsfähigkeit einschränken.

Auch ist die Mobilität von Arbeitskräften im Euroraum vermutlich geringer. Zwar garantiert der Europäische Binnenmarkt die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, allerdings dürften insbesondere Sprachbarrieren eine höhere Mobilität verhindern. Zudem existieren, wie oben skizziert, spürbare Unterschiede in der Kreditlandschaft einzelner Euroländer. Und doch stehen diese Schwachstellen nicht im Widerspruch zur Möglichkeit einer langfristigen Erfolgsgeschichte der EZB.

Wirkt doch im Vergleich zu den gegenwärtigen Problemen der EZB der Start der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) ungleich schwieriger. 1913 gegründet, fielen in die ersten 25 Jahren ihres Bestehens einige große Krisen: So traten die USA 1917 in den Ersten Weltkrieg ein und ab 1929 folgte die Große Depression, die viele Jahre andauern sollte. Und zwischen 1930 und 1933, also zu Beginn der Großen Depression, ließ die US-Notenbank zu, dass sich die Geldmenge um rund 30 Prozent verringerte. Die Folgen waren enorm: Im Gleichlauf sanken die Verbraucherpreise um bis zu elf Prozent pro Jahr.

Diese massive Deflation verschlechterte die Schuldentragfähigkeit, erhöhte die Konsum- und Investitionsunsicherheit, ließ die Arbeitslosigkeit in die Höhe schnellen und zwang Banken, Unternehmen und Privatpersonen in die Insolvenz. Dennoch ist die Fed nicht an dieser oder an anderen Krisen zerbrochen. Im Gegenteil konnte sich der US-Dollar sogar als dominierende Reservewährung etablieren.

Ob der Euro eine ähnliche Erfolgsgeschichte schreiben wird? Möglich ist es, doch dürfte die Antwort auch vom Blickwinkel abhängen. Denn einerseits hat die EZB mit der Eurokrise und der Pandemie bereits zwei große Hürden genommen. Sie hat gezeigt, dass sie in der Lage ist, die Währungsgemeinschaft in Krisenzeiten zusammenzuhalten. Zudem wohnt der wirtschaftlichen Heterogenität, die mit einer hohen und wachsenden Zahl an Mitgliedstaaten verbunden ist, eine positive Botschaft inne. Bedeutet es doch, dass sich immer mehr Menschen aktiv für eine Zukunft im Euroraum entscheiden – und dem Euro vertrauen.

Andererseits liegt hierin eine chronische Schwachstelle des Euroraums. Das stetige Mitgliederwachstum lässt die Hoffnung auf eine wirtschaftliche Konvergenz im Euroraum mittelfristig illusorisch erscheinen. Vermutlich kann die EZB ein langes Fortbestehen des Währungsraums zwar sichern. Doch musste sie dafür die Stabilitätskultur der Deutschen Bundesbank opfern, deren Erbe sie eigentlich antreten sollte. Der Erfolg liegt also im Auge des Betrachters.

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