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Abspaltung des Chinageschäfts - Der unternehmerische Beitrag zum „De-Risking“

Norbert F. Tofall

Bereits vor einem Jahr hatten wir in dem Beitrag „Strukturwandel der Globalisierung“ darauf hingewiesen, daß bei fortschreitender De-Globalisierung und neuer Bipolarität der Weltwirtschaft und der internationalen Beziehungen eine Situation entstehen kann, in welcher europäische Unternehmen gezwungen sein könnten, sich entweder für einen von den USA oder für einen von China angeführten Handelsraum zu entscheiden oder sich entsprechend rechtlich und ökonomisch aufzuspalten.1 Jetzt scheint mit dem Arzneimittelhersteller Astra-Zeneca der erste Fall vorzuliegen, in welchem ein europäischer Konzern prüft, sein China-Geschäft aufgrund geopolitischer Risiken abzuspalten. Das britisch-schwedische Unternehmen erwäge nicht nur seine Geschäfte in China in einem eigenständigen Unternehmen zu bündeln, sondern sogar eine eigene Börsennotierung in Hongkong für das abgespaltene Unternehmen vornehmen zu lassen.2

Ob die Abteilungen für strategische Unternehmensplanung anderer europäischer Unternehmen und Konzerne ähnliche Überlegungen anstellen, ist derzeit nicht bekannt, aus Anlegersicht aber zu hoffen. Zwar hat die US-amerikanische Finanzministerin Janet Yellen während ihres China-Besuchs in der letzten Woche betont, daß sie eine Entkopplung der chinesischen und der US-amerikanischen Wirtschaft weder für wünschenswert noch für realisierbar halte und man deshalb ein „De-Risking“ und nicht ein „De-Coupling“ von China verfolge, aber was das konkret heißt, ist momentan vollkommen offen. Auf jeden Fall dürften die ökonomischen Folgen einer Blockade Taiwans durch China oder einer chinesischen Invasion – De-Risking hin und De-Coupling her – für die Weltwirtschaft erheblich größere Ausmaße annehmen als die negativen ökonomischen Folgen von Russlands Krieg in der Ukraine. Die taiwanesische Regierung rechnet mit einem Angriff von China auf Taiwan innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre.

Aber selbst für den Fall, daß China von einer Blockade Taiwans oder einer Invasion militärisch und ökonomisch abgeschreckt werden kann, bleiben die geopolitischen Risiken des China-Geschäfts für europäische Unternehmen enorm. In China wurde die Ein-Parteien-Herrschaft der KPCh zur totalitären Kontrolle der Gesamtgesellschaft ausgebaut, was die Wirtschaft und große chinesische Unternehmen deutlich zu spüren bekommen. Zudem wurde Hongkong vertragswidrig gleichgeschaltet. Und außenpolitisch werden Gebietsansprüche, beispielsweise im südchinesischen Meer, erhoben und durch das Aufschütten von Inseln, die als Militärbasen dienen, rücksichtslos durchgesetzt. Im Außenhandel hat China jetzt Rohstoffkontrollen eingeführt, um wohl vornehmlich die weltweite Chipproduktion zu treffen. Ab dem 1. August 2023 sind für den Export von Germanium und Gallium spezifische Ausfuhrgenehmigungen erforderlich. Beide Rohstoffe werden neben der Chipproduktion, auch in der Solarindustrie sowie in der Autoindustrie und der Rüstung benötigt. Weitere Beschränkungen von Rohstoffexporten sind nicht ausgeschlossen. Darüber hinaus ist China bestrebt, daß seine Währung im globalen Handel vermehrt verwendet wird.

Wie sich all diese Dinge entwickeln werden und was das für die zukünftige Struktur der Weltwirtschaft letztlich bedeutet, ist offen. Die mit diesen Entwicklungen verbundenen Risiken liegen aber auf der Hand. Gleichzeitig ist der chinesische Markt jedoch zu groß und die Umsatzabhängigkeit europäischer Unternehmen und insbesondere der deutschen Großindustrie zu ausgeprägt,3 als daß man den chinesischen Markt einfach links liegen lassen könnte. Dem Risiko, das Chinageschäft zu verlieren, wenn die politischen Spannungen eskalieren, steht das Risiko gegenüber, das Chinageschäft zu verpassen, wenn die Spannungen unter der kritischen Schwelle bleiben. Aus Sicht der individuellen und bereits in die Umsatzabhängigkeit von China geratenen Unternehmen stellt sich deshalb die Frage, wie man im China-Geschäft bleiben, aber trotzdem die aus dem China-Geschäft folgenden Abhängigkeiten und Risiken minimieren kann.

Gerade weil die zukünftige Entwicklung ungewiß ist, könnte die Aufspaltung von Unternehmen und Konzernen und die Abspaltung des China-Geschäfts in eigenständige Unternehmen eine Möglichkeit darstellen, an möglichen positiven zukünftigen Entwicklungen zu partizipieren, ohne die Risiken für die Heimatunternehmen existenzgefährdend groß zu belassen. Selbstredend ist die Abspaltung des China-Geschäfts für ein Unternehmen aufgrund von Lieferverflechtungen, Vorprodukten, Lizenzen usw. alles andere als trivial und kostenlos und wird deshalb von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich beantwortet werden müssen. Sollte eine Aufspaltung aber umsetzbar sein, dann würde sicherlich ein unternehmerischer Beitrag zu einem De-Risking von China geleistet:

  • Für den Fall, daß sich die geopolitischen Risiken nicht realisieren sollten, könnten die Bewertungen für die abgespaltenen Unternehmen sogar signifikant steigen.
  • Für den Fall, daß sich die geopolitischen Risiken - wie eine Blockade oder Besetzung Taiwans - realisieren sollten, könnten die ökonomischen Folgen indes begrenzt werden. Ein rechtlich eigenständiges Unternehmen, das in China Autos baut und verkauft, kann im Falle von internationalen Wirtschaftssanktionen nicht so leicht getroffen werden wie ein Unternehmen, das international agiert und das sich unter Umständen kurzfristig entscheiden muß, auf einen Teil seines Geschäftes, z.B. in den USA, zu verzichten.

Der Teufel liegt natürlich im Detail. Entscheidend ist die unternehmens- und konzernspezifische Lage und das rechtliche und betriebswirtschaftliche Design einer Abspaltung. Angesichts der drohenden ökonomischen Folgen einer Blockade oder Besetzung Taiwans durch China ist jedoch nur zu hoffen, daß sich die Abteilungen für strategische Unternehmensplanung der deutschen Großindustrie mit der Option Abspaltung des China-Geschäfts beschäftigen. Im Jahr 2021 beruhten 38 Prozent des Umsatzes von Infineon, 37,2 Prozent des Umsatzes von VW, 32,2 Prozent des Umsatzes von Daimler, 31,7 Prozent des Umsatzes von BMW, 22,3 Prozent des Umsatzes von Covestro, 21,6 Prozent des Umsatzes von Adidas, 15,3 Prozent des Umsatzes von BASF, 14,7 Prozent des Umsatzes von Merck und 13,2 Prozent des Umsatzes von Siemens auf dem chinesischen Markt.4

Vor dem 24. Februar 2022 wollte in der deutschen Energiewirtschaft niemand etwas von Risiken und Abhängigkeiten durch russische Gaslieferungen wissen. Die Folgen sind bekannt. Anleger können nur hoffen, daß sich eine derartige Überraschung nicht bezüglich China im großen Maßstab wiederholt.


1 Vgl. Norbert F. Tofall: Strukturwandel der Globalisierung, Kommentar zu Wirtschaft und Politik des Flossbach von Storch Research Institute vom 8. Juli 2022, online: https://www.flossbachvonstorch-researchinstitute.com/de/kommentare/strukturwandel-der-globalisierung/

2 Vgl. Philip Plickert: „Astra-Zeneca erwägt Abspaltung des China-Geschäfts“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 20. Juni 2023, Nr. 140, S. 18.

3 Siehe Norbert F. Tofall: China und „Die unmögliche Tatsache“, Kommentar des Flossbach von Storch Research Institute vom 16. Dezember 2022, online unter: https://www.flossbachvonstorch-researchinstitute.com/de/kommentare/china-und-die-unmoegliche-tatsache/

4 Siehe „Das Problem der deutschen Industrie mit China“, Handelsblatt vom 17. Oktober 2022, online: https://www.handelsblatt.com/politik/international/vw-siemens-basf-das-problem-der-deutschen-industrie-mit-china/28742052.html

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