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Deutschland hat gewählt

- Norbert F. Tofall

Folgt eine kleine Wirtschaftswende oder die große Sackgasse?

Deutschland hat am gestrigen 23. Februar 2025 einen neuen Bundestagwahl gewählt. Laut vorläufigem amtlichen Endergebnis der Bundeswahlleiterin (Stand: 24.2.2025 um 1.33 Uhr) sind sechs Parteien, die fünf Fraktionen bilden werden, im neuen Deutschen Bundestag vertreten: CDU/CSU kommen zusammen auf 28,6 Prozent und 208 Sitze, die AfD kommt auf 20,8 Prozent und 152 Sitze, die SPD auf 16,4 Prozent und 120 Sitze, die Grünen auf 11,6 Prozent und 85 Sitze und die Linke auf 8,8 Prozent und 64 Sitze. Der SSW erhält wegen einer staatsrechtlichen Ausnahmereglung für die dänische Minderheit 1 Sitz. Die FDP ist mit 4,3 Prozent deutlich an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. Das BSW kommt auf 4,97 Prozent und könnte aufgrund von Nachzählungen und einer Korrektur des Endergebnisses vielleicht noch in den Bundestag einziehen, was die Bildung einer neuen Bundesregierung erschweren würde.

Der nächste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland wird voraussichtlich der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz sein. Wenn das BSW nicht in den Bundestag einzieht, hätte eine Koalition aus CDU/CSU und SPD die absolute Mehrheit. Eine Koalition mit der AfD haben CDU/CSU kategorisch ausgeschlossen, obwohl Union und AfD rechnerisch auf eine absolute Mehrheit kommen. Eine Koalition aus Union und Grünen hätte keine absolute Mehrheit ebenso wie eine Koalition aus SPD, Grünen und Linken. Sollte das BSW doch in den Bundestag einziehen, müssten CDU/CSU wahrscheinlich nicht nur mit der SPD, sondern zusätzlich mit den Grünen koalieren, also eine Dreier-Koalition wie die vorherige Ampel bilden, was jedoch Kenia-Koalition genannt wird. Bis auf Weiteres kann Friedrich Merz jedoch hoffen, nur mit der SPD koalieren zu müssen.

I.

Der amtierende Bundeskanzler Olaf Scholz hat angekündigt, weder die Koalitionsverhandlungen der SPD mit CDU/CSU zu führen noch in eine neue Bundesregierung unter Friedrich Merz als Minister eintreten zu wollen. Da nach derzeitigem Stand die Grünen nicht für die Bildung einer Bundesregierung benötigt werden, wird auch Robert Habeck keine Regierungsverantwortung mehr innehaben. Das heißt, dass die zwei Politiker, die sich im Herbst 2024 in der Ampel-Koalition geweigert haben, notwendige Priorisierungen im Bundeshaushalt und wirksame Änderungen in der Wirtschafts- und Energiepolitik vorzunehmen, nicht einer neuen Bundesregierung angehören.

Ob dadurch zumindest die Chance für eine kleine Wirtschaftswende in Deutschland besteht, dürfte von der personellen Neuaufstellung der SPD abhängen, in welcher Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) und der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil die zentralen Rollen spielen dürften. Beide müssten die SPD zumindest etwas in Richtung der alten Agenda 2010 von Gerhard Schröder drängen, was kein leichtes Spiel ist. Verteidigungs- und sicherheitspolitisch könnte eine SPD, in welcher Boris Pistorius mehr zu sagen hat, die halbherzige Politik von Olaf Scholz vielleicht aufgeben und zusammen mit Friedrich Merz und in Abstimmung mit dem französischen Staatspräsidenten Macron und anderen EU-Staaten wie insbesondere Polen die Europäische Union führen und voranbringen, was aufgrund der unsicher gewordenen transatlantischen Beziehungen dringend notwendig ist. Friedrich Merz hat bereits am Wahlabend angekündigt, dass die EU angesichts der Ukraine- und Europapolitik von US-Präsident Donald Trump sicherheits- und verteidigungspolitisch möglichst schnell unabhängig von den USA werden müsse.

Deutschland braucht dringend eine Wirtschaftswende. Und ohne eine erfolgreiche Wirtschaftswende kann Deutschland nicht zur Stabilisierung der Europäischen Union beitragen, sondern wird zur Belastung der EU. Zudem beruht eine wirksame Verteidigungs- und Sicherheitspolitik auf einer stabilen und wachsenden Wirtschaft. Diesem Zusammenhang kann sich eine SPD unter Führung von Boris Pistorius und Lars Klingbeil eigentlich nicht verschließen. Sollte die SPD diesen Zusammenhang jedoch weiterhin ignorieren und sich notwendigen Priorisierungen im Bundeshaushalt und einer wirksamen Änderung der Wirtschafts- und Energiepolitik verweigern, dann wird es in Deutschland selbst eine kleine Wirtschaftswende nicht geben. Deutschland driftet dann trotz Zweierkoalition weiter in die Sackgasse. Und diese Gefahr ist in einer Dreier-Koalition aus Union, SPD und Grünen noch erheblich größer.

II.

Durch die Ukraine- und Europapolitik von Donald Trump ist die Notwendigkeit, die deutschen Verteidigungsausgaben deutlich zu erhöhen, nochmals erheblich gestiegen. Die deshalb jetzt notwendigen Ausgaben in Deutschland für eine wirksame europäische Abschreckung und notfalls aktive militärische Verteidigung werden kurzfristig nicht allein durch Einsparungen und Priorisierungen im Bundeshaushalt zu finanzieren oder politisch durchzusetzen sein. In den jetzt anstehenden Koalitionsverhandlungen werden deshalb die Fragen im Mittelpunkt stehen, inwieweit Einsparungen durchgesetzt und inwiefern sichergestellt werden kann, dass neue Schulden nur für die Verteidigung verwendet werden.

Die Diskussionen über die Folgen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November 2023 zur Umgehung der Schuldenbremse und zur Missachtung fundamentaler Haushaltsgrundsätze1 wurden bereits durch Vorschläge dominiert, wie die heutige Schuldenbremse im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland weiter flexibilisiert und aufgeweicht werden kann, um sogenannte Zukunftsinvestitionen zu ermöglichen. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil dafür gesorgt, dass der Artikel 115 Absatz 2 des Grundgesetzes eingehalten werden muss, was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Dass es nichtsdestotrotz aus fast allen politischen Lagern Vorschläge hagelt, den scharfgestellten Artikel 115 Absatz 2 aufzuweichen, kann jedoch nicht die Tatsache aus der Welt schaffen, dass hierzu verfassungsändernde Mehrheiten notwendig sind. Die Union ist zwar prinzipiell für die Schuldenbremse. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hatte aber im Wahlkampf Andeutungen in Richtung SPD und Grüne gesendet, dass er sich begrenzte Änderungen durchaus vorstellen kann.

Die verfassungsändernde Mehrheit im neuen Deutschen Bundestag beträgt 420 von 630 Abgeordneten. Unterstellt man das vorläufige amtliche Endergebnis vom 24.2.2025 um 1.33 Uhr und daß das BWS nicht im Bundestag vertreten ist, dann kommen Union und SPD zusammen auf 328 Stimmen, zusammen mit den Grünen käme man auf 413 Stimmen, weshalb für eine Änderung der Schuldenbremse die Stimmen der Linken benötigt werden. Die Linke hat am Wahlabend aber bereits angekündigt, dass sie einer Änderung der Schuldenbremse, wenn diese auf eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben begrenzt wird, nicht zustimmen wird. Eine Änderung der deutschen Schuldenbremse dürfte deshalb nicht so leicht umsetzbar sein.

Ob aber das Bundesverfassungsgericht eine erneute Erklärung einer Notlage und die damit einhergehende zeitweise Aussetzung der Schuldenbremse akzeptieren wird, ist zwar offen, aber wenig wahrscheinlich. Auf der Grundlage seines Urteils vom 15. November 2023 müsste das Bundesverfassungsgericht die Erklärung einer Notlage eigentlich verneinen. Darüber hinaus sind die europäischen Schuldenregeln zu beachten. Für eine neue Bundesregierung heißt das, dass Priorisierungen im Bundeshaushalt letztlich unausweichlich sind. Die Gefahr, auch verteidigungs- und sicherheitspolitisch in die Sackgasse zu geraten und nicht nur wirtschafts- und energiepolitisch, ist sonst sehr groß.

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1 Siehe BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 15. November 2023 - 2 BvF 1/22 -, Rn. 1-231, online: https://www.bverfg.de/e/fs20231115_2bvf000122.html

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