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Die ökonomische Theorie hinter Präsident Javier Mileis Plänen

Marius Kleinheyer

Die Wahl des libertären Ökonomen Javier Milei zum argentinischen Präsidenten ist die größte Wahlsensation des Jahres 2023. Sie lässt sich durch den Umstand erklären, dass der Peronismus, die bisher mächtigste politische und gesellschaftliche Bewegung in Argentinien, das Land gründlich abgewirtschaftet und den Wert der Landeswährung fast vollständig zerstört hat. Argentinien ist heute ökonomisch nur noch ein Schatten seiner Vergangenheit. Vor etwa hundert Jahren gehörte es noch zu den wohlhabendsten Ländern der Welt. Nach vielen sozialistischen Experimenten jetzt also der libertäre Befreiungsschlag?

Eine im Vorfeld der Wahl auch international viel beachtete radikale Idee Mileis zielt auf die Abschaffung der argentinischen Zentralbank und die offizielle Einführung des US-Dollars ab. Um diese Forderung zu verstehen, darf man nicht nur auf die Bedeutung des US-Dollars in ganz Südamerika schauen, sondern muss auch die ökonomische Theorie verstehen, mit der sich Milei identifiziert, die Österreichische Schule der Nationalökonomie.

Seit Ende des 19. Jahrhunderts bildete sich in Wien eine ökonomische Denkschule, die bis heute von den Werken ihrer herausragendsten Vertreter, wie etwa Carl Menger, Ludwig von Mises oder Friedrich von Hayek geprägt wird. Der spanische Professor Huerta de Soto ist heute einer ihrer prominentesten Vertreter. Er transportiert die Ideen der Schule insbesondere in die spanischsprachige Welt und hat auch Javier Milei inspiriert. Huerta de Sotos Buch „Money, Bank Credit and Economic Cycles“1 ist ein Standardwerk der österreichischen Geldlehre. Huerta de Soto baut auf der Erkenntnis auf, dass die künstliche Geldmengenausweitung durch die Kreditgeldschöpfung des Bankensystems, orchestriert durch die Geldpolitik der Zentralbanken, zu Konjunkturzyklen und einer nicht nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung führt. Im Ergebnis ist das heutige Geld- und Bankensystem nicht kompatibel mit den Ansprüchen einer Marktwirtschaft und verantwortlich für wiederkehrende Finanzkrisen.

Huerta de Sotos Vorschlag für ein ideales Geldsystem beinhaltet drei Kernforderungen: 1) Die Einführung einer 100-prozentigen Reservedeckung für alle Sichteinlagen bei Geschäftsbanken. 2) Die Abschaffung von Zentralbanken und 3) die Rückkehr zum klassischen Goldstandard.

Mit der 100-prozentigen Reservedeckung sollen Banken stabil gegen Bankruns gemacht werden und der eigentumsrechtliche Anspruch des Geldeigentümers jederzeit gewährleistet werden. Die Funktion der Zentralbank als „Lender-of-last-Resort“ wäre in diesem Bankensystem überflüssig. Der klassische Goldstandard knüpft an die evolutionäre Entwicklung von Geld als Gold an und will die Geldmenge möglichst unabhängig von politischen Einflüssen halten. In den Worten von Ludwig von Mises:

“The gold standard put a check on governmental plans for easy money. It was impossible to indulge in credit expansion and yet cling to the gold parity permanently fixed by law. Governments had to choose between the gold standard and their – in the long run disastrous - policy of credit expansion. The gold standard did not collapse. The governments destroyed it.”2

Aus diesen Überlegungen heraus hat Huerta de Soto zunächst die Einführung des Euros begrüßt und eine Verteidigung der Währungsumstellung aus österreichischer Sicht verfasst.3 In seiner Argumentation bedeutete der Euro das Ende des monetären Nationalismus und flexibler Wechselkurse und damit einen ersten Schritt in die richtige Richtung hin zu einem neuen Zeitalter des Goldstandards. Durch die Währungsunion hätten die Staaten ihre monetäre Autonomie und damit ihre Möglichkeit zur Manipulation der nationalen Währung aufgegeben.

Der Artikel zur Verteidigung des Euros erschien 2012 und damit in unmittelbarer Nähe zur Euro-Krise. Huerta de Soto argumentierte, dass der Euro nicht Teil des Problems ist, sondern im Gegenteil, geholfen hätte, die strukturellen Probleme offenzulegen:

„Ohne eine autonome Geldpolitik sehen sich die verschiedenen Regierungen dazu gezwungen, buchstäblich alle staatlichen Ausgabeposten zu überdenken und zu versuchen, die internationale Wettbewerbsfähigkeit zurückzugewinnen und zu erhöhen, indem sie die Märkte weitestmöglich deregulieren und flexibilisieren.“4

Äußerst kritisch ging Huerta de Soto auf die Rolle der Europäischen Zentralbank ein, die in Vernachlässigung ihrer Aufgabe Europa nicht hinreichend vor einem Überschwappen der amerikanischen Finanzkrise in Schutz genommen hat. Optimistisch äußerte sich Huerta de Soto zu der politischen Führung Deutschlands und namentlich Angela Merkels, die bei der Krisenbewältigung auf „Eurobonds“ verzichtete und Hilfszahlungen für Länder an strenge Sparmaßnahmen und strukturelle Reformen hin zu einer stetigen Liberalisierung geknüpft habe.5

Nach über zehn Jahren lässt sich leider feststellen, dass die Krise zu groß beziehungsweise die europäischen Institutionen zu schwach waren, um Geldwertstabilität, Sanierung der Staatshaushalte und Liberalisierung der Märkte hin zu mehr Wettbewerbsfähigkeit zu befördern. Die „Eurobonds“ kamen über die Hintertür durch den Aufkauf von Staatsanleihen durch die EZB und den EU-Next-Generation Fund, und die EZB hat sich als „Lender-of-last-Resort“ für überschuldete Staaten positioniert.

Die offizielle Einführung des Dollar in Argentinien knüpft trotzdem an die Überlegungen Huerta de Sotos an. Sie folgt auch dem Beispiel anderer Länder, die durch „Currency Boards“ (Verknüpfung der eigenen Währung mit einer Fremdwährung) Währungs- und Preisstabilität importiert haben. Die Erfahrungen in Südamerika zeigen tatsächlich, dass die Einführung des Dollars die bessere Option gegenüber einer dauerhaften hoch inflationierten Landeswährung darstellt. Dieser Effekt könnte durch liberale Strukturreformen und die Abschaffung der örtlichen Zentralbank noch zusätzlich verstärkt werden.6

Wer die Theorie und die Geldreformidee von Huerta de Soto kennt, weiß, dass die Dollarisierung Argentiniens nicht das höchste politische Ziel Mileis ist, sondern nur ein Schritt in die Richtung zu einem Goldstandard. Man darf gespannt sein, wie der radikale Wahlkämpfer Milei das Präsidentenamt wahrnimmt. Als argentinischer Präsident wird er auf große politische und technische Widerstände stoßen. Falls die „Dollarisierung“ am Mangel an US-Dollars als Deckungsstock scheitert, könnte vielleicht das Modell der deutschen Rentenmark einen Ausweg bieten.7 An einem Mangel an politischem Willen wird er allem Anschein nach dagegen nicht scheitern. Die Mehrheit der argentinischen Wähler hat entschieden, dass sie in dieser Lage ihres Landes bereit ist für ein großes libertäres Politikexperiment . Man darf gespannt sein!


1 Huerta de Soto, Jesús (2009) Money, Bank Credit and Economic Cycles https://cdn.mises.org/money_bank_credit_and_economic_cycles_4th_edition.pdf

2 von Mises, Ludwig (1944) Omnipotent Government: The Rise of the Total State and total War, New York.

3 Huerta de Soto, Jesús (2012) Die Verteidigung des Euros: Ein österreichischer Ansatz. In: Die Theorie der dynamischen Effizienz (2020) Berlin:  Duncker und Humblot, S. 351 – 374.

4 Ibid. S. 371.

5 Ibid.S.372.

6 Cachanovsky, Nicholas, Ocampo, Emilio, Salter Alexander (2023) Lessons from Latin America Dollarization in the Twenty First Century, The Economists Voice 20 (1) S. 25-42.

7 Thomas Mayer: „Der digitale Euro könnte die Rentenmark des 21. Jahrhunderts werden“ - YouTube

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