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„Europa hinkt hinterher“

Die Wirtschaft hatte Corona kaum verdaut, als der Ukraine-Krieg begann. Pablo Duarte, Senior Research Analyst beim Flossbach von Storch Research Institute, erläutert die Folgen.

Herr Duarte, zwei Jahre lang belasteten Corona und die damit verbundenen Lockdowns die Weltwirtschaft. Kaum schien eine Abschwächung der Pandemie im Westen greifbar, überfielen russische Truppen die Ukraine. Was bedeutet das für die Weltwirtschaft?

Pablo Duarte: Nach dem Überfall und nach den erneuten Lockdowns in China sind die Rohstoffpreise weiter gestiegen. Die Versorgungsengpässe nehmen zu. Tendenzen zur Stagflation, also einer wirtschaftlichen Stagnation verbunden mit einer Inflation waren bereits zu Jahresbeginn zu beobachten. Der Ukraine-Krieg, aber auch die Lockdowns in China haben diese stagflatorischen Tendenzen nun verstärkt.

Nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie ist die Wirtschaftsleistung weltweit eingebrochen. Davon hatten wir uns vor dem russischen Überfall noch nicht erholt, oder?

Europa hinkt hinterher. Nach dem weltweiten Rückgang der Wirtschaftsleistung im Jahr 2020 hat unter den größten Volkswirtschaften einzig die Eurozone die Rückkehr zu ihrem bis dahin geltenden Trendwachstum noch nicht geschafft. In den USA war das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2020 zwar ebenfalls gefallen. Dank einer schnellen Erholung zunächst in der Industrie und später im Einzelhandel erreichte es 2021 aber wieder den aus den Jahren 2009 bis 2019 fortgeschriebenen Trendwert. In China blieb das BIP bereits 2020 im positiven Bereich. 2021 wurde auch der Trendwert von 6 bis 7 Prozent Wachstum wieder überschritten.

Inzwischen leiden die USA und Europa aber unter einer rekordhohen Inflation . Was kann man dagegen tun?

Durch eine expansive Geldpolitik bei anhaltenden Lieferkettenproblemen ist in beiden Regionen eine Überschussnachfrage entstanden. Diese müssten die Notenbanken durch eine restriktive Geldpolitik eliminieren. Dies kann aber nur gelingen, wenn die Nominalzinsen über die Inflation steigen. Doch das würde die hochverschuldeten Mitgliedsstaaten der Eurozone in Schwierigkeiten bringen. Positive Realzinsen würden zudem auf dem Aktienmarkt lasten, was die Politik in den USA in Schwierigkeiten bringt.

Immerhin hat die US-Notenbank bereits begonnen, die Zinsen anzuheben.

Die Zentralbanken können angesichts von Rekordinflation nicht völlig tatenlos bleiben. Auch die Europäische Zentralbank will ihr Anleihekaufprogramm schneller als ursprünglich beabsichtigt auslaufen lassen und öffnete die Tür für eine Anhebung ihrer Leitzinsen noch in diesem Jahr. Auf den Märkten weckte dies aber Rezessionsängste…

…, weil hohe Zinsen und Wachstum nicht zusammenpassen?

Auch. Doch vor allen hat sich die Eurozone auch nach zwei Jahren Pandemie wirtschaftlich noch nicht vollständig erholt und wird vom Boykott gegen Russland nun zusätzlich stark getroffen. Die USA hat hingegen die Pandemie hinter sich gelassen und kann vom Rohstoffpreisboom profitieren. Hier ist statt einer „Stagflation“ auch eine „Growthflation“ denkbar. Allerdings könnte eine Überhitzung der US-Wirtschaft eine geldpolitische Straffung bewirken, die eine Rezession auslöst. Hinzu kommt die unsichere Situation in China.

China? Die Volksrepublik war doch gut durch die beiden Pandemiejahre gekommen und die Geldpolitik war in der Coronakrise nicht besonders offensiv. Wo liegt das Problem?

Nachdem die Regierung zunächst mit ihrer Zero-Covid-Strategie erfolgreich die Ausbreitung des Coronavirus verhindert und die Realwirtschaft sich nach dem ersten Schock schnell erholt hat, versucht sie nun, die hoch ansteckende Omikron-Variante wiederum mit Lockdowns unter Kontrolle zu bringen. Die Situation ist nicht einfach. Einerseits sind nur etwa 60 Prozent der über 60-Jährigen geimpft, und zwar mit einem Vakzin, das sich als deutlich weniger effizient gegen das Virus erwiesen hat als die bei uns zugelassenen Impfstoffe. Daher könnte ein Ausbruch zu einer Todeswelle wie jüngst in Hong Kong führen. Das Festhalten an der Zero-Covid-Strategie schränkt aber die wirtschaftlichen Aktivitäten ein und verlängert die seit über einem Jahr anhaltenden Lieferkettenengpässe.

Die Bekämpfung des Coronavirus in China erweist sich also als erhebliche Wachstumsbremse?

Genau. Gleichzeitig mehren sich die Risiken im Immobiliensektor. Der direkte und indirekte Anteil dieses Bereichs an der Bruttowertschöpfung liegt bei 20 bis 25 Prozent. Ein Kollaps könnte die Wirtschaft in eine Rezession stürzen.

Keine guten Aussichten also!

Die Aussichten für China hängen davon ab, wie lange die Regierung an der Zero-Covid-Strategie festhält und ob der Rückgang der Immobilienpreise weitreichende Folgen für den Finanzsektor haben wird. Zwar wird die chinesische Regierung jede Krise energisch bekämpfen, aber wenn sich dadurch die längerfristigen Wachstumsaussichten verschlechtern sollten, dürfte die politische Akzeptanz der chinesischen Führung schwinden.

Vielen Dank für das Gespräch.

Pablo Duarte ist Senior Research Analyst beim Flossbach von Storch Research Institute. Die aktuelle Studie finden Sie auf der Internetseite des Instituts. 

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