In einer Generation haben wir in Deutschland viel geschafft: Das Recht hat bei uns in Ost und West Vorrang, wir leben im Wohlstand. Warum wir uns mutig für die Zukunft stark machen sollten. Auszüge aus einer Rede, die Bundespräsident a. D. Joachim Gauck bei einer Veranstaltung der Flossbach von Storch AG gehalten hat.
Ich komme aus Mecklenburg-Vorpommern, aus Rostock, wo ich viele Jahre evangelischer Pastor war. Das ist auch der Grund, warum ich es dort in Zeiten der Diktatur ausgehalten habe. Hat mir doch meine Aufgabe, diese Lebensalternative, erlaubt, wenigstens eine innere Freiheit zu leben, wenn schon die äußere nicht gegeben war. Inzwischen ist Berlin mein Zuhause. Heute Morgen war ich in Dresden, wo ich beim Abschlussappell der Offizierschule des Heeres war. Dort habe ich zu den Soldatinnen und Soldaten gesagt, dass für mich das Militär für mindestens 50 Jahre vor allem etwas Abschreckendes hatte.
Es war Krieg, als ich geboren wurde und mein Vater musste als Marineoffizier dienen. Dann habe ich die DDR erlebt mit einer zunehmenden Militarisierung, wo schließlich Wehrerziehung Teil des Stundenplans in den Schulen wurde, was bedeutete, es gab in der zehnten Klasse Schießunterricht. Dabei wurde gelehrt, wie man Handgranaten wirft.
Auch Anwerbungen für die Volksarmee fanden direkt in den Schulen statt. Abiturienten mussten sich die Frage stellen: Will ich studieren? Und wenn ja, gibt es dann ohne ein „Ja“ zur dreijährigen Dienstzeit überhaupt noch eine Möglichkeit zu einem Studienplatz zu kommen? – So hat sich meine Antipathie gegen das Militär in meinem Denken tief verwurzelt, ich hatte Militär nur als Stütze autoritärer Regime kennengelernt.
Wenn ich aber heute als früherer Bundespräsident und als Bürger zu Soldatinnen und Soldaten komme, kann ich Ihnen mit Fug und Recht sagen: Meine Armee in der DDR nannte sich Volksarmee, war aber nur eine Armee der Unterdrücker. Ihr hingegen seid jetzt eine Armee des Volkes, eine Parlamentsarmee!
Als Bundespräsident habe ich immer wieder versucht, der Bundeswehr starke Signale zu geben. Doch in der Bevölkerung besteht bestenfalls freundliches Desinteresse. Vielleicht wird sich jetzt etwas daran ändern, wo wir mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine stark daran erinnert werden, dass sich unsere Werte nicht von allein verteidigen: Wir brauchen dafür Menschen, die bereit sind, dafür zu kämpfen!
Doch ebenso sehr, wie mir das Militärische 50 Jahre lang fremd war, war es auch die Welt der Unternehmen. Und dazu führe ich Sie mal in das Bundesland Sachsen. Stellen Sie sich vor, wir hätten in Deutschland keinen Kommunismus gehabt. Dann wäre der Freistaat Sachsen heute eine führende Industrieregion Deutschlands. Gehörte Sachsen doch im 19. und im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts zu den industriell am meisten entwickelten Regionen. Vor dem Krieg gab es hier etliche bedeutende Firmen und Unternehmer, einen starken Mittelstand sowie starke Handwerksbetriebe und eine selbstständige Bauernschaft, Vorbilder und Rollenmodelle für viele Generationen.
Am Ende der DDR war diese Kultur privater Verantwortungsträger, war eine gewachsene Wirtschaftsstruktur ausgelöscht. Und heute sehen wir vor allem, dass nicht nur das Kapital im Osten vernichtet war, auch der Spirit der Unternehmer war ausgestorben oder ausgewandert.
Nach 40 Jahren Kommunismus war gelöscht, was Wohlstand und Zukunftsfähigkeit zu schaffen vermag, gelöscht wie die Herrschaft des Rechtes wie die freie Meinung oder die freie Forschung.
Menschen, wie die hier anwesenden Unternehmerinnen und Unternehmer kannte ich in meinem früheren Leben überhaupt nicht. Und so freue ich mich, mit Unternehmern an einem Tisch zu sitzen, die in eigener Verantwortung mit Selbstvertrauen und Risikobereitschaft dieses Land zu einem starken Wirtschaftsstandort gemacht haben. Das kann ich nicht für selbstverständlich halten, weil ich weiß, dass das verloren gehen kann. – Und nebenbei, als Bürger begrüße ich es, dass es hier eine Form der Wirtschaft gibt, die nicht ständig subventioniert werden muss, sondern aus eigener Kraft heraus erfolgreich ist.
Zudem freut es mich, dass wir in Deutschland eine Wirtschaftsform haben, in der Geld verdient wird, aber zugleich auch eine Kultur existiert, in der Unternehmerinnen und Unternehmer noch etwas weiterdenken als bis zum Bilanzgewinn.
Dies zu wissen hat mich mit Freude und Selbstbewusstsein ausgestattet, wenn ich als Präsident unterwegs war in Südamerika und auch in den USA, wo das Unternehmerdenken in aller Regel deutlich anders ist als hier. Mir ist bewusst geworden, dass dieses Land Strukturen und vor allem Menschen mit diesem Denken hat, dass Freiheit eben nicht nur bedeutet, ich darf alles oder ich kann alles erreichen, sondern dass Freiheit auch die Dimension Freiheit für etwas und zu etwas hat.
So ist jeder, der eine Herausforderung annimmt und nicht gleich sagt, das ist zu schwer, das fasse ich nicht an, der auch bei Widerständen oder in einer Krisensituation standhaft bleibt, inspirierend. Menschen, die so handeln, eröffnen Zukunft, sind Garanten für die Überlebensfähigkeit unserer liberalen Demokratie.
Dazu gehört Mut. Und ohne Mut wird Freiheit nicht überleben. Leider kommt Mut in der Politik nur spärlich vor. Oft gilt: Erkenne rechtzeitig, wo die politischen Trends hingehen, folge diesen und du wirst gewählt! – Das ist ein hochbedenklicher Ansatz. Denn wir haben uns Lebensräume erschlossen, die wir auch sichern müssen, Räume, in denen kein Diktator bestimmen kann, wie viel Freiheit wir haben sollen. Daher gehört es sich nicht, in die Liturgie der Angst einzustimmen, es gilt vielmehr standzuhalten, selbst wenn die Ängste von größenwahnsinnigen Typen wie Putin ausgehen.
Wir sehen die Bedrohung, und hoffentlich stellen wir uns. So klar wie selten zuvor, sind hier Gut und Böse zu unterscheiden. Es gibt einen Aggressor und ein unschuldiges Opfer. Das Thema von der Nato-Einkreisung spielt Putin seit gerade mal acht Jahren. Vorher gab es eine Russland-Nato-Akte und verschiedene Möglichkeiten der Kooperation.
Von Einkreisung war nie die Rede. Mitleid haben mit einem gekränkten Diktator ist nicht angebracht. Die Macht darf das Recht nicht beugen. Und es kommt wohl Schlimmeres auf uns zu, wenn China seinen nationalistischen Anspruch stärker verfolgt. Die Wirtschaft in Russland ist so schwach, dass Putin uns nicht wirklich bedrohen kann – außer er spielt die letzte Karte aus – die Atomwaffen. Was hingegen aus China auf uns zu kommt, wird eine wesentlich größere Herausforderung für die freie Welt bedeuten. Und die können wir nur bestehen, wenn wir mit unseren atlantischen und asiatischen Partnerländern zusammenarbeiten.
Wir folgen also nicht unseren Ängsten, auch wenn es natürlich menschlich ist, Angst zu haben. Aber die Angst als wichtigsten Richtungsweiser zu akzeptieren, das ist nicht geboten. Die, die schon erlebt haben, dass man mutig sein kann und dennoch nicht das Leben oder das Eigentum verlieren muss, haben gute Gründe ihren Landsleuten zu sagen, es geht! Und die anderen werden wir gelegentlich daran erinnern, was aus diesem Land geworden ist, wenn wir es heute anschauen.
In einer Rede habe ich mal gesagt: Dies ist das beste Deutschland, das wir je hatten. Und ich bin zutiefst überzeugt, dass es so ist. Das heißt, in der klaren Erkenntnis, dass es Bruchstellen, Defizite und Mängel gibt, erkennen wir, dass wir Fortschritte erlangt haben, die vorher keine Generation geschafft hat: Weder im Militär noch in der Wirtschaft haben wir eine überbordende Aggressivität, kein: „Wir oder nichts“, sondern wir haben Menschen, die kooperationsbereit und -erfahren sind.
Wir haben einen Sozialstaat errichtet, sodass selbst die Armen bei uns in Verhältnissen leben, die früher kein Armer gekannt hat. Wir haben eine Friedensordnung errichtet, die ungewöhnlich ist. So sind alle Generationen vor meiner mindestens einmal in den Krieg eingezogen worden. Nun sind wir von Menschen umgeben, mit denen wir in guten Verhältnissen leben. Wir haben einen Rechtsstaat, dem wir vertrauen können.
Als alter Mann kann ich sagen, was ich früher nicht sagen konnte: Auf dieses Deutschland kann ich stolz sein. Und ich bin unendlich dankbar, dass ich erleben darf, wovon ich mal geträumt habe. Dass ich mich diesem Land anvertrauen kann. Und dass dieses Land unbedingt weiter an sich glauben muss. Wir im Osten mögen (noch) wirtschaftlich weniger Erfolg haben, aber wir haben für unsere Freiheit gekämpft und sind somit freiheitsgeschichtlich ein Gewinn für die Nation.
Und der Westen hat in jahrzehntelanger Arbeit eine stabile Demokratie, Rechtssicherheit und beeindruckenden Wohlstand geschaffen. Wir haben uns also mit Arbeit, Verantwortungsbereitschaft und Mut gegenseitig beschenkt. Das alles müsste doch irgendwann die Mehrheit der Deutschen sehen und dann den so weit verbreiteten Ängsten den Abschied geben. – Und weiter daran glauben, dass gelebte Verantwortung die schönste Form der Freiheit ist.
Joachim Gauck war vom 18. März 2012 bis zum 18. März 2017 der erste parteilose Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland. 1940 in Rostock geboren, unterstützte der damalige Pastor den Volksaufstand in der DDR, der im Oktober 1989 zum Mauerfall führte. Seine politische Laufbahn begann er 1990 als Abgeordneter der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR. Von Oktober 1990 bis Oktober 2000 stand er als Bundesbeauftragter für Stasi-Unterlagen der entsprechenden Behörde vor. Er wurde mehrfach für Verdienste und Publikationen ausgezeichnet. Zu seinen jüngsten Werken zählt das mit Helga Hirsch 2019 im Herder-Verlag veröffentlichte Buch „Toleranz: einfach schwer“. Der Artikel ist ein Auszug aus der aktuellen Position, dem Magazin von Flossbach von Storch.
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