Gestern veröffentlichte das Bundesverfassungsgericht seinen Beschluß zum Klimaschutzgesetz von 2019. Dieser Beschluß wurde gestern von vielen Parteien und Verbänden begrüßt. Die Kläger waren jedoch nur teilweise erfolgreich und das bezüglich eines Grundsatzes, der für alle Politikbereiche, in denen intertemporale Lastenverteilungen bedeutsam sind, allgemeingültig ist.
Mit seinem Beschluß vom 24. März 2021 hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, daß die Regelungen des Klimaschutzgesetzes vom 12. Dezember 2019 über die nationalen Klimaschutzziele und die bis zum Jahr 2030 zulässigen Jahresemissionsmengen insofern mit Grundrechten unvereinbar sind, als hinreichende Maßgaben für die weitere Emissionsreduktion ab dem Jahr 2031 fehlen. „Im Übrigen wurden die Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen.“1
Das Klimaschutzgesetz verpflichte dazu, die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 um 55 % gegenüber 1990 zu mindern und lege durch sektorenbezogene Jahresemissionsmengen die bis dahin geltenden Reduktionspfade fest. Zwar könne nicht festgestellt werden, daß der Gesetzgeber mit diesen Bestimmungen gegen seine grundrechtlichen Schutzpflichten, die Beschwerdeführenden vor den Gefahren des Klimawandels zu schützen, oder gegen das Klimaschutzgebot des Art. 20a GG verstoßen habe. „Die zum Teil noch sehr jungen Beschwerdeführenden sind durch die angegriffenen Bestimmungen aber in ihren Freiheitsrechten verletzt“, da die Vorschriften hohe Emissionsminderungslasten unumkehrbar auf Zeiträume nach 2030 verschieben.
Die gebotene Verminderung von Treibhausgasemissionen folge aus dem Grundgesetz, in welchem das verfassungsrechtliche Klimaschutzziel des Art. 20a GG konkretisiert sei. Der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur sei dem sogenannten „Paris-Ziel“ entsprechend auf deutlich unter 2 °C und möglichst auf 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Dieses Ziel könne nur erreicht werden, wenn die nach 2030 noch erforderlichen Minderungen dann immer dringender und kurzfristiger erbracht werden. „Von diesen künftigen Emissionsminderungspflichten ist praktisch jegliche Freiheit potenziell betroffen, weil noch nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens mit der Emission von Treibhausgasen verbunden und damit nach 2030 von drastischen Einschränkungen bedroht sind.“ Deshalb hätte der Gesetzgeber zur Wahrung grundrechtlich gesicherter Freiheit Vorkehrungen treffen müssen, um diese hohen Lasten abzumildern. Um den nach 2030 gebotenen rechtzeitigen Übergang zu Klimaneutralität zu erreichen, würden die gesetzlichen Maßgaben für die Fortschreibung des Reduktionspfads der Treibhausgasemissionen ab dem Jahr 2031 nicht ausreichen.
Grundrechte seien dadurch verletzt, daß die nach dem Klimaschutzgesetzt bis zum Jahr 2030 zugelassenen Emissionen die nach 2030 noch verbleibenden Emissionsmöglichkeiten erheblich reduzieren und dadurch praktisch jegliche grundrechtlich geschützte Freiheit gefährdet sei. „Als intertemporale Freiheitssicherung schützen die Grundrechte die Beschwerdeführenden hier vor einer umfassenden Freiheitsgefährdung durch einseitige Verlagerung der durch Art. 20a GG aufgegebenen Treibhausgasminderungslast in die Zukunft.“ Deshalb hätte der Gesetzgeber Vorkehrungen zur Gewährleistung eines freiheitsschonenden Übergangs in die Klimaneutralität treffen müssen, an denen es bislang fehle. Der Gesetzgeber sei aus diesem Grund verpflichtet, die Fortschreibung der Minderungsziele der Treibhausgasemissionen für Zeiträume nach 2030 bis zum 31. Dezember 2022 näher zu regeln.
Das Bundesverfassungsgericht fällt mit seinem Beschluß vom 24. März 2021 also ein Urteil über die intertemporale Lastenverteilung von politischen Maßnahmen, mit denen politisch gewollte Ziele erreicht werden sollen. Denn die intertemporale Lastenverteilung hat Folgen für die „intertemporale Freiheitssicherung“. Das Bundesverfassungsgericht zeigt damit der aus vielen Politikbereichen bekannten politischen Strategie, Probleme in die Zukunft zu verschleppen und die Kosten für politische Maßnahmen anderen Generationen aufzubürden, Grenzen auf.
Ökonomisch formuliert besteht diese Strategie darin, nicht alle Kosten einer politischen Maßnahme zum Zeitpunkt ihrer Verabschiedung zu berücksichtigen. Es wird ein falscher Preis ausgewiesen. Wenn aber ein falscher Preis ausgewiesen wird, dann stellt sich die vom Verfassungsgericht nicht erörterte demokratietheoretische Frage, ob die von der Politik verabschiedeten Maßnahmen bei Kenntnis des vollen Preises überhaupt von der Bevölkerung legitimiert worden wären.
Und ganz allgemein stellt sich die Frage, ob der Grundsatz der „intertemporalen Freiheitssicherung“ nicht über den Klimaschutz hinaus bei allen Fragen, welche die Aufgaben, die Ausgaben und die Einnahmen des Staates betreffen, berücksichtigt werden müßte. Die altehrwürdigen Haushaltsgrundsätze sollten das ursprünglich sicherstellen, werden jedoch oftmals mit Füßen getreten. Und auch die heutige Geldpolitik der Zentralbanken hat Auswirkungen auf die intertemporale Freiheitssicherung. Die heutige Geldpolitik der Zentralbanken dient vornehmlich dazu, den vollen Preis der Fiskalpolitik systematisch durch Zinsmanipulation zu verschleiern. Der Zins ist der wichtigste Preis jeder Volkswirtschaft, weil er der „intertemporale Preis“ ist.
Gesetzt den Fall, daß das Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2021 über die Klimapolitik hinaus Folgen zeitigt und auf andere Politikbereiche systematisch angewendet wird, dann dürfte das Grundsatzurteil vom 24. März 2021 der Politik in vielen Bereichen Grenzen aufzeigen, die gerade die Kläger gegen das Klimaschutzgesetz von 2019 und deren politische Unterstützergruppen gerade nicht goutieren werden. Denn das Grundsatzurteil vom 24. März 2021 könnte, wenn es denn konsequent auf alle Politikbereiche Anwendung findet, den Primat von Recht und Freiheit stärken und den angemaßten Primat der Politik zurückdrängen.
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1 Vgl. und auch die folgenden Absätze Pressemitteilung des BVerfG Nr. 31/2021 vom 29. April 2021.
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