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„Keine schnelle Kehrtwende“

- Dr. Tobias Schafföner

EZB und Fed haben die Zinsen im Kampf gegen die Inflation erneut angehoben. Im Interview spricht Tobias Schafföner über die weiteren (Zins-) Aussichten sowie Folgen für die Kapitalmärkte.

Herr Schafföner, nach der Fed hat gestern auch die EZB die Leitzinsen ein weiteres Mal angehoben. In den USA stiegen die Sätze allerdings nur noch um 0,25 Prozent, in der Eurozone hat es mit 0,5 Prozent einen doppelt so großen Schritt nach oben gegeben. Muss die EZB in der Inflationsbekämpfung aufholen?

Die Inflationsentwicklung in den USA und in der Eurozone war vergleichbar, die EZB hat aber später und zögerlicher reagiert – insofern ist das ein gewisser Aufholeffekt. Die Leitzinsdifferenz hat sich heute erstmals seit Beginn des Zinsanhebungszyklus‘ etwas reduziert. Es liegen aber immer noch über 1,5 Prozentpunkte zwischen den beiden großen Währungsräumen. Die Lücke dürfte bei den Sitzungen im März noch einmal kleiner werden – dass sie sich mittelfristig schließt, ist aber sehr unwahrscheinlich.

Wie hoch steigen die Zinsen denn noch?

Auf den ersten Blick gibt es einen klaren Fahrplan: Sowohl Fed-Chef Jerome Powell als auch EZB-Chefin Christine Lagarde haben weitere Zinsschritte in Aussicht gestellt. Powell sprach von „ein paar“ weiteren Schritten, wobei man „a couple more“ als zwei weitere Zinsschritte à 25 Basispunkte interpretieren sollte. Lagarde kündigte für das März-Meeting ausdrücklich eine weitere Zinsanhebung um 50 Basispunkte an und möchte im Anschluss datenabhängig entscheiden.

Wie verlässlich ist dieser Fahrplan?

Leider gar nicht mehr. Sowohl Powell als auch Lagarde haben mit ihrer Kommunikationspolitik im vergangenen Jahr den Wert ihrer „Forward Guidance“ zu Grabe getragen. Sie wurden von der Inflationsentwicklung überrollt und mussten innerhalb kürzester Zeit entgegen ihren Prognosen handeln. Das wissen die beiden natürlich – und deshalb wirken ihre Erklärungsversuche auch aberwitzig ungelenk: Lagarde hat etwa gestern betont, dass es zwar die Absicht der EZB sei, die Leitzinsen im März um 0,5 Prozentpunkte anzuheben, nicht aber eine „absolute, unwiderrufliche, bedingungslose Verpflichtung“.

Ist die Geldpolitik damit also wieder datenabhängiger geworden?

Ja, definitiv. Und das ist auch keine schlechte Entwicklung, wenn die Datenpunkte nicht zu kurzfristig beurteilt werden. Die Zinsanhebungen wirken zeitverzögert, insofern wäre es ein Fehler, die Zinsen im Rekordtempo immer weiter anzuheben, bis die Inflationsraten auf den Zielwert von zwei Prozent gefallen sind. Die Kollateralschäden einer solchen Politik wären immens.

Jetzt hat die Fed aber bereits zum zweiten Mal die Größe ihrer Zinsschritte reduziert, obwohl die Inflation noch nicht annähernd auf zwei Prozent gefallen ist.

Die US-Inflation hatte im Juni mit 9,1 Prozent ihren höchsten Stand erreicht und lag im Dezember noch bei 6,5 Prozent. An diesem Rückgang haben die fallenden Energiepreise einen hohen Anteil. Die Kernrate, also die Teuerung ohne die Energie- und Lebensmittelpreise, hat wiederum erst im September bei 6,6 Prozent ihren Höchststand markiert und ist seitdem auf 5,7 Prozent gefallen. Der Rückgang ist also viel weniger dynamisch. Die Kernrate könnte also schon bald oberhalb der „Headline-Rate“ liegen. Herausfordernd wird es für die Argumentation der Fed im späteren Jahresverlauf, wenn die Kernrate hartnäckig hoch bleiben sollte. Positiv beurteilt die Fed aber, dass der Anstieg der Lohnkosten zuletzt gesunken ist.

Wie sieht die Entwicklung in der Eurozone aus?

In der Eurozone dürfte der Beitrag der Energie zur Inflationsrate schon im März negativ werden. Wir erwarten also eine ähnliche Entwicklung: Einen deutlichen Rückgang der Gesamtinflation, während die Kernrate hartnäckiger über dem Zielwert bleiben dürfte. Es gibt weiterhin eine gewisse Knappheit an Arbeitskräften; der Lohndruck ist sowohl in den USA wie auch bei uns der wichtigste Faktor, um die Inflationsraten auch nachhaltig auf höheren Niveaus als in der Vergangenheit zu halten. Wir erwarten deshalb keine schnelle Kehrtwende bei der Geldpolitik. Zumal sich nach einer anfänglichen Abkühlung zeigen dürfte, dass viele Inflationstreiber struktureller Natur sind.

Der Euro hat gegenüber dem US-Dollar über die vergangenen Monate um rund 15 Prozent aufgewertet. Welchen Anteil daran hatte Christine Lagarde?

Die Euro-Aufwertung begann – von einem sehr tiefen Niveau kommend – im September, nachdem die EZB mit einem Zinsschritt um 75 Basispunkte signalisiert hatte, dass auch sie die Inflationsbekämpfung ernst nehmen würde. Insofern hat die folgende geldpolitische Konvergenz sicherlich ihren Anteil an der Euro-Aufwertung. Noch steckt die Eurozone auch in keiner tiefen Rezession, und die Gasspeicher sind noch gut gefüllt. Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung trägt also zur positiven Bewertung der Gemeinschaftswährung bei.

Die Konjunkturaussichten sind allerdings eher trüb, und die Notenbankchefs haben zu verstehen gegeben, dass sie die Zinsen weiter anheben wollen. Warum haben die Aktien- und Anleihemärkte darauf fast euphorisch reagiert?

Es gab einige bemerkenswerte Aussagen, in beiden Pressekonferenzen. Powell etwa hat gesagt, dass ein „disinflationärer Prozess“ begonnen habe. Er wurde außerdem gefragt, was er davon halte, dass die Kapitalmärkte bereits Zinssenkungen für die zweite Jahreshälfte einpreisen würden. Anstatt dieser Erwartungshaltung eine klare Absage zu erteilen, sagte er, dass Zinssenkungen natürlich nur denkbar seien, wenn die Inflation sehr deutlich fällt. Die Kapitalmärkte haben sich auf die positive Interpretation dieser Aussagen fokussiert: Der Zinsanhebungszyklus nähert sich dem Ende, das Schlimmste ist überstanden.

Teilen Sie diese Interpretation?

Der Markt neigt zu Übertreibungen. In die Interpretation kurzfristiger Kursbewegungen sollte man deshalb nicht zu viel Energie verschwenden. Es gibt aber auf jeden Fall Grund für Optimismus: Die Inflationsraten dürften weiter sinken, und die Weltwirtschaft befindet sich nicht in einer Rezession. Und man darf die „datenabhängigen“ Aussagen der Notenbanker auch positiv interpretieren: Natürlich haben weder Jerome Powell noch Christine Lagarde ein Interesse daran, mit einer allzu restriktiven Geldpolitik einen realwirtschaftlichen Kollaps oder die nächste Finanzkrise auszulösen.

Begründeter Optimismus sollte aber nicht zu Naivität führen. Wir haben bereits ein relativ hohes Leitzinsniveau erreicht und höhere Refinanzierungskosten wirken langfristig und dämpfen die Konjunktur. Ein eher vorsichtiger Ausblick der Unternehmen für 2023 lässt sich auch in der laufenden Berichtssaison als gemeinsamer Nenner identifizieren. Für die Aktienbewertung ist außerdem sehr relevant, dass Zinspapiere als Anlagealternative im vergangenen Jahr wieder attraktiver geworden sind. In Summe sorgen diese Faktoren dafür, dass wir bei einer grundsätzlich konstruktiven Langfristperspektive trotzdem vorsichtiger werden, wenn die Stimmung an den Aktien- oder Rentenmärkten allzu sorglos werden sollte.

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