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Reagiert der Markt auf die WM?

Philipp Immenkötter

Hätte Deutschland gestern das Länderspiel gegen Spanien gewonnen, würde dann der DAX heute steigen? Glaubt man der Sports-Sentiment-Theorie, so hängt die Performance des Aktienmarkts auch von den Spielen bei der Fußball-Weltmeisterschaft ab. Wir haben die Theorie einmal überprüft.

Gern erinnert man sich an das Sommermärchen – die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland: Das wunderschöne Eröffnungstor von Philipp Lahm gegen Costa Rica, die Euphorie nach dem späten Tor im Vorrundenspiel gegen Polen und der Elfmeterkrimi im Viertelfinale gegen Argentinien, inklusive des sagenumworbenen Zettels von Jens Lehmann. Auf den Straßen wurde gefeiert, die Freude war groß und Euphorie machte sich in der Bevölkerung breit.

Was steckt hinter der Sports-Sentiment-Theorie?

Große gesellschaftliche Ereignisse, die keinen direkten Bezug zum Aktienmarkt haben, sich aber hoher medialer Beachtung erfreuen, können einen Einfluss auf das Befinden und schließlich auch Handeln von Individuen haben. Die FIFA-Fußballweltmeisterschaft ist solch ein Ereignis. Der Sieg einer Nationalmannschaft in entscheidenden Spielen kann in der Bevölkerung zu einem trügerischen Gefühl von Erfolg und Sicherheit sowie zu Selbstüberschätzung führen.1 Auch Investoren – institutionell oder privat – können sich in den Bann der Euphorie hereinziehen lassen und unbewusst ihre Entscheidungen davon steuern lassen. Dadurch kann es zu einer kurzfristigen, fundamental unbegründeten Verschiebung in Angebot und Nachfrage auf den Aktienmärkten kommen, welches wiederum die Preise und Renditen beeinflusst.

Aber nicht nur Euphorie, auch Frustration ist denkbar. Eine Niederlage in einem entscheidenden Spiel kann sich auf das Befinden einer Gesellschaft auswirken. Der Begriff „sete a um“ (portugiesisch für 7 zu 1) ist in Brasilien bis heute eine Metapher für ein katastrophales Ereignis. Das aus brasilianischer Sicht verlorene Halbfinale im eigenen Lande gegen die deutsche Nationalmannschaft hatte sogar politische Folgen.2

Und wie hat der Aktienmarkt auf die Spiele reagiert? Der DAX stieg am Folgetag nach dem Sieg gegen Polen um zwei Prozent und nach dem Sieg gegen Argentinien um ein halbes Prozent. So weit so gut, aber nach dem sportlichen Erfolg gegen Costa Rica gab der DAX um ein Prozent nach und der brasilianische Aktienindex (Bovespa) legte am Handelstag nach dem sete a um wider Erwarten zu. In manchen Fällen trifft die Theorie zu, in anderen aber nicht.

Wir haben einmal nachgerechnet

Um zu überprüfen, ob hinter der Theorie auch Wahres steckt, haben wir die Aktienmärkte von 13 fußballbegeisterten Ländern während der FIFA-Weltmeisterschaften 1974 bis 2018 unter die Lupe genommen.3 In der Tat steigen lokale Aktienmärkte etwas häufiger nach Siegen der Nationalmannschaften bei Weltmeisterschaften als an sonstigen Handelstagen an. Der Unterschied in der Häufigkeit ist jedoch sehr gering. Während die lokalen Aktienmärkte an 52 % der Tage nach Siegen anstiegen, so legten sie auch in 51 % der übrigen Handelstage zu.

Kursrückgänge nach Niederlagen findet man ebenfalls häufiger als an den übrigen Handelstagen. Hier beträgt der Unterschied in der Häufigkeit 52% zu 49%. Das Ergebnis ist etwas ausgeprägter aber nicht sonderlich deutlich.

Reagiert der Markt auf die WM? - Flossbach von Storch

Da Kapitalmarktrenditen diversen Einflussfaktoren unterliegen, die in der obigen deskriptiven Analyse nicht berücksichtigt werden, haben wir das ökonometrische Sports-Sentiment Modell von Edmans, Garcia und Norli (2006) rekonstruiert, welches in der renommiertesten Zeitschrift für den BWL-Fachbereich Finanzwissenschaft (The Journal of Finance) veröffentlich wurde.4

In einem zweistufigen Schätzmodell werden zunächst die Tagesrenditen der länderspezifischen Aktienmarktindizes mit verschiedenen Faktoren modelliert. Hierfür wird die Rendite des vergangenen Tages (wegen einer möglichen seriellen Autokorrelation), die Rendite eines Weltmarktindex (des Vortags, des Tages selbst und des Folgetages, da länderspezifische Aktienmärkte dem Weltmarkt folgen oder anführen können) und Indikatorvariablen für Wochentage (um Wochentageffekte einzufangen, wie bspw. dem Montagseffekt5) genutzt. In einem zweiten Schritt wird der in dem Modell nicht erklärbare Anteil der Tagesrenditen (das sogenannte Residual einer linearen Regression) an Tagen mit Weltmeisterschaftsspielen mit den Residualrenditen an sonstigen Handelstagen verglichen.  

Gemäß dem Modell fällt die Aktienmarktrendite an dem Tag nach einem Sieg höher als an sonstigen Handelstagen aus. Dem geschätzten Unterschied in der Rendite (7 Basispunkte) ist jedoch weder eine statistische noch eine ökonomische Bedeutung beizumessen. Bei Niederlagen ist der Zusammenhang deutlicher ausgeprägt. Die Aktienmarktrenditen in den Ländern, welche Weltmeisterschaftsspiele verloren haben, liegen 22 Basispunkte unterhalb des sonstigen Durchschnitts. Der geschätzte Effekt ist sowohl statistisch signifikant als auch ökonomisch in seiner Höhe von Bedeutung.

Reagiert der Markt auf die WM? - Flossbach von Storch

Könnte es also sein, dass an der These tatsächlich etwas dran ist?

Zwar schlägt das ökonometrische Modell auf einem breiten Datensatz an, wendet man es jedoch nur auf einzelne Nationalmannschaften oder auf einzelne WM-Turniere an, so ist die Evidenz recht dünn. Reduziert man den Datensatz beispielsweise auf den DAX und die WM-Spiele der deutschen Nationalmannschaft, kann kein Zusammenhang festgestellt werden. Selbst während des Sommermärchens fehlt es an Signifikanz. Auch die Unterscheidung von Gruppenspielen zu K.O. Spielen macht keinen Unterschied. Fokussiert man sich auf Brasilien in dem Glauben, dass dort die Emotionen der Gesellschaft stärker an Erfolge bzw. Misserfolge der Seleção geknüpft sind, wird man auch hier von der Entwicklung am Aktienmarkt enttäuscht.

Es gibt viele Ereignisse, die zeitlich zufällig auf Tage mit steigenden oder fallenden Märkten folgen. Dies ist der Nährboden für kreative Theorien, die Dank der breiten Verfügbarkeit von Daten und technischen Auswertungsmöglichkeiten gefunden werden – auch wenn es keinen kausalen Zusammenhang gibt. Aktuell wird häufiger über die FIFA und Katar diskutiert als über die sportliche Leistung der Nationalmannschaften. Daher ist bei diesem Turnier erst recht nicht davon auszugehen, dass der Aktienmarkt auf die sportlichen Ergebnisse reagiert. Die Einwechslung von Niclas Füllkrug hat daher nichts mit der heutigen Entwicklung des DAX zu tun.


1 Siehe u.a. Barberis/Shleifer/Vishny (1998): „A Model of Investor Sentiment“, in Journal of Financial Economics 49/3,  Daniel/Hirshleifer/Subrahmanyman (1998): „Investor Psychology and Security Market Under- and Overreactions“, in The Journal of Finance 53/6, Baker/Wurgler (2006): „Investor Sentiment in the Stock Market“, in The Journal of Economic Perspectives 21/2.

2 Siehe: Fallay (2014): „Saved by the Goalkeeper: Soccer and Elections“ in Harvard International Review 36/1.

3 Datenquelle für Informationen zu FIFA-Weltmeisterschaftsspielen: Josh Fjelstul auf GitHub. Datenquelle für Aktienmarktrenditen: Refinitiv. Betrachtete Länder: Argentinien, Belgien, Brasilien, Deutschland, England, Frankreich, Italien, Kolumbien, Mexiko, Niederlande, Portugal, Schweden und Spanien.

4 Edmans/Garcia/Norli (2006): „Sports Sentiment and Stock Returns“ in The Journal of Finance 62/4.

5 Siehe bspw. Wang/Yuming/Erickson (1997): „A New Look at the Monday Effect“ in The Journal of Finance 52/5.

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