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Währungsbürger oder Währungsuntertan?

Marius Kleinheyer

Die Inflation wirft ein Schlaglicht auf die Beziehung zwischen Geld, Staat, Gesellschaft und Individuum. Geld ist mehr als ein allgemein akzeptiertes Austauschmittel. Als die zentrale Institution für das Funktionieren einer arbeits- und wissensteiligen Gesellschaft ist Geld unmittelbar mitverantwortlich für die Lebensqualität aller Mitglieder einer Gesellschaft und den Grad ihrer individuellen Freiheitsentfaltung.

Trotz oder gerade wegen dieser herausragenden Bedeutung wird Geld auch im Rahmen einer marktwirtschaftlich orientierten Ordnung durch ein staatliches Monopol bereitgestellt. Auf der einen Seite ist damit jede Form von Wettbewerb rechtlich verboten, auf der anderen Seite gibt es keinen subjektivrechtlichen Anspruch auf die Qualität, also die Werthaltigkeit des Geldes. Das heutige Geldsystem macht den Währungsbürger systematisch zum Währungsuntertan. Die Inflation, also die systematische Geldentwertung, muss der Währungsuntertan ertragen. Es bleibt ihm nur, im Rahmen seiner Möglichkeiten bestmöglich damit umzugehen.

Die staatliche Währungshoheit

Das staatliche Monopol im Geldwesen zeigt sich nicht nur in der Ausgabe von Münzen und Banknoten, sondern auch in der engmaschigen rechtlichen Regulierung des Bankenwesens unter Berücksichtigung der Steuerung durch Zentralbanken und Aufsichtsbehörden. Der Eingriff von Herrschaftsgewalt in das Geldwesen ist historisch gesehen so alt, wie das Geld selbst. Indem sich der Staat ein Monopol für die Geldausgabe sichert, kann er mindestens am Gewinn der Geldschöpfung partizipieren oder diesen gar ganz vereinnahmen. Geld ist aber nicht notwendigerweise staatlich organisiert. Es ist de facto und de jure ein „Geschöpf der Rechtsordnung“1 aber nicht natürlicherweise. Unser heutiges Geldsystem ist das Ergebnis permanenter und durchgreifender staatlicher Regulierung. In Deutschland ist die ausschließliche Zuständigkeit für das Geldwesen im Grundgesetz verankert.2 Kernbereich der Währungshoheit ist die Bereitstellung eines gesetzlichen Zahlungsmittels.3

Die Geschichte des Geldes war immer auch eine Geschichte der Inflation. Bereits in den frühesten Zivilisationen wurde der Geldwert von der jeweiligen Herrschaftsgewalt systematisch manipuliert, um Einnahmen zu erzielen. Spätestens nach dem vollständigen und dauerhaften Abschaffen der Metallbindung mit dem Ende des Bretton Woods Abkommens 1971 ist der Geldschöpfungsmöglichkeit des Staates zur Finanzierung seiner Ausgaben technisch keine Grenze mehr gesetzt. Die absolute Staatsmacht in Geldfragen wird jedoch durch rechtliche Grenzen beschränkt, um den Bürger vor parlamentarisch nicht legitimierter Besteuerung durch die Verwässerung des Geldwerts zu schützen.

Die Verfassung

Die Verfassung verkörpert das höchste Recht in einem Staat und regelt die Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt, einschließlich der einfachen Gesetzgebung. Der moderne Verfassungsstaat baut dabei auf normativen Grundlagen auf, die ihn erst ermöglichen. In den berühmten Worten des Staatsrechtlers Ernst Wolfgang Böckenförde: „Der freiheitliche säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“4 Notwendige normative Bedingung für den freiheitlichen Verfassungsstaat ist die Anerkennung der angeborenen Freiheit aller Individuen. Aus diesem Gedanken heraus muss die verfassungsgebende Gewalt beim Volk liegen, ohne, dass sich die Selbstbestimmung des Einzelnen in dem Selbstbestimmungsrecht eines Volkes vollkommen auflöst.5 In den Worten Friedrich von Hayeks: „Persönliche Freiheit zur Selbstbestimmung lässt sich durch politische Freiheit zur Mitbestimmung nicht ersetzen.“6 Der liberale Kerngedanke der Verfassungsidee besteht aus der rechtlichen Begrenzung der sich in der Neuzeit entwickelnden absoluten Staatsmacht. Nach der Vorstellung des modernen Verfassungsstaates wird dem Staat allein durch die Verfassung staatlichem Handeln Legitimität verliehen.7

Die Währungsverfassung

Lenin wird der Satz zugeschrieben „Um die bürgerliche Gesellschaft zu zerstören, muss man ihr Geldwesen verwüsten.“ Walter Eucken, Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft, erkannte, dass in der demagogischen Hülle dieses Ausspruchs ein richtiger Kern liegt und wies der Währungspolitik ein Primat in der Wettbewerbsordnung zu.8 „Alle Bemühungen, eine Wettbewerbsordnung zu verwirklichen, sind umsonst, solange eine gewisse Stabilität des Geldwertes nicht gesichert ist.“9

Aus der Aneignung des Geldmonopols folgt für den Staat die Möglichkeit, mit Geld Politik zu machen. Für Eucken war wichtig, dass die Währungsverfassung möglichst den Spielraum für „Geldpolitik“ einschränkt, „(…) weil die Erfahrung zeigt, daß eine Währungsverfassung, die den Leitern der Geldpolitik freie Hand läßt, diesen mehr zutraut als ihnen im allgemeinen zugetraut werden kann. Unkenntnis, Schwäche gegenüber Interessensgruppen und der öffentlichen Meinung, falsche Theorien, alles das beeinflußt diese Leiter sehr zum Schaden der ihnen anvertrauten Aufgabe.“10

Der Ausgestaltung der Währungsverfassung liegt eine „Gesamtentscheidung über die Ordnung des Geldwesens“11 zugrunde. Im modernen Staat hat sich eine Währungsverfassung herausgebildet, die dem Staat auf der einen Seite durch ungedecktes Fiatgeld eine unbegrenzte Möglichkeit der Geldvermehrung einräumt und sich auf der anderen Seite die Politik dann selbst Fesseln angelegt hat, um der Versuchung des Missbrauches des Geldes zum eigenen Nutzen zu widerstehen.

In Europa sind diese Fesseln größtenteils auf die Europäische Ebene verlagert worden. Mit dem Eintritt in die Wirtschafts- und Währungsunion wurden die Umrechnungskurse zwischen den an der gemeinsamen Währung teilnehmenden Mitgliedsstaaten „unwiderruflich festgelegt“ und der Euro damit zu einer eigenen Währung. Innerhalb der europäischen Währungsunion liegt das alleinige Recht zur Ausgabe von Banknoten, die als gesetzliches Zahlungsmittel gelten bei der EZB und den nationalen Zentralbanken, die per Vertrag vor missbräuchlichen Eingriffen über ihnen stehenden Staatsgewalten geschützt werden sollten.

Preisstabilität im Europäischen Währungssystem

Preisstabilität ist das währungspolitische Primärziel, festgelegt in der Grundnorm Art. 282 AEUV. Die Preisstabilität ist damit das wichtigste Ziel der Geldpolitik und genießt eindeutig rechtlichen Vorrang vor anderen für die Währungspolitik relevanten Zielen, wie etwa Wirtschaftswachstum oder Finanzstabilität.12 Diese werden als Sekundärziele verfolgt unter der Bedingung, dass Preisstabilität vorliegt. Das Ziel der Preisstabilität ist in historisch beispielloser Deutlichkeit und Dichte in den Europäischen Verträgen verankert.13 Diese Priorisierung der Preisstabilität als Politikziel ist ein Sonderfall im Unionsrecht und wird als notwendige Bedingung für die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank interpretiert.14 Selbst die Bundesbank hatte keine derart eindeutige Festlegung auf die Preisstabilität. Man kann daraus die große Sorge vor der Einführung des Euros erkennen, dass sich in der Währungsunion durch staatliche Übergriffe in die Geldpolitik eine Inflationskultur entwickeln könnte.

Gleichzeitig gibt es aber an keiner Stelle in den Europäischen Verträgen eine genauere Erklärung, was unter Preisstabilität genau verstanden wird. Aus dem Protokoll (Nr. 13) über die Konvergenzkriterien, das Teil des Vertragsrechts ist, lässt sich entnehmen, dass die „Preise“ anhand eines harmonisierten Verbraucherpreisindexes der EU gemessen werden. Damit ist klar, dass unter Preisstabilität die Wahrung der internen Kaufkraft des Euro für die Verbraucher und nicht etwa die Stabilität aller Preise oder des Wechselkurses gemeint ist.

Quantitativ gibt es kein rechtlich verbindliches Inflationsziel. Orientierung gibt aber auch hier das Protokoll über die Konvergenzkriterien. Dort ist von „anhaltender Preisstabilität“ die Rede. Das bedeutet, dass Preisstabilität kein einmaliger, punktuell zu erreichender Zustand sein soll, sondern nur bei einer „dauerhaft gleichbleibend niedrigen Inflationsrate“ besteht.15 Konkret bedeutete das 1998, dass man nur solche Mitgliedsstaaten zur Teilnahme an der einheitlichen Währung zugelassen hat, die eine durchschnittliche Inflationsrate für die Konsumentenpreise zwischen 1,1 % und 2,7 % auswiesen haben.16 Dieser „Referenzkorridor“ ist zustande gekommen, indem man die drei Länder mit den niedrigsten Inflationsraten als Zielgrößen genommen (1998: Österreich 1,1 %, Frankreich 1,2 %, und Irland 1,2 %) und dann 1,5 % Toleranzspielraum addiert hat, um die maximal zulässige Inflationsrate zu ermitteln. Alle 11 künftigen Euro-Teilnehmerstaaten haben 1998 eine Inflationsrate von unter 2 % ausgewiesen.

Der Staatsrechtler Paul Kirchhof argumentiert, dass die Inflationsraten zum Eintritt in die Währungsunion eine normative Verbindlichkeit erzeugen. Die Anfangsdisziplin der niedrigen Inflationsraten sollte beibehalten werden.17 Grundsätzlich ging man aber nie davon aus, dass diese Wertspanne als strenges Regelkorsett, sondern als mittelfristig anzustrebende Referenzwerte zu verstehen sind.18

Im Rahmen dieser rechtlichen Vorgaben kommuniziert die EZB ihr Verständnis von Preisstabilität. 1999 hat sie die Preisstabilität als einen Anstieg des Harmonisierte Verbraucherpreisindex für das Euro-Währungsgebiet von weniger als 2 % gegenüber dem Vorjahr definiert. „Die Formulierung „unter 2 %“ gibt unzweideutig die Obergrenze für die am HVPI gemessene Inflationsrate an, die mit Preisstabilität vereinbar ist.“19 Die 2 % als Obergrenze diente als Sicherheitsmarge, um versteckte deflationäre Entwicklungen ausschließen zu können. Diese Definition lag ganz im Sinne der Europäischen Verträge. Mit Blick auf die 2 % Marke kann der EZB sogar ein anfänglich besonderer Ehrgeiz in der Inflationsbekämpfung unterstellt werden.20

2003 erfolgte eine erste Überprüfung der geldpolitischen Strategie. Im Ergebnis stellte der EZB-Rat fest, dass er unter Preisstabilität eine Steigerungsrate von „unter, aber nahe der 2 %-Marke“ versteht.21 Diese Akzentverschiebung ist beachtlich. „Die Rede ist nicht mehr von einem Stabilitätsziel, sondern von einem „Inflationsziel“, obwohl eine Inflation der Alarm- und Warntatbestand, nicht der Regeltatbestand ist.“22 Die besondere Betonung der Preisstabilität in den Verträgen zielte aber auf die Verpflichtung zu „einem auf optimale Sicherung der Kaufkraft gerichteten Bemühen im Sinne stetiger Annäherung an die (absolute) Stabilität des Preisniveaus.“23 Indirekt ist mit dieser geldpolitischen Strategie die strukturelle Entwertung des Geldwerts und damit auch des Geldvermögens der Bevölkerung als Ziel festgelegt. Der Europäische Gerichtshof hat in einem Urteil vom Dezember 2018 entschieden, dass diese Deutung im Rahmen des Spielraums der EZB liegt.24

2021 überprüfte die EZB ein weiteres Mal ihre geldpolitische Strategie und veränderte wieder ihr Verständnis von Preisstabilität. „Nach Auffassung des EZB-Rats kann Preisstabilität am besten gewährleistet werden, wenn er mittelfristig eine Inflationsrate von 2 % anstrebt. Der EZB-Rat versteht dieses Ziel als ein symmetrisches Ziel. Symmetrie bedeutet in diesem Zusammenhang, dass der EZB-Rat negative Abweichungen von diesem Zielwert als ebenso unerwünscht betrachtet wie positive.25

Mit dieser Definition dürfte die EZB ihren Spielraum im Rahmen der Europäischen Verträge endgültig überschritten haben. Denn mit dem ursprünglichen Sinn der Regelung beim Aufbau der Währungsunion, den Geldwert stabil zu halten, hat diese Definition nichts mehr zu tun. Grund für diese Grenzüberschreitung dürfte eine übertriebene Furcht vor Deflation gewesen sein. Diese Furcht hat nicht nur der Anpassung der geldpolitischen Strategie, sondern auch der Ausgestaltung einer Geldpolitik den Weg bereitet, die eine Inflationswelle ausgelöst hat. Die nächste Überprüfung der geldpolitischen Strategie ist für 2025 angesetzt. Es wird interessant sein zu sehen, wie die Erfahrungen viel zu hoher statt zu niedriger Inflationsraten in die Überprüfung eingehen werden.

Das Überreizen des rechtlichen Rahmens durch die Zentralbank bestätigt sehr anschaulich das ursprüngliche Anliegen von Walter Eucken, den Spielraum für Geldpolitik verfassungsrechtlich zu begrenzen. Da aber der Euroraum keine eigene Verfassung hat und die Auslegung der europäischen Verträge durch den Europäischen Gerichtshof nicht immer derjenigen nationaler Verfassungsgerichte entspricht, gibt es in der Währungsunion keine harte Grenze für den Spielraum der Geldpolitik.

Das subjektive Recht auf gutes Geld

Subjektive Rechte des Einzelnen gegenüber der Staatsgewalt sind Kernbestandteil des liberalen Rechtsstaats. Das Grundgesetz schützt im Rahmen der Menschenwürdegarantie den Menschen davor, von einer Staatsgewalt als bloßes Objekt behandelt zu werden.26 „Die mit der Gewährung subjektiver Rechte verbundene Einklagbarkeit des jeweils geschützten Interesses ist gleichzeitig wesentliche Grundlage für die Verwirklichung der Gewaltenteilung.“27 Das gesamte staatliche Handeln muss sich prinzipiell an der Achtung subjektiver Rechte messen lassen. Im Zentrum eines subjektiven Rechts steht immer ein subjektives Individualinteresse. Auch subjektive Individualinteressen haben keinen Absolutheitsanspruch. Sie können durch ein überlagertes Interesse der Allgemeinheit staatlich eingeschränkt werden.

Das gilt auch und gerade im Geldwesen. Der Verfassungsrechtler Christoph Herrmann identifiziert und prüft die folgenden drei währungsrechtlich relevanten Individualinteressen: 1. Das Interesse, ein Zahlungsmittel frei anbieten, beziehungsweise frei wählen zu dürfen (Geldangebots- und Geldwahlfreiheit). 2. Das Interesse, den Wert seines Geldes zu schützen (Wertschutz). 3. Das Interesse, sein Geld in ein anderes Land zu bringen (Geldfluchtfreiheit).28

Die Reihenfolge der Interessen ist bewusst gewählt. Erst durch eine mangelnde Geldfreiheit rückt das Interesse am Wertschutz der staatlichen Währung in den Fokus. Der Grund für eine Geldflucht liegt wiederum sehr häufig in der mangelnden Möglichkeit, Geld vor Wertverfall zu schützen.

1. Geldangebots- und Geldwahlfreiheit

Bereits die mögliche Anknüpfung der Individualinteressen an Grundrechte lässt erahnen, dass die Geldangebots– und Geldwahlfreiheit wenig Chancen auf Erfolg versprechen. Bei der Geldangebotsfrage kommt die Berufsfreiheit nach Art. 12 GG infrage. Ohne Zweifel ist das erfolgreiche Anbieten von Geld eine gewinnbringende gewerbliche Tätigkeit. Es handelt sich auch nicht um eine genuin-hoheitliche Tätigkeit, da der private Geldanbieter gerade nicht auf die Ausübung hoheitlicher Zwangsmittel angewiesen wäre, wie etwa Polizei oder Justiz. Geld wurde in der Geschichte oft privat angeboten. Es besteht daher kein Zweifel, dass ein Währungsmonopol in den Schutzbereich der Berufsfreiheit eingreift.29 Die Rechtfertigung für den Eingriff in den Schutzbereich wäre jedoch insofern unproblematisch, als die Verfassung explizit die Einrichtung eines Währungsmonopols vorsieht.30 Die Mitgliedsstaaten der EWU haben dieses Monopolrecht auf die Europäische Zentralbank per Vertrag abgetreten.

Die Geldwahlfreiheit muss sich auf das „Auffanggrundrecht“ allgemeiner Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG beziehen. Das Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit stellt eine „Generalklausel der Freiheitsrechte“ dar, die eine sehr weite und allgemeine Freiheitsverbürgung impliziert. Für die Geldwahlfreiheit bedeutet das, dass sich Vertragsparteien bei Geldgeschäften auf ein eigenes Geld verständigen dürfen. Die allgemeine Handlungsfreiheit wird aber bereits durch die verfassungsrechtliche Festlegung des Euros als gesetzliches Zahlungsmittel eingeschränkt. Konstitutives Element eines gesetzlichen Zahlungsmittels ist der Annahmezwang. Der Annahmezwang von Papiergeld ist das Rechtsinstitut, das geschaffen werden musste, um das Vertrauen in die ursprünglich dahinterliegende Metallwährung zu ersetzen.31 Das Argument, dass Geldangebots- und Geldwahlfreiheit verfassungsrechtlich eingeschränkt sein dürfen, weil das Währungsmonopol und die Festlegung eines gesetzlichen Zahlungsmittels Verfassungsrang haben ist jedoch in letzter Konsequenz zirkulär.

Christoph Herrmann argumentiert, dass sich eine moderne staatliche Geldwirtschaft einer kritischen Hinterfragung entzieht, wenn sie alternativlos ist. Doch seien alternative Geldverfassungen in der Wirtschaftswissenschaft viel zu umstritten, um sie als ernsthafte Alternativen in Betracht ziehen zu können.32 Reformvorschläge, die in die Richtung einer Geld- oder Bankenfreiheit („Free Banking“) gehen, seien letztlich zu wenig konsensfähig, um das Währungsmonopol zu delegitimieren.

Diese Begründung kann aber nur teilweise überzeugen. Verständlich ist, dass das allgemeine Interesse an einem funktionierenden Geldsystem die Experimentierfreude des Gesetzgebers in diesem Bereich erheblich einschränkt. Aber wenn - entgegen der geschichtlichen Erfahrung - die Alternativen zum staatlichen Währungsmonopol wirklich so wenig überzeugend wären, müssten sie eigentlich auch nicht durch dieses hohe Maß an Regulierung und dem scharfen Schwert des Strafrechts bekämpft werden.

2. Wertschutzinteresse

Das subjektivrechtliche Interesse am Wert des Geldes knüpft an das Grundrecht auf Eigentum gemäß Art. 14 GG an. In einem Urteil des Bundesverfassungsgericht vom Dezember 1968 wird die zentrale Bedeutung hervorgehoben: „(Das Eigentumsgrundrecht ist ein)… elementares Grundrecht, das in einem inneren Zusammenhang mit der Garantie der persönlichen Freiheit steht. Ihm kommt im Gesamtgefüge der Grundrechte die Aufgabe zu, dem Träger des Grundrechts einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich sicherzustellen und ihm damit eine eigenverantwortliche Gestaltung des Lebens zu ermöglichen.“33

Inwieweit der Geldwert in den Schutzbereich dieses Grundrechts fällt, ist unter Verfassungsrechtlern strittig. Auf der einen Seite wird argumentiert, dass das Phänomen der Inflation viel zu komplex sei, um die Politik dafür verantwortlich machen zu können. Zudem hafte der Bürger in einer Demokratie für seine Regierung mit und könne nicht von den privaten Folgen politischen Handelns verschont werden.34 Jürgen Papier, ebenfalls später Bundesverfassungsgerichtspräsident hielt dagegen, dass Geld keinen zu den Sachgütern vergleichbaren, vom Tauschert losgelösten und unabhängige Nutzwert hätte und somit der Tauschwert der zentrale Teil des Eigentumsschutz darstellt. Im Übrigen sieht Papier, anders als Benda, in der Notwendigkeit der rechtlichen Beurteilung kausaler Ursachen einer Inflation keinen grundsätzlichen Hinderungsgrund für die Einschlägigkeit des Grundrechts auf Eigentum.35

Nach heutiger herrschender Meinung beinhaltet Art. 14 GG keinen Schutz gegen inflationsfördernde Handlungen. Die Kaufkraft sei keine konkrete vom Gesetz ausgeformte Rechtsposition, die Individuen subjektiv zugewiesen sei, insbesondere, wenn die staatliche Verursachung der Inflation regelmäßig auch nicht eindeutig auszumachen sei.36 Auch der EuGH argumentiert, dass über eine allgemeine Geldentwertung nicht die Rechtsstellung, sondern „nur“ die tatsächliche Stellung des wirtschaftlichen Akteurs betroffen sei.37

Paul Kirchhof kommt auch zu der Einschätzung, dass der Geldwert nicht durch die Eigentumsgarantie geschützt ist, da der Geldwert wesentlich durch das Verhalten der Grundrechtsberechtigten selbst beeinflusst wird.38 Im Falle der Negativzinsen argumentiert er aber, dass sie einen unzulässigen Eingriff in das Spareigentum von Individuen darstellen. Zentralbanken und Banken als ihre „Verwaltungshelfer“ würden den Bürger durch Negativzinsen versuchen, aus der Ersparnisbildung rauszubringen. An dieser Stelle stünde das Rechtsstaats- und Demokratieprinzip dem Mandat der EZB zur Preisstabilität entgegen, weil sie durch Negativzinsen die Eigentumssubstanz der Ersparnis zielgerichtet Schritt für Schritt mindert.39 Daran anschließend könnte man die in der geldpolitischen Strategie der EZB gezielte Minderung des Geldwerts durch Inflation von zwei Prozent pro Jahr ebenfalls als illegitime Enteignungspolitik werten. Dadurch soll allein auf Beschluss von EZB-Amtsträgern und ohne gesetzliche Grundlage eine Entwertung des Geldvermögens um 18 Prozent auf Sicht von zehn Jahren und um 45 Prozent auf Sicht von 30 Jahren herbeigeführt werden.

Kirchhof fordert eine Überprüfung des Parlaments, ob und inwieweit der monetär gesteuerte Bürger der im Grundgesetz begründeten Vorstellung des freien Menschen entspricht.40 Er mahnt an, dass die EU  Gefahr läuft, sich von einem integrierenden Bürger-Europa zu einem überschuldeten Finanzeuropa zu entwickeln.41 Mindestens so gefährlich dürfte sein, dass die von nationalen Exekutiven ernannte EU-Bürokratie immer mehr über die Köpfe nationaler Parlamente hinweg regiert und nur eingeschränkt von einem Europäischen Parlament kontrolliert wird, das nur unzureichend demokratisch legitimiert ist.42

Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass trotz der nachvollziehbaren politischen, ordnungsökonomischen und sogar demokratietheoretischen Überlegungen für eine stabile Währung, sowie der Möglichkeit dafür in einer entsprechenden Währungsordnung, kein eigentumsrechtliches Individualinteresse an einem stabilen Geld rechtlich durchgesetzt werden kann. Letztlich lässt sich der Staat nicht von seinen Bürgern für stabiles Geld in die Pflicht nehmen, da ihm das Währungsmonopol die Möglichkeit bietet, sich mit neuem Monopolgeld zu versorgen und aus der Geldwertverwässerung Gewinn zu ziehen.

3. Geldfluchtfreiheit

Die Geldflucht aus dem Einflussbereich der staatlichen Monopolwährung in ein solideres Alternativgeld ist gegebenenfalls der letzte Ausweg, aber kein gleichwertiger Ersatz für Geldwertschutz. Mit der Einführung von ungedecktem Papiergeld und der Loslösung von Gold als globaler Währung hat sich aber auch diese Selbstverständlichkeit zu einem rechtlich kritischen Sachverhalt entwickelt. So werden zum Beispiel in Deutschland die meisten Gold-ETFs wie Wertpapiere besteuert, so dass eine Aufwertung von Gold gegenüber dem Euro mit Kapitalgewinnsteuer belegt wird.43 Außerdem stuft die deutsche Finanzverwaltung inflationsindexierte Anleihen als Finanzderivate ein, so dass der dort anfallende Inflationsausgleich mit Kapitalgewinnsteuer belegt werden kann.44 Anders als in China ist Bitcoin in der EU zwar nicht verboten, aber Politiker und Zentralbanker nehmen jede Gelegenheit wahr, die Bürger davor zu warnen. Dagegen wird der Tausch in andere Fiatwährungen akzeptiert, wohl aus der Einsicht, dass der Bürger damit nur vom Regen in die Traufe kommen kann.

Fazit

Die Tatsache, dass sich der Staat das Währungsmonopol sichert, aber gleichzeitig die Qualität des Geldes gezielt verschlechtert, ist mit der Eigentumsgarantie in einer freien Marktwirtschaft nicht vereinbar. Sie ist nicht einmal mit der Eigentumsgarantie im Grundgesetz vereinbar, die dem Staat größeren Gestaltungsspielraum lässt. Das rechtfertigende Argument der Komplexität der Wirkungszusammenhänge kann dabei in doppelter Hinsicht nicht überzeugen. Erstens rechtfertigt die Komplexität kein positives Inflationsziel, zweitens würde das Argument der Komplexität dauerhaft im Widerspruch zu dem verfassungsrechtlichen Ziel der Preisstabilität stehen. Wenn die Zusammenhänge zu komplex sind und Geld im jetzigen System nur über ein positives Inflationsziel gesteuert werden kann, muss die Möglichkeit für einen Wettbewerb alternativer Geldsysteme stärker in den Fokus kommen.

Vor dem Hintergrund der Komplexitätsabwägung ist es verwunderlich, dass das deutsche Verfassungsgericht zwar den Klimaschutz durch den Staat für einklagbar erklärt, sich aber dem Eigentumsschutz gegen eine gezielte staatliche Minderung von Geldeigentum verweigert. Auch in hohen Gerichten weht der Zeitgeist, und der verlangt mehr Staat. So wird der Währungsbürger zum Währungsuntertan.

1 Knapp, Georg (1905) Staatliche Theorie des Geldes, Duncker & Hublot.

2 Art. 73 Nr. 4 GG.

3 Herrmann, Christoph (2010) Währungshoheit, Währungsverfassung und subjektive Rechte, Tübingen: Mohr Siebeck, S. 294.

4 Böckenförde, Ernst Wolfgang (1991) Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

5 Herrmann Christoph (2010) Währungshoheit, Währungsverfassung und subjektive Rechte, Tübingen: Mohr Siebeck.

6 von Hayek, Friedrich A. Die Verfassung der Freiheit, S. 18 ff. S. 132 ff.

7 Isensee, Josef (2004) Staat und Verfassung

8 Eucken, Walter (1952/2004) Grundzüge der Wirtschaftspolitik, Tübingen: Mohr Siebeck, S.255 f.

9 Ibid. S. 256.

10 Ibid. S. 257.

11 Herrmann, Christoph (2010) Währungshoheit, Währungsverfassung und subjektive Rechte, Tübingen: Mohr Siebeck, S. 148.

12 Selmayr, Martin (2015) Kommentierung von Artikel 127, 133, 137 (mit Protokoll Nr. 24), 282 AEUV sowie Artikel 13 ESZB/EZB-Satzung, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.) Europäisches Unionsrecht. Kommentar, 7. Auflage, Baden-Baden.

13 Kirchhof, Paul (2021) Geld im Sog der Negativzinsen, München: Beck Verlag, S.120.

14 Ibid.

15 Selmeyr, Martin (2015) Kommentierung von Artikel 127, 133, 137 (mit Protokoll Nr. 24), 282 AEUV sowie Artikel 13 ESZB/EZB-Satzung, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.) Europäisches Unionsrecht. Kommentar, 7. Auflage, Baden-Baden. S.1248

16 Ibid.

17 Kirchhof, Paul (2021) Geld im Sog der Negativzinsen, München: Beck Verlag, S.121.

18 Selmeyr, Martin (2015) Kommentierung von Artikel 127, 133, 137 (mit Protokoll Nr. 24), 282 AEUV sowie Artikel 13 ESZB/EZB-Satzung, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.) Europäisches Unionsrecht. Kommentar, 7. Auflage, Baden-Baden.

20 Selmeyr, Martin (2015) Kommentierung von Artikel 127, 133, 137 (mit Protokoll Nr. 24), 282 AEUV sowie Artikel 13 ESZB/EZB-Satzung, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.) Europäisches Unionsrecht. Kommentar, 7. Auflage, Baden-Baden. S. 1250.

21 EZB (2004) Die Geldpolitik der EZB, S.52.

22 Kirchhof, Paul (2021) Geld im Sog der Negativzinsen, München: Beck Verlag, S. 122.

23 Herdegen, Matthias (2022) Art. 88 GG, in Dürig, Herzog, Scholz (Hrsg.) Grundgesetz-Kommentar,  Rn. 39.

24 EuGH Urt. v. 11.12.2018 – C-493/17

25 EZB, Erklärungen zur geldpolitischen Strategie der EZB, siehe www.ecb.europa.eu/home/search/review/html/ecb.strategyreview_monpol_strategy_statement.de.html

26 Herrmann, Christoph (2010) Währungshoheit, Währungsverfassung und subjektive Rechte, Tübingen: Mohr Siebeck, S. 270.

27 Ibid.

28 Ibid. S, 294.

29 Herrmann, Christoph (2010) Währungshoheit, Währungsverfassung und subjektive Rechte, Tübingen: Mohr Siebeck, S. 312.

30 Ibid.

31 Ibid. S. 315.

32 Ibid. S. 328f.

33 BVerfGE 24, 367.

34 So der spätere Innenminister und Präsident des Bundesverfassungsgerichts Ernst Benda in: Industrielle Herrschaft und sozialer Staat, 1966.

35 Papier, Hans-Jürgen (1973) Eigentumsgarantie und Geldentwertung, AöR 98, S. 528.

36 Herrmann, Christoph (2010) Währungshoheit, Währungsverfassung und subjektive Rechte, Tübingen: Mohr Siebeck

37 Siehe: Deutscher Bundestag (2022) Das Ziel der Preisstabilität in den EU-Verträgen, PE-6-008-22-pdf-data.pdf (bundestag.de)

38 Kirchhof, Paul (2021) Geld im Sog der Negativzinsen, München: Beck Verlag, S. 165.

39 Ibid. S. 177.

40 Ibid. S. 193.

41 Ibid. S. 108.

42 Weil es kein „europäisches Volk“ gibt, das es vertreten könnte, und weil es bei der Wahl zu diesem Parlament keine Stimmengleichheit für alle EU-Bürger gibt.

43 Ausgenommen davon ist der Xetra-Gold-ETF, der in zähen Verhandlungen durchgesetzt hat, dass seine Anteile wie physisches Gold behandelt und Kapitalgewinne daher nicht besteuert werden.

44 Bei deutschen Steuerbürgern kassiert der deutsche Staat den von ihm gegebenen Inflationsschutz also zum Teil wieder ein. Ausländische Anleger fahren da bei der Besteuerung in ihren Heimatländern meist besser.

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