9,1 Prozent Inflation in der Eurozone: Im August wurde der elfte Inflationsrekord in den vergangenen elf Monaten erreicht. Die Notenbank muss reagieren – aber wie stark?
Für die Jüngeren von uns sind Inflationsraten, wie sie derzeit gemessen werden, ungewohnt. Um ähnliche dramatische Entwicklungen zu finden, müssen wir weit in die Geschichte zurückgehen. Als im Jahr 1982 der damalige Vorsitzende der Federal Reserve Bank of Kansas City, Roger Guffey, erstmals zu einem geldpolitischen Symposium nach Jackson Hole einlud, drohte die hohe Inflation ebenfalls auszuufern. In den USA waren die Verbraucherpreise im Frühjahr 1980 sogar um 14,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Erst das entschlossene Handeln des damaligen US-Notenbankchefs Paul Volcker, der die US-Leitzinsen zeitweise auf zwanzig Prozent anhob, konnte diese Entwicklung stoppen und die US-Inflation bis zum Jahr 1983 wieder auf ein Niveau von etwa drei Prozent drücken.
Rund vier Jahrzehnte später nähern wir uns in vielen Industrienationen wieder zweistelligen Inflationsraten (oder liegen in manchen Euro-Staaten sogar darüber). Insofern galt dem diesjährigen Ende August abgehaltenen geldpolitischen Symposium in Jackson Hole eine besondere Aufmerksamkeit. Die Botschaft von hochrangigen Geldpolitikerinnen und Geldpolitikern wie Isabel Schnabel, Ratsmitglied der Europäischen Zentralbank (EZB), war dabei unmissverständlich: „Notenbanken müssen im aktuellen Umfeld entschlossen handeln und sich gegen das Risiko stemmen, dass die Menschen die langfristige Stabilität unserer Fiatwährungen anzweifeln.“ Damit ist der Wettlauf der Notenbanken gegen die Inflation in vollem Gange.
Nach Jahren mit einer unkonventionellen Geldpolitik können die Notenbanken im Kampf gegen die Inflation nun wieder auf ihr Hauptwerkzeug zurückgreifen: die Leitzinsen. In einem Umfeld, in dem die Geldpolitik die Inflationsraten einfangen und damit die Wirtschaftsnachfrage herunterbringen muss, sind verschlechterte Refinanzierungsbedingungen für Haushalte, Unternehmen und Staaten, die es zuvor zu vermeiden galt, die neue geldpolitische Zielsetzung. Nur so kann Geldpolitik ihren Beitrag dazu leisten, dass Angebot und Nachfrage wieder zusammenfinden und sich die hohen Inflationsraten nicht in den Inflationserwartungen verstetigen.
Sogar die zögerliche EZB hat diesen Umstand mittlerweile akzeptiert und die Leitzinsen im September in einem zweiten Schritt um 0,75 Prozentpunkte erhöht. Andere Notenbanken sind schon weiter. Die US-Notenbank wird im September ihre fünfte Zinserhöhung in diesem Jahr verkünden. Sie dürfte die Federal Funds Rate auf gut drei Prozent anheben. Ein Niveau, das die Bank of Canada bereits überschritten hat (vgl. Grafik 1). Damit ist das Ende der Fahnenstange womöglich noch nicht erreicht. Schließlich stieg die US-Kerninflation im Monat August spürbar um 0,6 Prozent gegenüber dem Vormonat.
Wann ein Ende der hohen Inflationsdynamik erreicht wird, lässt sich kaum prognostizieren. Was sich aus Sicht der Notenbanker aber beurteilen lässt, ist der Umstand, dass die geldpolitische Reichweite in den vergangenen Dekaden weiter angestiegen ist. Denn die Verschuldung bewegt sich nahe neuer Rekordstände. In den USA lag die Gesamtverschuldung (Summe aus Haushalten, Unternehmen und Staat) Ende 2021 bei rund 290 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ( BIP ). Das sind rund 100 Prozentpunkte mehr als im Jahr 2000. Ein ähnliches Bild ergibt sich beim Blick auf die Eurozone. Dort ist die Gesamtverschuldung von 195 Prozent des BIP Ende 2000 auf knapp 270 Prozent des BIP Ende vergangenen Jahres angestiegen.
Je höher die Gesamtverschuldung einer Volkswirtschaft ist, desto höher ist auch der geldpolitische Impuls, der von den Zinserhöhungen ausgeht. Einfach, weil mehr (Neu-) Schulden von steigenden Zinsen betroffen sind – die geldpolitische Reichweite steigt also. Eine steigende geldpolitische Reichweite könnte daher bedeuten, dass im heutigen Inflationsumfeld womöglich weniger Zinserhöhungen nötig sind als dies in der Vergangenheit der Fall gewesen wäre, um die Inflation wieder in Richtung der Zielmarke von zwei Prozent zurückzuführen. Weniger (Zinsschritte) sind unter Umständen also mehr (geldpolitische Reichweite).
Für deutsche Sparer verheißt diese Kombination nichts Gutes. Europas Notenbanker brauchen (beziehungsweise dürfen) den Zinsbogen nicht überspannen. Einerseits, weil Zinserhöhungen aufgrund der hohen Verschuldung vergleichsweise stark wirken. Andererseits können auch mögliche Finanzstabilitätsrisiken bei zunehmender Schuldenlast nicht einfach ausgeblendet werden. Damit ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir in der Eurozone zeitnah positive Realzinsen sehen werden, äußerst gering. Für Sparer könnte sich die Durststrecke der vergangenen Jahre daher fortsetzen (vgl. Grafik 2). Auch dann, wenn es auf dem Tagesgeldkonto wieder zwei oder drei Prozent Zinsen geben sollte. Denn unterm Strich stünde noch immer ein spürbarer Kaufkraftverlust, sollte sich die EZB-Inflationsprognose von 5,5 Prozent für das kommende Jahr bewahrheiten.
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