Bei einer hohen Inflation sollen Notenbanken für Preisstabilität sorgen. Doch diese Aufgabe wird rund um den Globus unterschiedlich gehandhabt.
Ob in den USA, der Eurozone, aber auch im beschaulichen Neuseeland: Die Inflation kennt dieser Tage nur eine Richtung – nach oben. In vielen Ländern der Welt eilen die Verbraucherpreise von Rekord zu Rekord: So lag die Inflationsrate in den USA im März bei 8,5 Prozent, in der Eurozone bei 7,4 Prozent und eben in Neuseeland bei 6,9 Prozent. Das Zwei-Prozent-Inflationsziel, das die Notenbanken in allen drei Währungsräume verfolgen, ist in weite Ferne gerückt. Spätestens jetzt müssten also die geldpolitisch Verantwortlichen deutlich gegensteuern.
Fakt ist, in vielen Ländern beginnt sich die Inflation festzusetzen. Dabei können anhaltend hohe Verbraucherpreise nicht nur die Konsumnachfrage belasten, auch Investitionen werden in solchen Phasen häufig zurückgestellt – eine Belastungsprobe für Wirtschaft und Beschäftigung. Zinserhöhungen haben sich dabei in der Historie als wirksames Instrument zur Bekämpfung von Inflation erwiesen. Dennoch reagieren die drei Notenbanken höchst unterschiedlich auf den Anstieg der Teuerung und folgen jeweils anderen Überlegungen.
Die Reserve Bank of New Zealand wurde 1934 gegründet und es ist ihr verbrieftes Ziel, die Inflation zwischen ein und drei Prozent zu halten. Tatsächlich zeigten sich die Verantwortlichen fest entschlossen, die auch hier stark gestiegene Inflation möglichst zeitnah wieder in die Richtung des Inflationsziels zu bewegen. In den vergangenen vier Sitzungen wurden die Leitzinsen stets angehoben. Von 0,25 Prozent im Oktober 2021 sind sie bis April 2022 bereits auf 1,5 Prozent gestiegen. Weitere Leitzinsanhebungen sind fest eingeplant. Ihre geldpolitische Strategie fußt auf der Überzeugung, dass es langfristig weniger schädlich ist, die Zinsen frühzeitig und gegebenenfalls etwas stärker anzuheben als die Risiken einer sich verstetigenden Inflation zu tragen. Die Strategie von Neuseeland ist erprobt, sozusagen „Alte Schule“.
Neuseelands Notenbanker orientieren sich dabei an dem Beispiel der Deutschen Bundesbank. Deren stabilitätsorientierte Geldpolitik gilt als Erfolgsmodell der inflationsbewegten 1970er-Jahre. Im Zuge der Ölkrisen stiegen die damals auch in Deutschland ohnehin hohen Inflationsraten nochmals an. Die Bundesbank reagierte mit steigenden Zinsen und nahm in dieser unsicheren Zeit kurzfristige eine zusätzliche Belastung der Wirtschaft in Kauf. Das tat sie allerdings in der Überzeugung, dass tiefe Zinsen der Beschäftigung höchstens kurzfristig helfen können. Mittelfristig würden die Belastungen aus den hohen Inflationsraten überwiegen.
Den Realitätscheck haben diese Überlegungen erfolgreich bestanden. So wurden etwa nach dem ersten Ölpreisschock die Leitzinsen infolge der gestiegenen Inflation von drei auf sieben Prozent angehoben, so dass das Wachstum erst 1976 wieder alte Niveaus erreichte. Dennoch setzte sich die Phase der Stagnation in Deutschland weniger fest als beispielsweise in den USA. In den Vereinigten Staaten und weiteren Ländern versuchten Notenbanken damals, die negativen Folgen der Ölpreisschocks für den Arbeitsmarkt durch eine expansive Geldpolitik abzufedern. Doch im Vergleich zu Deutschland kam es dort zu dauerhaft höheren Inflationsraten, ohne dass die Arbeitslosigkeit geringer gewesen wäre. Neuseelands Weg der Alten Schule könnte sich daher als richtig erweisen.
Das Mandat der Europäischen Zentralbank (EZB) ist eng an das Erfolgsmodell der Deutschen Bundesbank angelehnt. Eigentlich. Das vorrangige Ziel der EZB ist es, Preisstabilität zu gewährleisten. Doch bislang ist davon wenig zu sehen. Vermutlich im dritten Quartal sollen die Wertpapierkäufe der EZB auslaufen. Erst danach wird eine erste Zinsanhebung in Aussicht gestellt.
Warum agiert Notenbank-Chefin Christine Lagarde derart zögerlich? Weil die EZB den kurzfristigen wirtschaftlichen Ausblick als sehr unsicher einstuft. Der Ukraine-Krieg und die mit dem Krieg verbundenen wirtschaftlichen Sanktionen könnten eine Rezession auslösen. Problematisch bei diesen Überlegungen ist, dass der geldpolitische Fokus auf den kurzfristigen Wirtschaftsausblick die Notenbank in eine gefühlte „Handlungsohnmacht“ versetzt. Sie manövriert sich damit in einen Zielkonflikt, der das klare Mandat auf Preisstabilität gefährdet. Statt die offenkundig viel zu hohe Inflation zu bekämpfen, fürchtet sie die kurzfristigen wirtschaftlichen Konsequenzen einer weniger expansiven Geldpolitik. Dem Erbe der Deutschen Bundesbank wird sie so kaum gerecht.
Die US-Geldpolitik agiert mutiger. Sie sieht sich aufgrund ihres Mandats zwar einem ähnlichen Zielkonflikt gegenüber, wie ihn sich die EZB dieser Tage selbst auferlegt. Denn neben dem Inflationsziel von zwei Prozent verfolgt die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) ein zweites Ziel: Vollbeschäftigung. Im Rahmen ihres sogenannten „dualen Mandats“ muss die Fed stets beide Ziele bei Entscheidungen berücksichtigen. Wenn daher hohe Inflationsraten auf eine sehr hohe Arbeitslosigkeit träfen, wäre die Zwickmühle programmiert. Mit steigenden Zinsen kann sie zwar der Inflation entgegenwirken, doch die Gefahr steigt, die Wirtschaft abzuwürgen, so dass die Arbeitslosigkeit im Gegenzug steigen dürfte – zumindest in der kurzen Frist.
Glücklicherweise stellt dieser potenzielle Zielkonflikt aber in der aktuellen Lage kein Hindernis dar. Die hohe US-Inflation von zuletzt mehr als acht Prozent trifft auf einen starken Arbeitsmarkt, an dem rund sechs Millionen Arbeitslose auf zuletzt gut elf Millionen offene Stellen trafen. Die erste Leitzinserhöhung im März in eine Bandbreite von 0,25 bis 0,5 Prozent war daher erst der Anfang eines Zinserhöhungszyklus. Weitere Zinsschritte sollen folgen.
Die außerordentliche Inflationsdynamik setzt Notenbanken weltweit unter Zugzwang. Wie stark und wie schnell diese die Zinsen in den kommenden Monaten und Jahren anheben werden, ist bekanntlich nur schwer vorherzusagen – heute mehr denn je.
Notenbanken, deren ausgeprägter Fokus auf Wirtschaft und Beschäftigung einer entschlossenen Inflationsbekämpfung im Wege steht, könnten letztendlich einem Irrglauben unterliegen. Denn wenn hohe Inflationsraten nicht eingefangen werden können, ist der wirtschaftliche Schaden, den sie kurzfristig vermeiden möchten, mittelfristig vorprogrammiert. Türkische Verbraucher, die im März 2022 mit einer Inflation von 61,1 Prozent konfrontiert waren, dürften dies bestätigen.
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