Die Bank von Japan ist unter Druck geraten, die Geldpolitik zu straffen. Die Studie untersucht die Risiken einer Zinserhöhung für den japanischen Staat, die Bank von Japan und den japanischen Finanzsektor und leitet mögliche Rückwirkungen für die internationalen Finanzmärkte ab. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass im privaten Finanzsektor maßgebliche Bewertungs- und Währungsrisiken liegen, die den geldpolitischen Handlungsspielraum der Bank von Japan einschränken. Erneute Zinssenkungen in den USA senken zwar das Risiko von Bewertungsänderungen bei US-amerikanischen Staatsanleihen, erhöhen aber die Risiken, die aus einer Aufwertung des Yen gegenüber dem Dollar resultieren.
Mit dem Anstieg der Konsumentenpreisinflation ab dem Jahr 2021 haben die US-amerikanische Zentralbank Federal Reserve (Fed) und die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen stark angehoben und ihre Bilanzen verkürzt. In den USA ist der Zielkorridor für die Geldmarktzinsen auf 5,25 bis 5,5 Prozent gestiegen, im Euroraum steht der Hauptrefinanzierungssatz nach einer Zinssenkung im Juni 2024 bei 4,25 Prozent. Die Bank von Japan (BoJ) hat hingegen den Leitzins seit der ersten Zinserhöhung seit 17 Jahren im März 2024 nur leicht von minus 0,1 Prozent auf zuletzt 0,25 Prozent angehoben.
Auch bei der Verkürzung der Zentralbankbilanz, dem sogenannten Quantitative Tightening, ist die Bank von Japan (BoJ) bei Niveau und Dynamik weit hinter Fed und EZB zurückgeblieben (siehe Abbildung 1). Die Bank von Japan hat nicht nur in der Vergangenheit ihre Bilanz deutlich stärker ausgeweitet. Während die Fed seit Januar 2022 und die EZB seit November 2022 das Volumen ihrer Bilanzen reduzieren, kauft die Bank von Japan derzeit noch Staatsanleihen im Gegenwert von drei Billionen Yen pro Monat und hat den langfristigen Zins auf nur rund ein Prozent steigen lassen. Goldman Sachs erwartet, dass die Bank von Japan den Leitzins bis zum Jahr 2027 auf 1,25 bis 1,50 Prozent anheben wird. Die Renditen zehnjähriger japanischer Staatsanleihen könnten dann Ende 2026 zwei Prozent erreichen (Teso und Yamanaka 2024).
Die Forschung zur japanischen Geldpolitik hat sich bisher auf die Auswirkungen der unkonventionellen geldpolitischen Lockerungen seit 2001 fokussiert.2 Ikeda et al. (2024) finden, dass die unkonventionelle Geldpolitik der Bank von Japan (mit Verzögerungen) wirksam war. Hingegen argumentieren Ouliaris und Rochon (2024), dass die Effektivität der quantitativen Lockerung gering war und seit 2013 mit den sogenannten Abenomics3 abgenommen hat. Basu und Wada (2023) identifizieren einen Einfluss der Quantitativen und Qualitativen Lockerung auf die Anleiherenditen, Harada und Okimoto (2021) auf den Aktienindex Nikkei 225.
Die Studie erforscht im Lichte der relativ hohen Leitzinsen in anderen Industrieländern und steigender Inflationsraten in Japan die möglichen Auswirkungen einer weiteren geldpolitischen Straffung auf den Staat, die Bank von Japan sowie den Finanzsektor, um Implikationen für die internationale Finanzmarktstabilität abzuleiten.
Steigende Zinsen bedeuten ein Risiko für den japanischen Staat, da seit dem Platzen der japanischen Blasenökonomie Ende der 1990er Jahre die Staatsverschuldung von 63 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (1990) auf über 250 Prozent angestiegen ist (Abbildung 2).4 Die ausstehende Verschuldung der japanischen Zentralregierung lag Ende März 2024 bei 1.297 Billionen Yen (8.684 Mrd. Dollar)5 (Japan Ministry of Finance 2024a). Lange Zeit ist trotz steil steigender Staatsverschuldung der Anteil der Zinszahlungen am Haushalt der japanischen Zentralregierung moderat geblieben, weil die Bank von Japan mit umfangreichen Ankäufen von Staatsanleihen die Zinsen niedrig gehalten hat (Schnabl 2015). Die Bank von Japan hält derzeit 53,9 Prozent der ausstehenden, länger laufenden Anleihen des japanischen Staates (JGBs) und kauft weiterhin Staatsanleihen an. Sie hatte seit September 2016 mit der sogenannten Zinsstrukturkurvenkontrolle die Zinsen auf zehnjährige Staatsanleihen bei null gehalten. Zuletzt hat sie einen Anstieg der Zinsen auf zehnjährige Staatsanleihen auf rund ein Prozent zugelassen. Das langfristige Zinsniveau Japans ist damit weit hinter den USA zurückgeblieben (Abbildung 3).
Würde die Bank von Japan wie die Fed und die EZB einem Abbau des Bestandes an Staatsanleihen in ihrer Bilanz vorantreiben, dann dürften die Zinslasten des japanischen Staates aus drei Gründen wachsen. Erstens würde sich ein großer Nachfrager aus dem Markt für japanische Staatsanleihen zurückziehen, weshalb private Anleger nur zu höheren Zinsen kaufen würden. Zweitens hat der japanische Staat das höchste Niveau der Staatsverschuldung als Anteil am Bruttoinlandsprodukt unter den Industrieländern. Die Risikoprämie würde stark steigen, insbesondere auch da das strukturelle Haushaltsdefizit weiterhin hoch ist.6 Drittens würde ein Anstieg der langfristigen Zinsen in Japan die ohnehin schwache Konjunktur bremsen, was die seit längerem schwächelnden Steuereinnahmen weiter dämpfen und das Haushaltsdefizit vergrößern dürfte.
Die Verschuldung der japanischen Zentralregierung lag Ende 2023 bei 1.297 Billionen Yen (8.684 Mrd. Dollar). Die erwarteten Zinsausgaben im Fiskaljahr 2024 werden mit 9,7 Billionen Yen und damit 8,6 Prozent des Gesamthaushalts veranschlagt (Japan Ministry of Finance 2024a). Nach einer Schätzung der Kabinettsbüros der japanischen Regierung werden die durchschnittlichen langfristigen Zinsen von 0,6 im Fiskaljahr 2023 auf 1,5 Prozent im Jahr 2028 und 3,4 Prozent bis zum Fiskaljahr 2033 steigen. Das würde bei einem Szenario mit hohem Wachstum die Zinszahlungen der japanischen Regierung von 7,6 Billionen Yen (2023) auf 11,5 Billionen Yen (2028) und schließlich auf 22,6 Billionen Yen (2033) verdreifachen (Arai 2024).
Hierbei bestehen aufgrund einer anhaltend schwachen Konjunktur große Unsicherheiten bezüglich der zu erwartenden Steuereinnahmen. Zudem dürften aufgrund der schnell alternden Gesellschaft die Ausgabenverpflichtungen des japanischen Staates im Sozialbereich weiter deutlich zunehmen (Japan Ministry of Finance 2024a). Die Wahrscheinlichkeit eines Staatsbankrotts und einer Schuldenkrise in einem der größten Industrieländer würde deutlich steigen.
Der japanische Staat verfügt jedoch nicht nur über eine hohe Verschuldung, sondern auch über beträchtliche Finanzreserven. Dazu gehören hohe Devisenreserven (Japan Ministry of Finance 2024b), die das japanische Finanzministerien insbesondere im Zuge immer wiederkehrender Devisenmarktinterventionen gegen Aufwertungen des Yen (Dollarkäufe und Yenverkäufe) angehäuft hat (Ito 2003, Hillebrand und Schnabl 2008).7 Deshalb ist davon auszugehen, dass ein Großteil der Devisenreserven in Dollar ist. Die Devisenreserven des Finanzministeriums lagen per Ende Mai bei knapp 1.232 Milliarden Dollar.
Da die Währungsreserven vom japanischen Finanzministerium, also dem japanischen Staat gehalten werden8, hat das Auswirkungen auf seine Nettozinsverbindlichkeiten. Zwar sind die ausstehenden Staatsanleihen des japanischen Staates in der Summe sehr viel höher als das Dollarvermögen des japanischen Staates. Doch lag die Verzinsung zehnjähriger US-amerikanischen Staatsanleihen bei zuletzt rund vier Prozent (1. August 2024), während sich zehnjährige japanische Staatsanleihen nur mit rund ein Prozent verzinsten (Abbildung 3). Bei einer Staatsverschuldung in Höhe von 1.297 Billionen Yen hat die japanische Zentralregierung im Jahr 2024 geschätzte Zinslasten in Höhe von 9,7 Billionen Yen (65 Milliarden Dollar) (laufendes Fiskaljahr).
Nach Angaben des japanischen Finanzministeriums hielt der japanische Staat per Ende Mai knapp 928 Milliarden Dollar seiner Devisenreserven in Anleihen. In den vergangenen zehn Jahren brachte eine zehnjährige US-amerikanische Staatsanleihe im Durchschnitt 2,39 Prozent jährliche Rendite. Dies als Maßstab für alle Wertpapieranlagen erzielte Japan laufende Zinseinnahmen auf den aktuellen Wertpapierbestand in den USA in Höhe von 22,2 Milliarden Dollar, was bei einem derzeitigen Wechselkurs von 149,36 Yen pro Dollar 3,32 Billionen Yen entspricht. Die Nettozinsbelastung sinkt so auf 6,39 Billionen (43 Mrd. Dollar) Yen.9 Bei einer weiteren Abwertung des Yen gegenüber dem Dollar würde die Bedeutung der Dollarzinseinnahmen relativ zu den Zinsverbindlichkeiten in Yen zunehmen, bei einer Aufwertung hingegen abnehmen.
Die Zinslasten sind für die Zentralregierung noch geringer, wenn man Regierung und Zentralbank als eine Einheit sieht.10 Die Bank von Japan hält knapp die Hälfte aller Staatsanleihen (Abbildung 5). Die Zinsbelastung der japanischen Regierung einschließlich Zentralbank reduziert sich dadurch rechnerisch auf gut die Hälfte, d.h. auf 5,05 Billionen Yen (und unter Berücksichtigung der Zinseinnahmen auf die Devisenreserven auf 1,73 Billionen Yen). Allerdings lag im Fiskaljahr 2023/2024 der Gewinn der Bank von Japan nur bei 2,29 Billionen Yen, also deutlich unter den rechnerischen Zinseinnahmen der Bank von Japan auf die gehaltenen Staatsanleihen.11
Da das japanische Finanzministerium große Devisenreserven hält und öffentliche Pensionskassen hohe Rücklagen gebildet haben, ist die Nettoverschuldung Japans deutlich niedriger als die Bruttoverschuldung. Der IWF beziffert nach Abzug finanzieller Vermögenswerte wie japanische Staatsanleihen, Währungsreserven, vergebene Kredite und den Vermögenswerten staatlichen Pensionsfonds die Nettoverschuldung des japanischen Staates (ohne Zentralbank) auf 158 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (Abbildung 4). Die Nettoverschuldung der USA lag nach der Berechnung des IWF bei 98 Prozent.
Koshima (2019) weist darauf hin, dass ein beträchtlicher Anteil der ausstehenden japanischen Staatsanleihen vom japanischen Staat selbst – zum Beispiel von der Zentralbank oder öffentlichen Pensionskassen – gehalten wird. Chien und Stewart (2023) beziffern die Nettoverschuldung des öffentlichen Sektors in Japan auf ca. 119 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, da die Bank von Japan (in Höhe von 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts) und die Sozialkassen (in Höhe von 14 Prozent) in großem Umfang Staatsanleihen hielten. Allerdings sollte berücksichtigt werden, dass den großen Beständen von Staatsanleihen der Bank von Japan entsprechende Verbindlichkeiten in Form der Einlagen der Geschäftsbanken bei der Bank von Japan entgegenstehen (Abbildung 6).
Die Nettoverschuldung kann in Bezug auf die Nachhaltigkeit der Staatsverschuldung als aussagekräftiger angesehen werden, weil hohe Vermögenswerte dazu beitragen können, eine Schuldenkrise abzufedern. Das Gegenargument ist, dass nur ein geringer Teil der Vermögenswerte wie Bargeldreserven liquide ist, während in einer Schuldenkrise Sachwerte wie Straßen und Gebäude nicht zeitnah liquidierbar sind. Zudem stehen in Japan staatlichen Vermögenswerten wie den ausstehenden Krediten des Fiscal Loan Funds und den Rücklagen für Pensionen entsprechende Verbindlichkeiten gegenüber.12 Deshalb sieht die OECD (2015) die Bruttoverschuldung als bestes Maß der öffentlichen Verschuldung (und der damit verbundenen Risiken) an.
Eine Zahlungsbilanz- bzw. wechselkursbedingte Schuldenkrise wie beispielsweise 1997/98 in Südostasien ist für Japan unwahrscheinlich. Südostasiatische Banken hatten sich im Verlauf der 1990er Jahre im Ausland in Fremdwährung verschuldet, auch bei japanischen Banken. Als die südostasiatischen Währungen nach Ausbruch der Asienkrise stark gegenüber Dollar und Yen abwerteten, stieg die Außenverschuldung gerechnet in Inlandswährung stark an, so dass die Banken in Schieflage gerieten (Krugman 1998). Ein solches abwertungsgetriebenes Fremdwährungsrisiko besteht für Japan nicht, weil Japan aufgrund der seit Beginn der 1980er Jahre bestehenden Leistungsbilanzüberschüsse keine Nettoauslandsverschuldung hat, sondern ein großes Nettoauslandsvermögen (siehe Kap. 4). Nur 13,5 Prozent der japanischen Staatsanleihen werden vom Ausland gehalten (siehe Abbildung 5).13
Wie die Zentralbanken anderer Industrieländer hat die Bank von Japan spätestens seit der Jahrtausendwende in großem Umfang Vermögenswerte gekauft, um den Finanzsektor und die Wirtschaft zu stabilisieren. Das Bilanzvolumen der Bank von Japan ist im Vergleich zu anderen großen Zentralbanken deutlich stärker angewachsen (Abbildung 1). Auf der Habenseite der Bilanz sind Staatsanleihen (78 Prozent des Bilanzvolumens zum 31.3.2024) sowie weitere Kredite und diskontierte Wechsel (14 Prozent) die wichtigsten Positionen. Auf der Soll-Seite dominieren mit rund 80 Prozent Einlagen der Geschäftsbanken und sonstige Einlagen, die zusammen mit dem Banknotenumlauf (16 Prozent des Bilanzvolumens) die Geldbasis bilden (siehe auch Abbildung 6).
Nachdem die Zentralbanken durch die Quantitative Lockerung die Einlagen der Geschäftsbanken weit über die Mindestreserven erhöht haben, drohen Verluste aus Zinserhöhungen. Die Gewinne der Bank von Japan sind im Gegensatz zu anderen großen Zentralbanken noch positiv, weil sie die Einlagen der Geschäftsbanken immer noch nicht verzinst. Die durchschnittliche gewichtete Verzinsung der von der Bank von Japan gehaltenen Staatsanleihen lag hingegen nach Angaben des japanischen Finanzministeriums per 31.12.2023 bei 0,77 Prozent. Aus dieser positiven Zinsdifferenz hat die Bank von Japan im Fiskaljahr 2023/24 Nettozinsgewinne in Höhe von 1,7 Billionen Yen generiert.
Hingegen haben die Zentralbanken des Eurosystems Verluste realisiert, nachdem die Europäische Zentralbank die Leitzinsen und damit auch den Zins auf die Einlagenfazilität des Eurosystems von -0,5 Prozent im Juni 2022 auf 4,0 Prozent im September 2023 und zuletzt auf 3,75 Prozent gebracht hat. Eine Reduzierung der Wertpapierbestände ist im Eurosystem bisher nur zögerlich erfolgt, so dass die Euro-Zentralbanken mit den Leitzinserhöhungen beträchtliche Zinszahlungen an die Geschäftsbanken leisten mussten. Da aufgrund einer Fristeninkongruenz steigende Zinsen auf die Einlagenfazilität der EZB sofort wirksam werden, die durchschnittliche Verzinsung der gehaltenen Staatsanleihen sich jedoch nur langsam verändert, wurden die Nettozinseinnahmen stark negativ, so dass beträchtliche Verluste resultierten.14
Die Verluste sind umso größer, je größer das Volumen der Anleihebestände, je stärker der Anstieg der Leitzinsen und je länger die Restlaufzeiten der gehaltenen Anleihen sind (Giles 2024). Die Einlagen der Geschäftsbanken bei der Bank von Japan sind im internationalen Vergleich besonders hoch und haben 599 Billionen Yen (4.010 Mrd. Dollar) erreicht (Abbildung 6). Die Bank von Japan müsste bei einem Einlagenzinssatz von 3,75 Prozent – dem aktuellen Einlagenzins im Euroraum – Zinsen im Umfang von 22,5 Billionen Yen (150 Mrd. Dollar) an die Geschäftsbanken bezahlen. Zum Vergleich: Der 2023 von der Bank von Japan an die Regierung überwiesene Gewinn lag bei 2,17 Billionen Yen (14,5 Mrd. Dollar).15
Hinzu kommen mögliche Bewertungsverluste auf die von den Zentralbanken gehaltenen Vermögenswerte. Die Zentralbanken vieler aufstrebender Volkswirtschaften, Entwicklungsländer und kleinerer Industrieländer halten großen Fremdwährungsreserven in ihren Bilanzen, so dass bei einer Aufwertung der Inlandswährung Bewertungsverluste entstehen. Das war zuletzt u.a. bei der Schweizer Nationalbank (2024) im Geschäftsjahr 2023 und der Tschechischen Nationalbank im Geschäftsjahr 2021 (Czech National Bank 2022) der Fall. Die Deutsche Bundesbank hatte in Folge der Aufwertung der Deutschen Mark gegenüber dem Dollar nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems in den 1970er Jahren große Bewertungsverluste (von Hagen 1998). Die Fremdwährungsreserven der Bank von Japan liegen jedoch bei weniger als 1,5 Prozent der Bilanzsumme, so dass dieses Risiko gering ist. Das Risiko trägt das Finanzministerium, das den Großteil der Devisenreserven hält.
Allerdings haben die jüngsten Zinserhöhungen der Fed und der EZB zu deutlichen Kursverlusten bei den ausstehenden niedrig verzinsten Staatsanleihen geführt (Buiter 2024, Sonnenberg 2023, Anderson et al. 2022). Gros und Shamsfakhr (2022) haben 2022 die Bewertungsrisiken auf die vom Eurosystem gehaltenen Staatsanleihen auf 700 Milliarden Euro in den folgenden zehn Jahren geschätzt, wobei sie für Länder mit einem niedrigeren Zinsniveau (wie Deutschland) höhere Verluste abgeleitet haben.16 Da die Bank von Japan im Zuge der quantitativen Lockerung gemessen am Bruttoinlandsprodukt sehr viel mehr Staatsanleihen gekauft hat als die Federal Reserve System und das Eurosystem, ist von deutlichen höheren Bewertungsrisiken auszugehen.
Wie sich Wertveränderungen von gehaltenen Wertpapieren auf die Bilanz auswirken, hängt von den Bilanzierungsregeln der jeweiligen Zentralbank ab (Bell et al. 2023).17 Die Bank von Japan legt bei der Bilanzierung von Wertpapieren die Methode der fortgeführten Anschaffungskosten zugrunde (Nishizawa und Okajima 2024): Sie verbucht den Nennwert der langfristigen japanischen Staatsanleihen, die bis zur Fälligkeit gehalten werden, auf der Aktivseite der Bilanz und schreibt die Differenz zwischen den Anschaffungskosten und dem Nennwert gleichmäßig bis zur Fälligkeit ab. Ändert die Bank von Japan den Status von "bis zur Endfälligkeit halten" zu "Investitionen", muss die Bank die Bewertung zu Marktpreisen (Mark-to-Market) umstellen. Im Falle eines Preisverfalls von langfristigen Staatsanleihen infolge steigender Zinsen muss sie dann diese mit entsprechenden Buchverlusten abwerten.
Die Bank von Japan verbucht die japanischen Staatsanleihen derzeit zu den fortgeführten Anschaffungskosten, weshalb sich keine realisierten Verluste ergeben. Die nicht-realisierten Verluste werden bei einem Anstieg der langfristigen Zinsen um ca. einen Prozentpunkt auf rund 9,4 Billionen Yen (65 Mrd. Dollar) geschätzt (Jiji Press 2024). Zum Vergleich: Das Eigenkapital der Bank von Japan lag 2023 bei 100 Millionen Yen (670.000 Dollar); Reserven und Rückstellungen bei 12,1 Billion Yen (85 Mrd. Dollar) (Bank von Japan 2024b).
Zudem hält die Bank von Japan auch Aktien in Form von ETFs18, deren Kurse im Falle von Zinserhöhungen fallen könnten. Ebenso Immobilienfonds, bei denen im Falle von Zinserhöhungen das Ausfallrisiko steigen dürfte. Der Umfang beider Vermögensklassen ist jedoch mit 4,9 Prozent (ETFs) und 0,9 Prozent (Immobilienfonds) des Bilanzvolumens im Vergleich zu den Staatsanleihen gering. Das größte Risiko resultiert damit aus der Verzinsung der Einlagen der japanischen Geschäftsbanken bei der Bank von Japan, wobei die Bank von Japan selbst über diesen Zins bestimmen kann.
Japans Rentensystem besteht aus dem pauschalen nationalen Rentensystem und beschäftigungsbezogenen Renten für Beschäftigte des öffentlichen und privaten Sektors. Japan verfügt deshalb über mehrere öffentliche Pensionsfonds, die Rücklagen für die Alterssicherung in der stark alternden Gesellschaft gebildet haben. Der größte ist der Government Pension Investment Fund (GPIF) mit einem Vermögen von gut 246 Billionen Yen (1.540 Mrd. Dollar). Er finanziert rund zehn Prozent der Grundrenten der Japaner.19 Außer dem GPIF gibt es zahlreiche weitere öffentlich-rechtliche Fonds, die die Pensionen für öffentliche Angestellte und Beamte auszahlen. Die Federation of National Public Service Personnel Mutual Aid Associations verwaltet ein Vermögen von rund zehn Billionen Yen, die Pension Fund Association for Local Government Officials 30 Billionen Yen und die Promotion and Mutual Aid Corporation for Private Schools of Japan fünf Billionen Yen.
Aufgrund der sehr lang anhaltenden Nullzinsen auf japanische Staatsanleihen haben die japanischen Sozialkassen ihre Anlagen zugunsten risikoreicheren Anlageklassen wie Aktien und Fremdwährungsanleihen umgeschichtet (Abbildung 7). Ende 2023 lagen die ausländischen Anlagen der japanischen Sozialkassen einschließlich Pensionsfonds bei 161 Billionen Yen (1078 Mrd. Dollar). Die Pensionskassen sind im Anlageverhalten nicht vollkommen flexibel, weil dieses mit dem japanischen Staat abgestimmt wird (GPIF 2020). Im Ergebnis können sie nicht schnell auf neue Entwicklungen auf den internationalen Finanzmärkten reagieren, woraus sich zusätzliche Währungsrisiken ergeben können. Hinzu kommen Auslandsanlagen von privaten Pensionsfonds und betrieblichen Pensionsfonds.20
Der Government Pension Investment Fund investiert seit dem 1.4.2020 rund 50 Prozent seiner Einlagen im Inland und 50 Prozent im Ausland, wobei jeweils die Hälfte der Anlagen in Wertpapieren und Aktien getätigt werden soll (siehe Abbildung 8).21 Vermögenswerte wie Immobilien und Infrastruktur sind auf fünf Prozent begrenzt und werden entsprechend ihres Risikos und ihrer Renditen entweder als Wertpapiere oder Aktien klassifiziert. Ausländische Wertpapiere, deren Währungsrisiko abgesichert ist, werden als inländische Wertpapiere eingeordnet. Abweichungen von den Zielwerten durch Kursschwankungen sind bis zu einem bestimmten Limit möglich.
Öffentliche Pensionsverwalter halten derzeit 4,4 Prozent und weitere Pensionsfonds 2,5 Prozent der ausstehenden japanischen Staatsanleihen (Abbildung 5). Zinsbedingte Kursverluste drohen nur dann, wenn die Staatsanleihen vorzeitig verkauft werden müssen, was bei den kalkulierbaren Auszahlungsverbindlichkeiten der Pensionskassen unwahrscheinlich ist. Hingegen bestehen Risiken bei den Auslandsanlagen, da der GPIF und andere Pensionsfonds ihre Wechselkursrisiken teilweise nicht absichern (siehe auch unten).
Japans Banken haben lange Zeit unter dem anhaltenden Niedrig- und Negativzinsumfeld gelitten, weil die Bank von Japan durch die sehr expansive konventionelle und unkonventionelle Geldpolitik die Zinsmargen – Kreditmargen, Transformationsmargen, Passivmargen – gedrückt hat (Schnabl 2020). Zudem ist nach dem Platzen der japanischen Blasenökonomie seit Anfang der 1990er Jahre bis zum Jahr 2013 die Kreditnachfrage der Unternehmen und Haushalte zurückgegangen, so dass die Einlagen bei den Banken weit über die Kreditvergabe hinaus gestiegen sind.22 Deshalb ist der Anteil der Auslandsanlagen an den gesamten Vermögenswerten angestiegen (Abbildung 9).23 Während die Banken zunächst den Rückgang der inländischen Kreditnachfrage durch den Ankauf von japanischen Staatsanleihen ausgeglichen haben, wurden die Staatsanleihen mit den Abenomics ab 2013 durch schnell wachsende Reserven der japanischen Geschäftsbanken bei der Bank von Japan ersetzt.
In Deutschland und Europa haben sich die Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank positiv auf die Kreditmargen ausgewirkt. Da die steigenden Zinsen auf die Einlagenfazilität der EZB sofort für alle Einlagen der Geschäftsbanken beim Eurosystem wirksam wurden, sind insbesondere die Zinseinkünfte aus den Einlagen beim Eurosystem stark angestiegen. Der Bankensektor kann aus dieser Sicht – trotz möglicher Bewertungs- und Kreditausfallrisiken – als Gewinner der Zinserhöhung gesehen werden. Eine ähnliche Entwicklung kann für Japan erwartet werden. Die Geschäftsbanken würden stark profitieren, wenn die Bank von Japan die Einlagen der Geschäftsbanken verzinsen würde. Auf der anderen Seite sind die Risiken auf Kursverluste bei Staatsanleihen vergleichsweise gering, weil die Bestände in den Bilanzen der Banken durch die Quantitative Lockerung gesunken sind.
Jedoch sind die Fremdwährungsrisiken des japanischen Bankensektors seit den 1980er Jahren angestiegen. Heute werden Vermögenswerte in Höhe von 1.390 Milliarden Dollar im Ausland gehalten, was 8,5 Prozent der Bilanzsumme entspricht (Abbildung 9). Da die Auslandsanlagen in der Regel in Fremdwährung denominiert sind, ergeben sich Risiken aus einer Aufwertung des Yen gegenüber dem Dollar. Hinzu können bei steigenden Zinsen im Ausland Bewertungsrisiken kommen, wie der jüngste Fall der Norinchukin Bank zeigt. Die auf landwirtschaftliche Betriebe spezialisierte Norinchukin Bank hatte außergewöhnlich viel in ausländische Staatsanleihen investiert, weil die Einlagen (nicht zuletzt aufgrund großzügiger staatlicher Subventionen für den Agrarsektor) hoch und die Kreditnachfrage im japanischen Agrarsektor gleichzeitig gering ist (Nihon Keizai Shinbun 2024).24
Ende März 2024 hatte die Norinchukin Bank ausländische Anleihen im Gegenwert von ca. 23 Billionen Yen in ihren Büchern, was ca. 42 Prozent ihrer Vermögenswerte entsprach. Der Zinsanstieg in den USA hat die Kurse dieser Anleihen stark reduziert. Da die Bank davon ausgehen musste, dass die Zinsen in den USA (und Europa) nicht so stark wie erwartet sinken würden, beschloss sie den Verkauf von ca. der Hälfte der ausländischen Anleihen, woraus sie Verluste in Höhe von 1,5 Billionen Yen (10 Mrd. Dollar) erwartet (Kitagawa 2024). Teilweise werden die daraus entstehenden Verluste in der Gewinn- und Verlustrechnung durch die starke Abwertung des Yen seit 2012 (siehe Abbildung 10) kompensiert. Letzteres wäre nicht oder weniger der Fall, wenn viele japanische Finanzinstitutionen ausländische Anlagen vor der Norinchukin Bank liquidieren und die entsprechenden Erlöse repatriieren würden, weil dann der Yen aufwerten würde.
Ein schwer kalkulierbares Risiko für die japanischen Banken sind die Kreditausfallrisiken. Der Bestand von Krediten an Unternehmen und Haushalte lag per Ende Mai 2024 bei 960 Billionen Yen (6.427 Mrd. Dollar). Aufgrund der lange anhaltenden Niedrigzinsen gehen einige Autoren davon aus, dass viele Unternehmen „zombifiziert“ sind, also nur bei einem anhaltend niedrigen Zinsniveau überlebensfähig sind (Caballero, Hoshi and Kashyab 2008, Sekine, Kobayshi und Saita 2003, Peek und Rosengreen 2005). Die Anzahl der Insolvenzen bewegte sich bisher zwar auf einem historischen Tiefstand. Bei stark steigenden Zinsen könnten daraus jedoch mehr Unternehmensinsolvenzen resultieren. Allerdings ist bereits ein großer Bestand von Krediten privater Banken an private Unternehmen durch staatliche Kreditgarantien abgesichert (Schnabl 2020), so dass die Verluste nicht bei den Banken, sondern beim Staat entstehen würden.
Japan hat ein sehr hohes Nettoauslandsvermögen in Höhe von zuletzt 3.339 Milliarden Dollar, das überwiegend vom privaten Sektor gehalten wird (Abbildung 11).25 Vom Bruttoauslandsvermögen halten der Staat 14,4 Prozent, Banken 19,7 Prozent und andere Finanzinstitutionen 39,3 Prozent.26 Die Auslandspositionen sind gegen Währungsschwankungen nur teilweise abgesichert,27 weil das teuer ist.28 Daraus ergibt sich eine Währungsinkongruenz: Die Verbindlichkeiten und die Bilanzen lauten auf Yen, während große Bestände an Vermögenswerten in Dollar gehalten werden. Wenn der Yen-Dollar-Kurs frei schwankt, entstehen für die in Yen notierten Institute Risiken (McKinnon und Schnabl 2004).
Da sie in Dollar (und Euro) notierte Wertpapiere halten, wirkt sich eine Aufwertung des Yen gegenüber dem Dollar und dem Euro negativ auf das Eigenkapital aus. Umgekehrt hat eine Abwertung einen positiven Einfluss.29 Ein hohes Nettoauslandsvermögen bedeutet einen persistenten inhärenten Aufwertungsdruck auf den Yen (Latsos und Schnabl 2018), weil diese jederzeit zurückgetauscht werden können.
Die Lebensversicherungen, Banken und andere Finanzinstitute haben also von der sich seit 2012 bis Ende Juni 2024 fortsetzenden Abwertung des Yen gegenüber dem Dollar (siehe Abbildung 10) profitiert. Die Aufwertung des Yen ab Juli 2024 löste hingegen Turbulenzen und schließlich einen starken Kursverfall auf der Tokioter Börse aus, weil sie nicht nur Exportunternehmen, sondern auch Banken und Versicherungen traf. Eine starke, anhaltende Yenaufwertung dürfte damit das größte Risiko für die japanische Volkswirtschaft sein.
Beispielsweise haben japanischen Lebensversicherungen damit ein doppeltes Risiko, wenn die Bank von Japan die Zinsen erhöht. Einerseits fällt der Wert inländischer Aktien und Wertpapiere. Andererseits reduziert eine Aufwertung des Yen den Wert der Auslandsanlagen gerechnet in Yen. Um das Wechselkursrisiko der japanischen Lebensversicherungen (oder anderer Finanzinstitute) zu minimieren, hat die Bank von Japan in der Vergangenheit den Zins in Japan ausreichend tief unter dem Zins in den USA gehalten (Abbildung 3), auch um einen Run in den Yen zu verhindern (McKinnon und Schnabl 2004).
Denn würden sich Aufwertungserwartungen bezüglich des japanischen Yens verfestigen, dann müssten japanische Banken, Versicherungen und Pensionsfonds zeitnah ihre Auslandsanlagen repatriieren, um aufwertungsbedingten Verlusten vorzugreifen.30 Abbildung 12 zeigt die Struktur der Wertpapierbestände japanischer Lebensversicherungen. Diese halten ausländische Wertpapiere im Gegenwert von 97 Billionen Yen (ca. 650 Milliarden Dollar), was rund 25 Prozent ihrer Vermögenswerte entspricht.31
Die Währungsrisiken für den japanischen Finanzsektor könnten sich dann verstärken, wenn die Inflationssteuerung in Konflikt mit Aufwertungsdruck auf den Yen gerät. Da bisher die Inflation in Japan gering war, konnte die Bank von Japan immer dann die Zinsen senken bzw. die Bilanz ausweiten, wenn der Yen unter Aufwertungsdruck geraten ist. Zuletzt ist die Inflation hingegen auf 2,8 Prozent (Juli 2024) angestiegen, auch da sich die Gewerkschaften stärker bemüht haben, die langjährigen Kaufkraftverluste durch höhere Lohnforderungen auszugleichen. Zudem denkt die US-amerikanische Federal Reserve wieder über Zinssenkungen nach, die wieder Aufwertungsdruck auf den Yen erzeugen könnten. Eine geringe Zinserhöhung der Bank von Japan von 15 Basispunkten auf 0,25 Prozent sowie verstärkte Zinssenkungserwartungen in den USA führten Anfang August 2024 zu einer schockartigen Auflösung von Yen-Carry-Trades und starken Kursverlusten auf den weltweiten Aktienmärkten (Flossbach von Storch 2024). Besonders stark war der Kursverlust an der Tokioter Börse, wo die Kurse von Exportunternehmen, Banken und Lebensversicherungen gefallen sind.
Wie groß das Volumen der globalen Yen-basierten Carry Trades ist, lässt sich schwer ermitteln.32 Nach George Saravelos, Leiter der Währungsanalyse bei der Deutschen Bank, betreibe Japan mit seinem öffentlichen Sektor (Regierung, Bank von Japan, Pensionsfonds und öffentliche Banken) einen gigantischen Carry Trade im Gegenwert von 20 Billionen Dollar, der durch die Niedrigzinsphase begünstigt worden sei (Business Standard 2024). Über die letzten drei Jahre sollen die Yen-Kredite an ausländische Investoren nochmals um 460 Milliarden Dollar auf 1.800 Milliarden Dollar gestiegen sein. Die Yen-Schwäche habe im gleichen Zeitraum den Wert der ausländischen Kapitalerträge japanischer Investoren um 233 Milliarden auf 551 Milliarden Dollar erhöht. Neben den Bewertungsrisiken bei den Staatsanleihen dürfte also vor allem eine unkontrollierte Aufwertung des japanischen Yen ein beträchtliches Risiko nicht nur für die Exportunternehmen, sondern auch für Versicherungen, Banken und Pensionsfonds sein.
Die jüngsten sehr zögerlichen Zinserhöhungen der Bank von Japan sowie die fortgesetzten Anleihekäufe in einem Umfeld der globalen quantitativen Straffung legen die Vermutung nahe, dass der geldpolitische Handlungsspielraum der Bank von Japan gering ist (Kihara 2024). Das dürfte an den Risiken liegen, die sich für den Staat, den Finanzsektor und die Bank von Japan aus Zinserhöhungen ergeben. Zwar stehen jeder Risikoposition auch Positionen gegenüber, die diese Risiken (teilweie) ausgleichen, was den Nettoeffekt schwer kalkulierbar macht. Grundsätzlich ist jedoch davon ausgehen, dass die Risiken um größer sind, je größer die Zinsveränderungen und die daraus resultierende Aufwertungen des Yen sind.
Trotz gewisser Risiken können der japanische Staat und die Bank von Japan nicht bankrottgehen. Der japanische Staat ist überwiegend im Inland verschuldet und scheint auf fortgesetzte Anleihekäufe der Bank von Japan vertrauen zu können. Die Bank von Japan kann wie andere Zentralbanken über einen längeren Zeitraum hinweg mit einem negativen Eigenkapital operieren, auch wenn dies ihre Unabhängigkeit und die Glaubwürdigkeit der Währung weiter unterhöhlen würde. Hingegen dürften im japanischen Finanzsektor (Banken, Versicherungen und Pensionskassen) größere Bewertungs- und Wechselkursrisiken verborgen liegen, die schnell Ansteckungseffekte innerhalb des Finanzsektors auslösen können.
Aufgrund der beachtlichen Größe des japanischen Finanzsektors und der tiefen Integration des japanischen Finanzmarkts in die internationalen Finanzmärkte würde eine neue Finanzkrise in Japan auch zweifellos die internationalen Finanzmärkte erschüttern. Einerseits sind japanische Investoren die größten Halter von US-amerikanischen Staatsanleihen. Ende April 2024 waren US-Staatsanleihen in Höhe von 1.150 Milliarden Dollar in japanischer Hand (Abbildung 13).33 Sollten sich japanische Anleger von US-amerikanischen Anleihen abwenden, könnte das mit einem deutlichen Anstieg langfristiger Zinsen in den USA mit entsprechenden Turbulenzen in US-Finanzsystem verbunden sein. Andererseits sind die Risiken groß, die weltweit bei einem Zinsanstieg in Japan aus der Auflösung von Carry Trades34 resultieren.
Dass es die Bank von Japan dazu kommen lassen wird, ist unwahrscheinlich. Entsprechend hat sie in Reaktion auf die jüngsten Turbulenzen eine Fortsetzung ihrer expansiven Geldpolitik signalisiert (Uchida 2024).35 Der tiefe Fall des Yen seit 2012 spiegelt nicht nur das niedrige Zinsniveau im Vergleich zu den USA wider, sondern auch die Schwäche der japanischen Wirtschaft, die sich seit dem Platzen der japanischen Blasenökonomie Ende der 1980er Jahre fortsetzt. Mit einer langsamen Erhöhung der kurz- und langfristigen Zinsen könnte die Bank von Japan der Abwertung des Yen und damit der Inflation in Japan zwar nachhaltig begegnen. Doch es scheint, als ob die Risiken für das japanische und globale Finanzsystem zu hoch sind, so dass die Zinserhöhungsspielräume der Bank von Japan, auch im Zeichen einer alternden Bevölkerung und wachsender geopolitischer Risiken, immer kleiner scheinen.
Zinssenkungen in den USA und anderen Industrieländern würden zwar den Druck von der Bank von Japan nehmen, die Zinsen zu erhöhen. Doch andererseits könnte der daraus resultierende Aufwertungsdruck auf den Yen durch die erneute Auflösung von Carry Trades schmerzhafte Instabilitäten im japanischen und internationalen Finanzsystem erzeugen. Die Bank von Japan dürfte gezwungen sein, sich von der aktuellen geldpolitischen Straffung zu verabschieden, bevor diese richtig begonnen hat. Das dürfte auf eine dauerhaft expansive Geldpolitik hindeuten, die den japanischen Anlegern auf Dauer den Anreiz nehmen könnte, Dollar in Yen zurückzutauschen (Schnabl 2024). Die Folge wäre ein dauerhafter Verfall des Yen sowohl beim Innen- als auch beim Außenwert sein, der den Wert in Einklang mit der sich seit mehr 30 Jahren fortsetzenden wirtschaftlichen Schwäche des Landes bringen würde.
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Endnoten
1 Wir danken Taiki Murai und Philipp Becker für die ausgezeichnete Unterstützung.
2 Diese hat in Form des sogenannten Yield-Curve-Targetings – der Kontrolle der Zinsen sowohl am kurzen als auch am langen Ende der Zinsstrukturkurve bei einem Niveau nahe null – ihren Höhepunkt gefunden.
3 Einer Kombination aus starker geldpolitischer und fiskalpolitischer Expansion sowie (bedingt) Strukturreformen.
4 Sie liegt damit weit höher als in den USA (126 %) und dem Euroraum (89 %).
5 Alle Yen-Beträge sind zum einen Wechselkurs von 149,36 Yen pro Dollar (1. August 2024) als Vergleichswerte in Dollar umgerechnet.
6 Die Prognose des IWF für das Staatsdefizit für das Jahr 2024 liegt bei 6,5 % des Bruttoinlandsprodukts.
7 Das japanische Finanzministerium hat zwischen dem 26. April und dem 29. Mai 2024 9,788 Billionen Yen für 62,2 Milliarden Dollar gekauft, um der starken Abwertung des Yen entgegenzuwirken. (Obe 2024). In der Vergangenheit dominierten hingegen Interventionen gegen Aufwertungen des Yen.
8 Im Gegensatz zu vielen Zentralbanken kleinerer Industrieländer und aufstrebender Volkswirtschaften sowie auch der Europäischen Zentralbank sind die Fremdwährungsbestände der Bank von Japan gering. Sie entsprechen ca. 1,5 Prozent der Bilanzsumme (Bank von Japan 2024a).
9 Bei anderen Zentralbanken und der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich hielt der japanische Staat Reserven von über 159 Milliarden Dollar sowie 63,9 Milliarden Dollar in Gold und Goldforderungen (Japan Ministry of Finance 2024b).
10 Takahashi (2022) bezeichnet dies als „intergouvernementalen Ansatz“. Die japanische Regierung könne die Verschuldung weiter deutlich erhöhen, wenn die Bank von Japan diese Anleihen kaufen würde. Der japanische Staat ist zu 55 Prozent Eigner der Bank von Japan, die börsennotiert ist. Die verbleibenden 45 Prozent werden von einer Vielzahl privater und halbstaatlicher Aktionäre gehalten. Die Zentralbank schüttet nur symbolische Dividenden von insgesamt fünf Millionen Yen pro Jahr aus. Nach Art. 53 des Bank von Japan-Gesetzes überweist die Bank von Japan alle Nettoerträge des betreffenden Zeitraums nach Abzug der notwendigen Ausgaben und Steuern an die Regierung. Im vergangenen Fiskaljahr per 31. März 2024 waren das 2,17 Billionen Yen (rund 14 Milliarden Dollar) (Goso 2024).
11 See Central Banking (2024).
12 Darüber hinaus gibt es Bedenken hinsichtlich der Qualität staatlicher Vermögenswerte wie den Forderungen des Fiscal Loan Fund, der öffentliche Investitionsprojekte finanziert hat.
13 Im Gegensatz dazu werden viele US-amerikanische Staatsanleihen im Ausland gehalten. Da die im Ausland gehaltenen Staatsanleihen jedoch in Dollar denominiert sind, besteht kein Währungsrisiko für die USA (siehe McKinnon 2012).
14 Für die EZB beliefen sich die Verluste im Jahr 2023 auf 1,3 Milliarden Euro. Der Verlust wäre größer gewesen, wenn die EZB nicht auf die verbleibenden 6,6 Mrd. Euro Rückstellungen zurückgegriffen hätte. Die Deutsche Bundesbank wies für das Jahr 2023 eine Bilanzgewinn von null aus, musste dafür aber die verbliebene Wagnisrückstellung in Höhe von 19,2 Milliarden Euro vollständig auflösen sowie weitere Rücklagen in Höhe von 2,4 Milliarden Euro entnehmen (Mauderer 2023).
15 Der Staat könnte mit einer zusätzlichen Bankensteuer Mehrerträge der Banken abschöpfen.
16 Die Schätzung basierte auf der Annahme, dass die durchschnittliche Restlaufzeit auf die vom Eurosystem gehaltenen Staatsanleihen 7 Jahre ist und die Differenz zwischen der durchschnittlichen Verzinsung der gehaltenen Staatsanleihen (0,5 Prozent) und dem Zins auf die Einlagenfazilität des Eurosystems (3,0 Prozent) bei 2,5 Prozent liegt.
17 Änderungen des Marktwertes von Wertpapieren können wie im Falle der Bank von England direkt in die Gewinn- und Verlustrechnung eingehen, so dass Verluste (oder Gewinne) sofort entstehen. Werden die Wertpapiere zum Anschaffungswert bilanziert, werden Verluste nur realisiert, wenn die Wertpapiere vor Fälligkeit verkauft werden (müssen). Die Europäische Zentralbank, die Schwedische Zentralbank und die Deutsche Bundesbank verbuchen unrealisierte Verluste und Gewinne in Neubewertungskonten (Revaluation Accounts).
18 Zum Einfluss der Bank von Japan auf den japanischen Aktienmarkt und die Nachhaltigkeit der ETF-Kaufstrategie siehe Harada (2021).
19 Japans Regierung will zusätzlich knapp 100 Billionen Yen an öffentlichen Renten-Rücklagen aktiver managen und dafür Kapital aus neun kleineren Pensionsfonds in einen zweiten großen Pensionsfonds überführen. Die Gründung eines zweiten „Pensions-Wals“ ist Teil der Strategie von Premierminister Fumio Kishida, eine „auf Vermögensverwaltung aufgebaute Nation“ zu schaffen (Morrison 2024). Mit dem privaten Sparvermögen von mehr 2.000 Billionen Yen (13,4 Billionen Dollar) will Kishida das Wachstum unterstützen. Hohe Steuerfreibeträge für langfristiges Wertpapiersparen sollen ein Baustein sein, ein anderer die Gründung von vier Sonderwirtschaftszonen für die vereinfachte Ansiedlung von ausländischen Vermögensverwaltern.
20 Die betrieblichen Rentenversicherungen haben gut 20 % ihrer Vermögenswerte im Ausland investiert (Japan Pension Fund Association 2023).
21 Im Vergleich zu den vorangegangenen Zielwerten wurde das Gewicht von ausländischen Wertpapieren (inländischen Wertpapieren) um 10 Prozentpunkte erhöht (gesenkt).
22 Das hat insbesondere kleine und mittlere Banken zu deutlichen Kosteneinsparungen und Fusionen gezwungen (Murai und Schnabl 2021), ohne dass zwingend Effizienzgewinne damit verbunden waren (Hosono et al. 2007). Größere Banken haben sich zu großen Finanzkonglomeraten zusammengeschlossen, die höhere Einnahmen über Finanzanlagen generieren konnten.
23 In der Asienkrise haben erhebliche Kreditausfälle in Südostasien die japanische Finanzmarktkrise (1998) ausgelöst.
24 Im Zuge der globalen Finanzkrise (2008) hatte die Norinchukin Bank große Verluste auf Asset Backed Securities realisiert, so dass sie seither mehr in risikolose ausländische Staatsanleihen investiert hat.
25 Finanzinstitutionen außerhalb des Bankensektors wie Pensionsfonds hielten eine Nettoposition über 397 Billionen Yen (2.658 Mrd. Dollar) und stehen damit für 84 Prozent des gesamten Überschusses.
26 Direktinvestitionen liegen bei 20,7 Prozent.
27 Die größten japanischen Lebensversicherer hatten vergangenes Jahr die Währungsabsicherung so stark wie seit mehr als einem Jahrzehnt nicht mehr gekürzt (Kondo und Teso 2024). Derivate wie Termingeschäfte, Swaps und Put-Optionen schützten Ende September 2023 47,8 Prozent der von Lebensversicherern gehaltenen ausländischen Wertpapiere, gegenüber noch 52,7 Prozent sechs Monate zuvor.
28 Ein japanischer Investor hätten beispielsweise im Mai 2024 155 Millionen Yen aufnehmen und in Dollar tauschen können. Das hätte bei einem Kurs von 155 Yen pro Dollar eine Million in der US-Währung gegeben. Für diese Million auf zehn Jahre festverzinslich in US-Staatsanleihen angelegt hätte der Investor einen Zins von 4,3 Prozent, also 3,3 Prozentpunkte mehr Zins als für ein Yen-Kredit über die Laufzeit erhalten. Am Ende hätte der Investor mit Zinseszins einen Ertrag von 383.577 Dollar gehabt. Nach zehn Jahren hätten knapp 1.384 Millionen Dollar zur Verfügung gestanden, um den Yen-Kredit zu tilgen. Doch wo dann der Dollar zum Yen notiert, ist ungewiss. Um das Währungsrisiko abzusichern, hätte sich der japanische Investor einen Yen-Dollar-Kurs für in zehn Jahren sichern können. Ende Mai lag dieser Zukunftspreis bei 109,34 Yen pro Dollar. Der Investor hätte über einen vollständig und über zehn Jahre währungsgesicherten Carry Trade am Ende dann nur 151,3 Millionen Yen zu Verfügung (eine Million Dollar Investment plus 383.577 Dollar Zinsmehrertrag multipliziert mit dem Zukunftspreis von 109,34 Yen). Der Investor könnte damit also nicht einmal den ursprünglichen Kredit tilgen. Eine zu einem Prozent verzinste, nicht kreditfinanzierte Yen-Anlage hätte dagegen inklusive Zinseszins 171,2 Millionen Yen gebracht.
29 Da die Rendite von Dollar-Anlagen auf den Weltfinanzmärkten gegeben ist, wird die Rendite von Yen-Anlagen zwangsläufig niedriger, was einer negativen Risikoprämie bei den japanischen Zinssätzen entspricht. Als die amerikanischen Zinssätze in den 1990er Jahren sanken, sah sich daher die Bank von Japan gezwungen, die Zinsen immer weiter abzusenken, so dass diese im Zeitverlauf gegen null gefallen sind (McKinnon und Schnabl 2004).
30 Dies schließt nicht aus, dass japanische Lebensversicherer und Banken in Abwertungsphasen entsprechende Rückstellungen gebildet haben.
31 Meiji Yasuda zählt zu den größten Lebensversicherern des Landes mit Anlagen über 47,4 Billionen Yen, davon 16,5 Billionen in japanischen Staatsanleihen. Zwar hält es Kenichirio Kitamura, Anlagechef der Meiji Yasuda Life für „durchaus denkbar“, dass sich die Rendite zehnjähriger japanischer Staatsanleihen in den kommenden Jahren verdoppeln könnte. Er blieb jedoch mit Umschichtungen zurückhaltend (Hidaka 2024).
32 Die Größe des täglichen Devisenhandels liegt bei 7.500 Milliarden Dollar, wobei in 8,5 Prozent aller Transaktionen (täglicher durchschnittlicher Gegenwert: 1,25 Billionen Dollar) der Yen involviert ist (BIS 2022).
33 Während sich China aus diesem Markt kontinuierlich zurückzuziehen scheint, sind die japanischen Anleger den US-amerikanischen Staatsanleihen treu geblieben.
34 Über den Carry Trade werden aber nicht nur Zinsanlagen finanziert, sondern auch Aktiengeschäfte. Als Anfang Juni 2024 die Börse Indien an einem Tag um bis zu acht Prozent einbrach, machten Marktbeobachter dafür inter alia die Auflösung solcher Geschäfte verantwortlich. Der Yen gewann an dem Tag gegen den Dollar 0,8 Prozent und gegen die indische Rupie 1,2 Prozent an Wert. Auch die Käufe von Tech-Stocks scheinen viel mit Carry-Trades finanziert worden zu sein.
35 “However, since recent developments in financial and capital markets at home and abroad have been extremely volatile, the Bank is monitoring developments in these markets and their impact on economic activity and prices with utmost vigilance, and it will conduct monetary policy as appropriate. Let me reiterate my view that the Bank needs to maintain monetary easing with the current policy interest rate for the time being.” (Uchida 2024)
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