Riesige Hilfspakete sollen die Wirtschaft in der Corona-Krise stützen. Ein Streitgespräch von Peter Bofinger und Thomas Mayer über expansive Geldpolitik und Staatsausgaben, moderiert von Thomas Lehr.
Thomas Lehr: Derzeit werden im Zuge von Covid-19 enorme Hilfspakete aufgelegt, die die Staaten mit neuen Schulden finanzieren. Zeitgleich halten die Notenbanken die Zinsen niedrig und kaufen im großen Stil Anleihen auf. Isabel Schnabel, seit kurzem Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank (EZB), wehrt sich in einen Gastbeitrag für eine Tageszeitung vehement dagegen, dass diese Ankäufe von Staatsanleihen als Staatsfinanzierung bezeichnet werden und behauptet wird, die Anleihekäufe der EZB würden die Preisfindung auf den Finanzmärkten außer Kraft setzen. Stimmt das?
Thomas Mayer: Das finde ich nicht nachvollziehbar, zumal die EZB seit kurzem sogar einzelne Anleihen beim Kauf bevorzugen kann. Natürlich ist der Einfluss der Käufe auf die Marktpreise gewaltig. Vor allem bei den Risikoaufschlägen, so genannte Credit Spreads, italienischer Anleihen spielen die Anleihekäufe der EZB eine gewichtige Rolle. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat diesen Einfluss ja mal kurz getestet, als sie sagte, die EZB sei nicht zuständig für Spread-Kontrolle (Risikoaufschlag von Papieren, die Emittenten mit geringer Bonität auflegen, gegenüber dem vermeintlich sicheren Zins, Anm. der Red.). Daraufhin schossen die Risikoaufschläge nach oben. Ich finde es völlig realistisch zu sagen: Im Prinzip druckt die EZB das Geld, dass die Staaten ausgeben.
Peter Bofinger: Hier stimme ich zu. Allerdings ist das kein europäisches Problem. Gemäß der „Modern Monetary Theory“ machen Staaten Defizite und die Notenbanken finanzieren das, ob direkt oder wie die EZB indirekt. Und das finde ich auch richtig so. Der Präsident der USA kann das Defizit auch nicht auf fast 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) treiben, ohne dass ein Effekt auf die Zinsen entsteht.
Mayer: Ich finde, bei dieser „Modern Monetary Theory“ funktioniert immer nur der erste Teil. Nämlich, dass der Staat das Geld unter die Leute bringen soll. Eigentlich sollte er es dann später über Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen wieder aus der Wirtschaft rausziehen. Doch dieser zweite Teil fällt meist aus. Das Geld bleibt in der Wirtschaft drin, und das hat selbstverständlich Folgen. Die Inflationsgefahr steigt.
Lehr: Das ist ein wichtiger Aspekt. Herr Bofinger, was sagen Sie zum Thema Inflation?
Bofinger: Bisher ist die Ausweitung der Geldmenge M3 im Euroraum in diesem Jahr mit plus neun Prozent moderat geblieben. 2001 und 2007 haben wir sogar schon mal zweistellige Werte gesehen, ohne dass Inflation entstanden ist. Spannender ist es in den USA, wo die Geldmenge um 20 bis 30 Prozent gestiegen ist, auch infolge der hohen Arbeitslosengeldzahlungen. Bisher ist kein inflationärer Effekt erkennbar, da das Geld gespart wird. Doch nach der Pandemie wird das Leben nicht mehr dasselbe sein. Es wird mehr Homeoffice geben, weniger Reisen, mehr Digitalisierung. Arbeitskräfte werden freigesetzt. Löhne steigen in einem solchen Umfeld kaum. Daher rechne ich eher mit deflationären Tendenzen.
Lehr: Der eine von Ihnen rechnet also mit einem Anstieg der Inflation, der andere erwartet eher Deflation, also rückläufige Preise. Unabhängig davon die Frage: Könnte die EZB auf eine höhere Inflation überhaupt noch reagieren und die Zinsen anheben?
Mayer: Ich glaube, dass wir einen Geldüberhang geschaffen haben, während die Eurozone wohl jetzt in eine Double-Dip-Rezession rutscht. So wird das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr wohl um sechs bis sieben Prozent sinken, die Geldmenge aber um etwa zehn Prozent steigen. Gleichzeitig entsteht ein Schuldenüberhang. Da mag die Situation in den USA noch krasser erscheinen, aber so etwas hat man meines Wissens bisher nur in Kriegszeiten gesehen. Ich sehe derzeit nicht, woher ein derart starkes Wachstum kommen sollte, das durch eine Zinsanhebung in der Zukunft nicht wieder erstickt würde.
Bofinger: Für den Euroraum halte ich die Verschuldung auch angesichts der relativ zur Wirtschaftsleistung im vergangenen Jahrzehnt gesunkenen privaten Verschuldung für OK. Ich teile die Bedenken, dass es schwierig wird, da rauszukommen. Vielleicht müssen wir einen ähnlichen Weg finden, wie Japan und die USA, wo Notenbank und Regierung stärker zusammenarbeiten.
Lehr: Vielen Dank für das Gespräch.
Zu den Personen:
Peter Bofinger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Würzburg. Von März 2004 bis Ende Februar 2019 war er Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.
Thomas Mayer ist Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute. Von 1983 bis 1990 war er beim Internationalen Währungsfonds, danach bei Salomon Brothers und Goldman Sachs tätig. Von 2002 bis 2009 war er Chefvolkswirt der Deutschen Bank Gruppe.
Thomas Lehr ist Kapitalmarktstratege bei Flossbach von Storch. Zuvor arbeitete er von 2001 bis 2014 für die Credit Suisse Gruppe, wo er ab 2008 als Mitglied des globalen Asset Allocation Committees mitverantwortlich für die internationale Anlagestrategie der Vermögensverwaltung war.
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