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Gesellschaft
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Haushaltsdisziplin: mangelhaft!

- Julian Marx

In den Pandemiejahren kannten die Staatsausgaben keine Grenzen. Eine Ausnahmesituation – doch auch danach verbleiben die Staatsdefizite auf hohen Niveaus.

Die USA geben weiter Vollgas. Zumindest mit Blick auf die Staatsausgaben. Im abgelaufenen Fiskaljahr, das am 30. September 2023 endete, hat die US-Regierung das dritthöchste Defizit ihrer Geschichte eingefahren. So kann Präsident Biden auf ein Defizit von 1.695 Milliarden US-Dollar im vergangenen Fiskaljahr zurückblicken.

Streng genommen überstieg das Defizit sogar knapp die Marke von zwei Billionen US-Dollar. Ein Sondereffekt hat geholfen. Denn im Sommer 2022 wollte die US-Regierung im großen Stil US-Studentenkredite erlassen. Mehr als 300 Milliarden US-Dollar hätte das kosten sollen. Verbucht wurden die Kosten damals auch schon im Haushalt.

Weil der Oberste Gerichtshof der USA den teilweisen Erlass der Studentenkredite in diesem Jahr aber kippte, wurden der US-Regierung die bereits verbuchten Kosten wieder gutgeschrieben. Ohne diese „Gutschrift“ hätte das Defizit der US-Regierung bei gut sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts gelegen. Ein Defizit, das in der US-Geschichte noch nie außerhalb eines Krieges, einer Rezession oder eines nationalen Ausnahmezustands verbucht wurde. Die US-Haushaltsdisziplin scheint dieser Tage wenig ausgeprägt. Wie sieht es in Europa aus?

Wenig Hoffnung für die Eurozone

Der alte Kontinent steckt tief in den roten Zahlen. Die durchschnittliche Staatsverschuldung der Eurostaaten lag Ende vergangenen Jahres bei 91,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Sechs Eurostaaten weisen sogar eine Staatsschuldenquote von mehr als hundert Prozent des BIP aus. Darunter „Schwergewichte“ wie Frankreich, Italien und Spanien.

 Besserung scheint nicht in Sicht. Zumindest gibt die historische Haushaltsdisziplin wenig Anlass zur Hoffnung. Das Maastricht-Defizit-Kriterium, das ein Haushaltsdefizit von maximal drei Prozent des BIP vorsieht, hat in der staatshaushalterischen Praxis schon lange keine Relevanz mehr.

So lag das französische Defizit zwischen 2000 und 2022 in 18 von 23 Jahren bei mindestens drei Prozent des BIP. Spanien riss die Defizit-Grenze in diesem Zeitraum 14-mal und Italien 12-mal (siehe Grafik). Nach aktuellen Schätzungen des Internationalen Währungsfonds dürfte das Haushaltsdefizit dieser drei Euro-Schwergewichte auch im Jahr 2023 bei mehr als drei Prozent des BIP liegen. Mal wieder.

Haushaltsdisziplin: mangelhaft! - Flossbach von Storch

Dabei wäre etwas mehr Haushaltsdisziplin hilfreich. Nach vorne schauend erwarten uns signifikante demografische Lasten, die die Wirtschaftsleistung dämpfen und den fiskalischen Handlungsspielraum weiter einengen könnten. In der Eurozone könnte der Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter (20 bis 64 Jahre) von 59 Prozent im Jahr 2020 auf rund 51 Prozent in 2045 sinken. Weitere Ausgabenblöcke dürften zur Belastung werden. Aus deutscher Sicht ließe sich etwa das hundert Milliarden Euro schwere Sondervermögen der Bundeswehr anführen. Es lässt sich nicht beschönigen: Die Aussichten für die Staatsfinanzen in der Eurozone bleiben mau.

Geldpolitische Rückversicherung

Die hohen Schuldenlasten bergen aus Sicht der politischen Entscheidungsträger das Risiko, dass sich der fiskalische Handlungsspielraum weiter einengt. Dies gilt in Phasen steigender Zinsen, wie wir sie aktuell erleben, umso mehr.

Wie weit die disziplinierende Wirkung von Zinsen und Schulden langfristig aber tatsächlich gehen wird, ist unklar. Das Beispiel Japan lässt aufhorchen. Japans Staatsschulden dürften Ende dieses Jahres bei rund 1.500 Billionen Yen (knapp 10 Billionen Euro) beziehungsweise mehr als 250 Prozent des japanischen BIP liegen.

Japans Finanzminister stört das allerdings wenig. Sie schöpfen seit Jahrzehnten aus dem Vollen. So lag das jährliche Primärdefizit Japans (Staatsdefizit vor Zinskosten) in diesem Jahrtausend bei durchschnittlich 4,9 Prozent des BIP. Das funktioniert dank der freundlichen Mithilfe der Bank of Japan. Japans Notenbank hielt mit 591 Billionen Yen zuletzt knapp vierzig Prozent der japanischen Staatsschulden. Zudem limitieren Japans Notenbanker noch immer das Renditeniveau japanischer Staatsanleihen. Dabei gilt ein Renditeniveau von 1,0 Prozent bei 10-jährigen japanischen Staatsanleihen als Referenzpunkt, ab dem Japans Notenbanker bei Bedarf mit großangelegten Staatsanleihekäufen intervenieren.

Ob sich die Verschuldung der Eurostaaten in eine ähnlich extreme Richtung wie in Japan entwickeln kann? Komplett auszuschließen ist das nicht. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat in jedem Fall schon den Beweis angetreten, dass auch sie eine Art Rückversicherung für die Staatsfinanzen ist. Wie sonst ließe sich erklären, dass die Euro-Währungshüter zum größten Gläubiger der Eurostaaten aufgestiegen sind? Beispielsweise hielten sie per August 2023 25,1 Prozent der italienischen Staatsschulden.

Auch wenn wir derzeit eine Phase höherer Zinsen im Euroraum sehen – eine historisch mangelhafte Haushaltsdisziplin und wachsende demografische Belastungen sprechen langfristig dennoch dafür, dass die Staatsfinanzen dauerhaften geldpolitischen Geleitschutz benötigen. Die Zeiten einer restriktiven Geldpolitik dürften demnach endlich sein.

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