Die Staatsschulden brechen alle Rekorde. Das hat kaum Konsequenzen – der Notenbank sei Dank. Wie Europas Staaten dank „Schulden-Recycling“ kreditwürdig bleiben.
Ein stattliches Sümmchen, das sich noch einmal deutlich vermehren sollte. 2.573.468.400.000 Euro betrug der Schuldenstand Italiens Ende des Jahres 2020. Wenig später, im Februar 2021 übernahm Mario Draghi, vormals Präsident der Europäischen Zentralbank, dann das Amt des italienischen Premierministers.
Draghi erbte den zweitgrößten Schuldenberg der Eurozone. In absoluten Zahlen hatte Frankreich die Nase vorne, wo sich die Staatsschulden zu diesem Zeitpunkt auf 2.649 Milliarden Euro summierten. In Relation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) belegte Italien hinter Griechenland den zweiten Platz. So lag die Staatsverschuldung Italiens bei 156 Prozent des BIP, während sich Griechenlands Staatsschulden Ende 2020 auf 206 Prozent des BIP beliefen.
Die Schuldenberge hätten schon im vergangenen Jahr einen Grund zur Besorgnis geboten, könnte man meinen. Anlass für politische Reformen, eine langfristig ausgeglichene Haushaltspolitik. Es kam aber anders, Italiens neuer Premierminister legte seinerzeit als EZB-Präsident den Grundstein für eine außergewöhnliche Schuldentragfähigkeit der Euro-Staaten.
Die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank (EZB) ist im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union und in der Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken festgelegt. Ein zentraler Baustein der Unabhängigkeit ist, dass die Geldpolitik die Staatsfinanzen nicht direkt finanzieren darf. Aus gutem Grund, denn sonst wäre die Gefahr von Fehlanreizen groß.
Eine ausgeprägte Nähe zwischen Notenbanken und Fiskalpolitik ist bereits seit vielen Jahrzehnten unerwünscht. Dass Mario Draghi, der seit November 2011 für acht Jahre das Amt des EZB-Präsidenten innehatte, in die Fiskalpolitik gewechselt ist und mittlerweile als Premierminister Italiens agiert, ist da zumindest ein pikantes Detail. Nicht zuletzt, weil er nicht irgendein EZB-Präsident war. Draghi übernahm inmitten der Eurokrise das Ruder und initiierte im Januar 2015 milliardenschwere Staatsanleihekäufe. Unter seiner Regie stieg etwa der Bestand italienischer Staatsanleihen im Besitz der italienischen Notenbank Banca d’Italia um gut 300 Milliarden Euro auf etwas mehr als 400 Milliarden Euro zum Ende seiner Amtszeit an.
Draghis Nachfolgerin Christine Lagarde, die am 1. November 2019 übernahm, brauchte den Werkzeugkasten ihres Vorgängers zu Pandemiebeginn nur noch reaktivieren, um alles geldpolitisch Mögliche zur wirtschaftlichen Bekämpfung der Coronakrise zu tun. Im Ergebnis hielt die Banca d’Italia Ende Oktober vergangenen Jahres 664 Milliarden Euro an italienischen Staatspapieren (vgl. Grafik). Das entsprach 24,5 Prozent aller italienischen Staatsschulden.
Weil das Eurosystem aktuell weitere Staatsanleihen hinzukauft und frühestens in 2025 beginnen dürfte, einen Teil der auslaufenden Staatsanleihebestände nicht zu reinvestieren, drückt dies den Schuldenberg der Eurostaaten de facto spürbar. Schließlich generieren die Zinszahlungen auf die Staatsschulden doch Zinserträge bei den Notenbanken, die in Form von Gewinnausschüttungen wieder an die Staaten zurückfließen können.
Eine perfekte Kreislaufwirtschaft aus Sicht der Staaten: „Schulden-Recycling“ sozusagen. Das Schulden-Recycling senkt dann auch die Schuldenquote der Eurostaaten spürbar, wenn man die Staatsanleihebestände des Eurosystems von den Staatsschulden abzieht.
So hätte Spanien nach dieser Rechnung beispielsweise nicht 2020, sondern 2014 seinen Schuldenrekord in Relation zum BIP gesehen. Damals lagen die „Nettoschulden“ (Bruttoschulden abzüglich Staatsanleihebestände der Notenbank) bei 97 Prozent des BIP. Ende 2020 waren es dagegen „nur“ 92 Prozent des BIP – deutlich weniger als die zuletzt tatsächlich ausgewiesenen Staatsschulden von 120 Prozent des BIP (vgl. Grafik).
Hinzu kommt: Das Zinsniveau ist heute deutlich niedriger als im Jahr 2014. Rentierte eine zehnjährige spanische Staatsanleihe im Jahr 2014 zeitweise noch bei mehr als drei Prozent, fällt heute nicht einmal mehr ein Prozent an jährlichen Zinszahlungen an.
Die Schuldentragfähigkeit vieler Staaten ist derzeit also ungleich höher als noch vor wenigen Jahren. Angesichts der geldpolitischen Begleitumstände wirken die in der Pandemie gesehenen Schuldenrekorde daher fast schon „harmlos“. Bleibt abzuwarten, wie lange sich die expansive Geldpolitik, die letztlich auch eine verdeckte Fiskalpolitik ist, noch fortsetzt. Risiken und Nebenwirkungen sind dabei nicht ausgeschlossen – darunter Inflation und negative Realzinsen für Sparer.
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