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Taiwan: Die „Ökonomie der Bedrohung“ als Innovationmotor

- Gunther Schnabl , Roland Wöller

Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch (Friedrich Hölderlin)

1. Kommt die Invasion Chinas in Taiwan?

Taiwan ist bedroht. Die Insel im südchinesischen Meer wird von der Volksrepublik China als „abtrünnige Provinz“ betrachtet, deren Wiedervereinigung angestrebt wird. Notfalls mit Gewalt (Liu, Culver und Hart 2025). Eine sich weiter verschlechternde Wirtschaftslage könnte Chinas Präsident Xi dazu verleiten, sich mit Landgewinnen profilieren zu wollen, auch wenn das kostspielig und risikoreich ist.

Eine „Anakonda-Strategie“ soll dem kleinen Inselstaat langsam die Luft abschnüren. Die hochgerüsteten zwei Millionen Mann der chinesischen Volksbefreiungsarmee trennen an der engsten Stelle nur 130 km von der Insel. Verstärkte Seemanöver, nunmehr auch östlich von Taiwan, und tägliche Luftraumverletzungen sind mehr als nur Einschüchterung.

Im Cyberraum ist der Krieg schon ausgebrochen. Gezielte Desinformationskampagnen sowie diplomatischer Druck auf dessen Verbündete sollen Taiwan isolieren. Dass man sich als Großmacht wie Russland im Fall der Ukraine einfach Land nehmen kann, hat die Lage für Taiwan nicht besser gemacht.

2. Die brüchige Verlässlichkeit der USA

Allerdings ist Taiwan mit den USA verbündet, welche die weltgrößte Militärmacht sind. In dem Taiwan Relation Act von 1979 haben sich die USA zwar nicht explizit dazu verpflichtet, Taiwan im Angriffsfall militärisch zu verteidigen, wie das bei der NATO der Fall ist.

Sie haben aber zugesagt, die Fähigkeit der USA zu erhalten, sich jeder Anwendung von Gewalt oder anderen Formen von Zwang zu widersetzen, welche die Sicherheit oder das soziale oder wirtschaftliche System der Bevölkerung Taiwans gefährden würden. China musste also bisher davon ausgehen, dass ein Angriff auf Taiwan einen militärischen Konflikt mit den mächtigen USA auslösen kann.

In Donald Trumps erratischer Deal-Welt haben die Zusagen der USA jedoch an Wert verloren, wie Kanada und Mexiko im Fall der NAFTA erfahren mussten. Auch die Europäer scheinen sich nicht mehr auf die Sicherheitszusagen im Rahmen der NATO verlassen zu können.

3. Spitzentechnologie als Schutzschild

Doch Taiwan hat sich mit der Ausrichtung seiner Wirtschaftsstruktur abgesichert. Halbleiter sind der strategische Rohstoff der Gegenwart und der Zukunft. Wie Chris Miller in seinem Buch „Chip War“ erklärt, sind Computerchips für den Krieg inzwischen wichtiger als Panzer. Wer bei der Halbleitertechnologie führt, herrscht nicht nur über Autos, Schiffe, Flugzeuge und die Kommunikation, sondern auch über die Waffen.

Die Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC) ist weltweit führend bei hochleistungsfähigen 5- und 3-Nanometer-Chips, die – dank höherer Leistung, weniger Energieverbrauch und kleineren Baugrößen – insbesondere für Anwendungen der künstlichen Intelligenz eine zentrale Rolle spielen. Zu den Kunden gehören Apple, AMD, Nividia und Qualcomm. 60 % aller Halbleiter kommen aus Taiwan, die USA importieren 92 % der hochentwickelten Logikchips von der kleinen Insel.

Taiwans ehemalige Präsidentin Tsai Ing-wen hat von einem „Schutzschild aus Silizium“ gesprochen. Ein Angriff Chinas auf Taiwan könnte die Fabriken zerstören oder gar China den Zugriff auf die Spitzentechnologie gewähren. Eine Totallblockade würde Taiwan nur wenige Tage durchhalten. Die Bedrohung Taiwans durch China ist damit nicht nur ein regionaler Konflikt, sondern eine geopolitische und geoökonomische Bedrohung, die Taiwans Kunden – ob von diesen gewollt oder nicht – zu Verbündeten macht. 

4. Das Dilemma für die USA

Die USA würden sich gerne aus der technologischen Abhängigkeit von Taiwan lösen, indem sie die einst im Silicon Valley entwickelte Technologie aus Ostasien in die Vereinigten Staaten zurückholen. So würde auch die technologische Führung der USA bei der Künstlichen Intelligenz ausgebaut.

Noch unter Präsident Joe Biden wurden 2022 mit dem „CHIPS and Science Act“ (CHIPS steht für „Creating Helpful Incentives to Produce Semiconductors“) 280 Milliarden Dollar für die heimische Halbleiterproduktion mobilisiert. Davon entfallen 53 Milliarden Dollar auf die direkte Förderung sowie 24 Milliarden Dollar auf Steueranreize bei Investitionen in die Halbleiterfertigung.

Taiwan hat zwar im Gegenzug für sicherheitspolitische Zusagen dem Aufbau von TSMC-Werken in Arizona (und Dresden) zugestimmt, was das geographische Klumpenrisiko bei der Produktion von Hochleistungschips diversifiziert. Doch weil die neuen Produktionskapazitäten im Ausland klein sind und die Produktion der High-End-Produkte in Taiwan verbleibt, bleibt das Monopol auf der Insel. Wie ist es dazu gekommen?

5. Militärische Bedrohung treibt zu technologischer Höchstleistung

Als sich 1972 die USA Maos China annäherten und Taiwan die UNO verlassen musste, konnte sich Taiwan unter Chang Kai-shek nicht mehr blind auf die USA verlassen. Es strebte deshalb eine engere wirtschaftliche Verflechtung an.

1985 gab es eine Chance, wie Stephan Thome in seinem Buch „Schmales Gewässer, gefährliche Strömung“ beschreibt. Der Entwicklungsingenieur Morris Chang war mit seiner bahnbrechenden Idee einer eigenständigen Halbleiterproduktion bei Texas Instruments gescheitert. Der taiwanesische Vizepräsident Lee Teng-hui bot ihm daraufhin großzügig die Finanzierung für den Aufbau eines eigenen Werkes in Taiwan (TSMA) an. Ausländische Kapitalbeteiligungen und US-Amerikaner im Vorstand sicherten die Interessen der USA ab.

Die militärische Bedrohung durch China könnte also ein entscheidender Grund dafür sein, dass Taiwan die Marktführerschaft bei Halbleitern, insbesondere im Bereich der Logikchips im 3-Nanometer-Bereich durch ein einzigartiges Ökosystem aus Forschung, Entwicklung, Innovation, Produktion, Motivation und Qualitätskontrolle errungen und bis heute gesichert hat.

6. Bedrohung als Entdeckungsverfahren

Nach Friedrich August von Hayek treibt Wettbewerb Unternehmen zu Innovationen, weil so der Gewinn erhöht werden kann. Doch kaum ist eine Innovation erfolgreich, dann wird diese kopiert, was neue Innovationen notwendig macht. Ein hoher Grad an Wettbewerb bringt den technischen Fortschritt voran.

Im Falle Taiwans kann Hayeks Konzept dahingehend erweitert werden, dass nicht nur der globale Wettbewerb bei der Chipproduktion mit Südkorea, Japan, China oder USA Taiwan zu Höchstleistungen getrieben hat. Sondern zusätzlich auch die Angst vor China und damit verbunden das Ringen um den dringend benötigten militärischen Schutz der USA.

Der Staat kann – wie beim Apollo-Programm der USA, das vom Sputnik-Schock der Sowjets ausgelöst wurde – als Katalysator wirken. Doch ohne freie private Initiative und die Kooperation der Mitarbeiter in den Unternehmen geht es nach Hayek auf Dauer nicht.

7. Wirtschaftspolitische Implikationen

Kreativität ist eine unerschöpfliche und kostenfreie Ressource, die sich nicht auf Abruf oder gar durch staatlichen Zwang mobilisieren lässt. Die Angst vor China dürfte ein wichtiger Grund für die Höchstleistung der Belegschaft von TMSC sein, die in anderen Ländern so nicht replizierbar ist.

Es ist richtig, die größten Abhängigkeiten zu mildern und unter dem Gesichtspunkt Sicherheit globale Wertschöpfungsketten neu auszurichten (Derisking) oder zu diversifizieren (Friendshoring). Der Versuch aber, im Rahmen groß angelegter Industriepolitiken die Produktion von Hochleistungschips in andere Länder zu verlagern, wird im Falle Taiwans zum Scheitern verurteilt sein. Denn das dortige polit-ökonomische Klima kann man anderswo nicht reproduzieren.

Auch aus geopolitischer Sicht wäre das nicht wünschenswert, weil durch eine Verlagerung der Produktion von Hochleistungschips aus Taiwan heraus die Wahrscheinlichkeit einer Invasion oder einer Totalblockade Taiwans durch China erhöht würde. Die geopolitische Lage würde nur überflüssig weiter destabilisiert.

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Literatur

Hayek, Friedrich August 1969: Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren. Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren. In: Hayek, F. A. v. (Hrsg.) Freiburger Studien. Tübingen, 249-265.

Liu, Bonny / Culver, John / Hart, Brian 2025: The Risk of War in the Taiwan Strait Is High – and Getting Higher. Foreign Affairs 15.5.2025.

Miller, Chris 2022: Chip War: The Fight for the World’s Most Critical Technology. Sribner, New York.

Thome, Stephan 2024: Schmales Gewässer, gefährliche Strömung. Suhrkamp, Berlin.

Glossar

Verschiedene Fachbegriffe aus der Welt der Finanzen finden Sie in unserem Glossar erklärt.

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