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Auf Sicht fahren

- Julian Marx

Das Hoffen auf sinkende Inflationsraten dauert an - die wichtigste Notenbank der Welt, die US-Fed, macht daher genau das, was sie leisten kann: Auf Sicht fahren.

Die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) verzichtet wie erwartet auf Zinssenkungen und lässt ihren Leitzins in einer Bandbreite von 5,25 bis 5,5 Prozent verharren. Die Tatsache, dass wir bis zum Sommer oder möglicherweise darüber hinaus auf eine erste Zinssenkung warten müssen, galt zu Jahresbeginn noch als extrem unwahrscheinlich. Stattdessen spekulierten die Marktteilnehmer Anfang Januar noch auf sechs Zinssenkungen in diesem Jahr. Zwölf Wochen später, Ende März, waren es schon nur noch drei und mittlerweile preist der Markt maximal eine Zinssenkung in 2024 ein.

Woher kommen die Zweifel an einer baldigen Zinswende? Der Grund dafür liegt auf der Hand: In den USA hielten sich die Inflationsraten bis zuletzt hartnäckig oberhalb des Inflationsziels von zwei Prozent. Im März lag die US-Inflation gemäß des Consumer Price Index (CPI) bei 3,5 Prozent und auch der von der Fed favorisierte PCE-Preisindex (Personal Consumption Expenditures), der im Vergleich zum CPI einen breiteren Warenkorb betrachtet, signalisierte mit 2,7 Prozent offensichtlich noch kein nachhaltiges Erreichen des Inflationsziels.

Nun besitzen historische Inflationsraten keine unmittelbare Prognosekraft für die zukünftige Inflationsentwicklung. Umso mehr stellt sich nach vorne schauend die Frage, welche Treiber eine nachhaltige Veränderung der jüngsten Inflationsdynamik bewirken können. Hier gibt es nach wie vor wenig Grund auf Seiten der Fed, eine erste Zinssenkung zu überstürzen. Denn US-Wirtschaftsdynamik und Lohninflation bieten derzeit noch keine offenkundigen Anhaltspunkte, die auf eine bevorstehende Abschwächung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage hindeuten und somit spürbar inflationsdämpfend wirken könnten.

US-Arbeitsmarkt weiter robust

Der Internationale Währungsfonds schätzte das 2024er US-Wirtschaftswachstum jüngst sogar auf 2,7 Prozent nach einem Realwachstum von 2,5 Prozent im Vorjahr. Auch die Lohninflation bewegt sich weiter auf historisch hohen Niveaus. Beim Blick auf den „Atlanta Fed Wage Growth Tracker“, der die Stundenlohnentwicklung des Medians betrachtet, zeigt sich, dass die Löhne im ersten Quartal 2024 noch immer um 4,7 Prozent im Vorjahresvergleich zulegten. In Kombination mit einer Arbeitslosenquote von nur 3,8 Prozent steht der Arbeitsmarkt weiter gut da.

Geht das US-Wachstum also ungebrochen weiter oder steuern wir vielleicht doch auf eine Stagflation zu? Und kommt es tatsächlich zu (nur) einer Zinssenkung in diesem Jahr?

Zugegeben: Wir wissen nicht, wie es kommt. Klar ist aber auch, dass der Markt ebenfalls keine Glaskugel hat. Anfang 2023 herrschte ein breiter Konsens darüber, dass die US-Rezession angesichts der massiven Zinsanhebungen unmittelbar bevorsteht. Bis heute warten wir vergeblich auf die am meisten erwartete Rezession der letzten Jahrzehnte. Sie erinnert mittlerweile an „Warten auf Godot“.

Zinssenkungserwartungen gedämpft

Auch die Frage nach dem Zeitpunkt und der Zahl möglicher Zinssenkungen erinnert mitunter an ein „Ratespiel“. Anfang 2024 gingen die Marktteilnehmer im Aggregat von sechs Zinssenkungen aus. Keine vier Monate später ist es nur noch eine einzige. Das heißt nicht, dass der Markt diesmal nicht doch Recht behalten kann und wir in diesem Jahr im Fall anhaltend robuster Wirtschaftsdaten und erhöhter Inflationsraten tatsächlich nur eine Zinssenkung sehen, so wie es der Markt derzeit einpreist. Aber wer weiß das schon.

Es wird jedoch deutlich, wie schnell sich die Vorzeichen drehen können. Daher können wir auch nicht ausschließen, dass sich die restriktive Geldpolitik in einigen Monaten nicht doch noch sichtbarer in den Wachstums- und Inflationsraten niederschlagen könnte. Denkbar, wenn auch nicht sehr wahrscheinlich, ist sogar ein Szenario, dass die Fed, wenn die US-Wirtschaft weiter so stark wächst, gezwungen sein könnte, die Zinsen zu erhöhen.

In dieser aktuell komplexen Gemengelage an den Kapitalmärkten macht die Fed verständlicherweise derzeit genau das, was sie leisten kann: Auf Sicht fahren. Für uns und unsere Anlagestrategie ist das aber nicht entscheidend, denn wir richten unsere Portfolios im Gegensatz zu den datengesteuerten Entscheidungen der Währungshüter nicht binär auf das Eintreten einzelner Wachstums- und/oder Inflationsdatenpunkte aus. Entscheidend ist für uns nicht die Frage: "Was wird an den Märkten passieren?" Viel wichtiger ist: "Was darf alles passieren, um mein Portfolio nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen?"

Deswegen rüsten wir uns seit jeher bestmöglich für eine Vielzahl von Szenarien. In turbulenten Phasen ist das Portfolio widerstandsfähig genug, um etwaige Verluste auf ein tragbares Maß zu begrenzen. Und in ruhigen Zeiten lassen sich damit auskömmliche Erträge erwirtschaften.

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