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Gesellschaft
7 Minuten

Der Staat muss sich auf seine Kernaufgaben konzentrieren

- Dr. Bert Flossbach

Damit Deutschland wieder in die Spur kommt, muss mehr passieren, als neue Sondertöpfe zu beschließen. Es fehlt nicht an Geld, sondern an Verantwortung.

500 Milliarden Euro: Im März beschlossen Bundestag und Bundesrat das größte Ausgabenprogramm der neueren deutschen Geschichte. Die Ankündigung der neuen Bundesregierung, zwei als Sondervermögen deklarierte gigantische Schuldentöpfe aufzulegen, stieß am Aktienmarkt und im Ausland auf ein positives Echo.

Internationale Journalisten, Analysten und Investoren feierten dies als finanzpolitische Wende und Chance für mehr Wachstum in Deutschland und Europa. Die Hoffnung auf eine Verbesserung der Verteidigungsfähigkeit, Sanierung der maroden Infrastruktur und mehr Wirtschaftswachstum ist groß. Doch mit Geld allein ist es nicht getan.

Neue Schuldenpakete reduzieren jedoch den Reformdruck im ausufernden deutschen Wohlfahrtsstaat. Die von Politikern geschürte Anspruchshaltung vieler Bürger, dass der Staat für alles aufkommen und alles regeln soll, würde weiter verstärkt. Die militärische und finanzpolitische Wende muss deshalb um eine mentale Zeitenwende, eine Reformagenda, ergänzt werden – fordern und fördern.

Der Staat muss den Menschen wieder mehr Eigenverantwortung zumuten und sich auf seine Kernaufgaben konzentrieren. Dazu gehören auch einschneidende Reformen der Bürokratie und des sich immer weiter aufblähenden Verwaltungs- und Beamtenapparats, der das ganze Land lähmt. Viel Geld droht im Behördenapparat zu versickern und nur teilweise dort anzukommen, wo es hingehört.

10,7 Milliarden Euro erhalten die Jobcenter aus Steuergeld, um Leistungsempfängern eine Stelle zu vermitteln. Davon fließen 6,5 Milliarden in die Verwaltung. „Wie viele Menschen die Jobcenter am Ende in Arbeit bringen, spielt eine untergeordnete Rolle“, sagt Roman Wink, Arbeitsmarktexperte der Bertelsmann Stiftung.

Ziel- statt Prozessorientierung

Damit Deutschland wieder in die Spur kommt, muss mehr passieren, als neue Sondertöpfe zu beschließen. Der gesamte Verwaltungsapparat muss von Prozess- auf Zielorientierung umgestellt werden.

Die Einhaltung bürokratischer Prozesse ist zum Selbstzweck verkommen. Das eigentliche Ziel und die benötigte Zeit sind sekundär. Ergebnis sind lange Genehmigungszeiten und tausende Zombie-Baustellen auf Deutschlands Straßen, auf denen nichts vorangeht. Behörden haben auch deshalb keine Eile, weil Schnelligkeit offenbaren könnte, dass es auch mit weniger Personal ginge. Das will kein Behördenleiter.

Es geht aber auch anders, wie die Schweiz zeigt. Hier ist es üblich, dass Bauunternehmen, etwa  beim Straßenbau, eine Baustellenmiete zahlen müssen, um einen finanziellen Anreiz zu haben, effizient zu arbeiten und die Bauzeit möglichst kurz zu halten.

Künstliche Intelligenz (KI) könnte helfen, die Genehmigungsprozesse und andere Regelwerke in einzelne Bestandteile zu zerlegen, parallel abzuarbeiten und die langen Bearbeitungsketten zu verkürzen.

Baubremse Bürokratie

Auch die Baugesetzgebung mit einem Gestrüpp aus Bundesbaurecht, 16 Landesbauordnungen und EU-Richtlinien steht einer Revitalisierung Deutschlands entgegen. Nach Schätzung des Deutschen Städte- und Gemeindebundes hat sich die Zahl der Bauvorschriften in den vergangenen Jahrzehnten von rund 5.000 auf über 20.000 mehr als vervierfacht –  davon 3.900 DIN-Normen.

Die Zahl der zu beachtenden Regelwerke stieg laut der Baukostensenkungskommission der Bundesregierung von 650 im Jahr 1994 auf 3.700 im Jahr 2022. Das macht Bauen teuer und das Ziel von jährlich 400.000 neuen Wohnungen unerreichbar.

Wie sollen die 500 Milliarden Euro des neuen Infrastrukturprogramms angesichts der komplexen Genehmigungsprozesse, Ausschreibungsverfahren und gelähmten Verwaltung sinnvoll, effizient und fristgerecht investiert werden? Wie viel davon wird im ineffizienten Staats- und Verwaltungsapparat versickern? Welche negativen Auswirkungen haben die zusätzliche Staatsnachfrage auf die (Bau-)Kosten und Zinsen für Privatunternehmen und Privathaushalte und der Abzug von Mitarbeitern aus der Privatwirtschaft („Crowding out“-Effekt)?

Hightech-Bedrohung, Lowtech-Beschaffung

Ähnliches gilt für den Einsatz der Sondermittel im Verteidigungsbereich. Schweres Gerät wie Panzer, Schiffe und teure F35-Kampfjets allein entsprechen aber nicht den Erfordernissen der heutigen Bedrohungslage. Hierzu braucht es mehr neue Technologie wie KI-gesteuerte vernetzte Drohnen, Luftabwehr und IT-Systeme für den Cyberkampf. Wer entscheidet, wofür die Mittel ausgegeben werden sollen und wie lange wird das dauern?

Und zu guter Letzt: Schaffen es die 11.300 Mitarbeiter des Bundeswehr-Beschaffungsamts, ihre Faxgeräte rechtzeitig in Stellung zu bringen, um die Orders zu erteilen?

Nur wenn es der Politik gelingt, den gordischen Knoten der ausufernden Bürokratie zu zerschlagen, können die beiden Sonderschuldentöpfe die erhoffte Wirkung erreichen. Das Dickicht von Gesetzen, Verordnungen und Regeln muss ausgedünnt werden. Kein leichtes Unterfangen angesichts des hohen Anteils von Juristen und der geringen Praxiserfahrung von Führungskräften in der öffentlichen Verwaltung (vgl. Grafik 6 und 7).

Der Staat muss sich auf seine Kernaufgaben konzentrieren -
Der Staat muss sich auf seine Kernaufgaben konzentrieren -

Deutschlands Projektfiasko: Ein Mangel an Verantwortung

Die Führungsschwäche reicht vom Staatsapparat bis hinunter zu den kommunalen Behörden (vor allem Großstädte). Missstände werden als gottgegeben akzeptiert. Im Zweifel ist jemand anderes schuld, eine andere Behörde, das Land, der Staat oder die EU. Es herrscht ein Klima von institutionalisierter Nichtverantwortung. Wenn etwas nicht läuft, muss es einen Verantwortlichen geben. Auch die Umsetzung muss „Chefsache“ sein.

Mit verantwortungs- und haftungsfreiem Bauen hat beispielsweise die Stadt Köln allein für die Renovierung der Oper mehr als eine Milliarde Euro verschwendet. Vor zehn Jahren sollte die Wiedereröffnung erfolgen, bald soll es dann so weit sein. Für die nächsten beiden Jahre erwartet die Stadt Haushaltsdefizite von insgesamt mehr als 800 Millionen. Weitere Großprojekte stehen an. Vielleicht helfen die Milliarden des neu geschaffenen Sondertopfs.

Was für Köln gilt, gilt für das ganze Land. Es fehlt nicht an Geld, sondern an Verantwortung. Die gebetsmühlenartige Kritik an zu viel Bürokratie löst kein Problem, solange sich niemand der Sache annimmt. Projekte zu beschließen, reicht nicht. Die Führungsebene in Politik und Verwaltung muss das Ganze auch verantwortlich umsetzen. Unternehmer kennen das als Führung, Controlling und Haftung.

Wenn das Schicksal verantwortlicher Personen an den Erfolg eines Großprojekts gekoppelt ist, geht es voran, wie das Beispiel des LNG-Terminals in Wilhelmshaven mit einer Bauzeit von nur neun Monaten zeigt. Das ist leider die Ausnahme. Der Neubau der Talbrücke Rahmede an der A45 bei Lüdenscheid kommt zwar gut voran, aber von der Sperrung bis zur Sprengung der alten Brücke vergingen eineinhalb Jahre.

Nun ist Berlin betroffen, wo die seit zehn Jahren als marode bekannte Ringbahnbrücke der A100 für den Verkehr gesperrt wurde und für den Neubau erst einmal ein langwieriges Planfeststellungsverfahren droht.

Ein nicht mehr funktionsfähiger Staat verliert das Vertrauen der Menschen. Der Ausgang der Bundestagswahl im Februar wurde von der Politik falsch interpretiert. Es sind nicht die politischen Ränder, die an Attraktivität gewonnen haben, es sind die Parteien der Mitte, die bei den Wählern ihre Legitimation verlieren, weil sie deren Probleme nicht ernst nehmen.

Bezahlbares Wohnen, innere und äußere Sicherheit, ein nachhaltiges soziales Sicherungssystem und ein gesetzliches Rahmenwerk, das unternehmerische Tätigkeit und Wirtschaftswachstum fördert, um das Land am Laufen zu halten. Bäcker wollen Brot backen, statt ihre Zeit mit dem Ausfüllen von Formularen zu verschwenden.

(Foto: Wesley Tingey auf Unsplash)

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