Wie Notenbanken weltweit in einem Umfeld mit steigenden Inflationsraten und moderatem Wachstum versuchen, die Balance zu halten. Ein Überblick.
Die in den vergangenen Monaten deutlich gestiegene Inflation ist zwar von den Notenbanken nicht prognostiziert worden. Sie hat die Finanzmärkte aber auch nicht völlig überrascht. Bereits im ersten Quartal wurde viel diskutiert, ob durch die Öffnungen von Gesellschaft und Wirtschaft Inflationsdruck entstehen könnte.
Über den Sommer wurde es dann immer offensichtlicher, dass vor allem die Angebotsseite Haupttreiber der Inflationsdynamik sein würde. Internationale Lieferketten waren unterbrochen. Es entstanden Rückstaus und Lieferausfälle, die zunehmend auch weiterführende Produktionsprozesse lahmlegten. Das hatte deutliche Auswirkungen auf die Rohstoff- und Energiepreise und beeinflusste auch weitere Vorprodukte. So stiegen die Produzentenpreise, auch historisch betrachtet, enorm an.
Zeitgleich hat die Verbraucherpreisinflation in vielen Ländern ungewohnt hohe Niveaus erreicht. Die Zentralbanken sehen sich weltweit einer womöglich inzwischen nicht mehr nur temporären Inflationsdynamik gegenüber. Es drohen Zweitrundeneffekte, sollten aufgrund der höheren Inflationserwartungen in den kommenden Quartalen höhere Lohnabschlüsse folgen. Dies erhöht auf geldpolitischer Ebene den Handlungsdruck, die in vielen Ländern sehr expansive Geldpolitik in moderatere Gefilde zurückzuführen. Darauf reagierten die Notenbanken unterschiedlich.
Die Inflationsraten liegen in den USA seit Monaten konstant über der Fünf-Prozent-Marke. Der Offenmarktausschuss (Federal Open Market Committee, FOMC) ließ daher bereits Ende August erstmals Handlungsbereitschaft erkennen, als sich Fed-Chef Jerome Powell noch hinsichtlich des „Taperings“ geduldig zeigte – also der schrittweisen Reduktion des Kaufprogramms von Staatsanleihen und Hypothekenpapieren.
Inzwischen steht fest, dass dieser Prozess noch im November beginnt. Die monatlichen Nettowertpapierkäufe von zuletzt 120 Milliarden US-Dollar sollen zunächst zwei Monate in Folge um jeweils 15 Milliarden US-Dollar reduziert werden. Wird diese graduelle Rückführung dann in diesem Tempo fortgesetzt, würden die Nettokäufe im Juni 2022 auslaufen. Zu diesem Zeitpunkt würde die Fed schätzungsweise 5,9 Billionen US-Dollar allein an US-Staatsanleihen auf ihren Büchern haben.
„Es ist zwar an der Zeit, die Anleihenkäufe zu verringern, aber nicht die Zinsen zu erhöhen“, betonte Powell kürzlich. Hinsichtlich des Leitzinsniveaus erscheint eine erste Zinserhöhung unseres Erachtens wohl frühestens gegen Ende 2022 möglich, wenn man die September-Projektion des FOMC als Indikation heranzieht. Die Entscheidung über eine Zinserhöhung soll in Abhängigkeit von den Arbeitsmarktdaten fallen. Erreicht die US-Wirtschaft ein Beschäftigungsniveau, das das Vorkrisenniveau überschreitet, dürfte die Wahrscheinlichkeit für eine Zinserhöhung sehr hoch sein.
Sollte das nicht der Fall sein, muss dies bei anhaltend hohen Inflationsraten auch keine grundsätzliche Absage an Zinserhöhungen sein – schließlich könnte man argumentieren, dass zahlreiche Menschen pandemiebedingt nachhaltig aus dem Arbeitsmarkt ausgeschieden sind und entsprechend eine Neuadjustierung des Beschäftigungsziels notwendig ist. Unterm Strich rechnen wir angesichts der geplanten Konjunkturprogramme und der entsprechend hohen Staatsverschuldung auch mittelfristig nicht mit deutlich höheren Zinsen.
Andrew Bailey, Governor der BoE, deutete am 17. Oktober überraschend an, sehr bald an der Zinsschraube drehen zu wollen. Damit war sie die erste größere Zentralbank, die einen solchen Schritt ins Auge fasste. Die Verbraucherpreisinflation in Großbritannien lag im August und September „lediglich“ bei knapp über drei Prozent. Für den kommenden April hatte die BoE jedoch eine Inflationsrate von fünf Prozent prognostiziert.
Nun wird erwartet, dass der Leitzins (Bank Rate) bis Ende nächsten Jahres auf 1,0 Prozent angehoben wird – von zuletzt allzeittiefen 0,1 Prozent. Ein Grund, dass die britische Notenbank proaktiver als andere Notenbanken agiert, ist die Auslegung ihres Mandats: So betonte Bailey zuletzt, dass das Inflationsziel (von zwei Prozent per annum) zu jeder Zeit angestrebt werden müsse.
Ein beliebiges Vertrösten auf zukünftige Inflationsraten vertrage sich seines Erachtens nicht mit dem Ziel der Preisstabilität. Auf der Zinskurve stiegen kurzlaufende Renditen daraufhin kräftig an. Im November-Meeting stimmten zudem drei der neun Mitglieder des geldpolitischen Ausschusses für eine Reduktion des Ankaufvolumens von Staatsanleihen.
Der Eurozinsmarkt wurde von dem abrupten Kurswechsel der BoE angesteckt. Obwohl bereits zwei Tage nach Baileys Äußerungen Philip Lane verbal intervenierte, konnte das Momentum nicht gestoppt werden. Vor allem am „kurzen Ende“, also bei Anleihen mit kurzen Laufzeiten, zogen die Renditen an. Dabei machte Lane sehr deutlich, dass die Marktlage mit den Absichten der EZB über Kreuz lag. Auch der erneute Verweis der EZB-Führung, dass Zinserhöhungen erst nach dem Auslaufen aller Kaufprogramme in Frage kämen, beruhigte den Markt nicht.
Dabei ist der Freiheitsgrad hinsichtlich der geldpolitischen Gestaltungsmöglichkeiten historisch hoch. So gibt die EZB für ein Inflationsziel von zwei Prozent drei Bedingungen vor, was sich dann wie folgt liest: Die Inflation muss deutlich vor dem Ende des Projektionszeitraums das Ziel von zwei Prozent erreichen, dieses dauerhaft über den Projektionszeitraum halten und mittelfristig mit einer sich bei zwei Prozent stabilisierenden Inflation vereinbar sein.
Und diese Freiheit wird der EZB-Rat nutzen wollen: Selbst im fiskalpolitisch stimulierten Deutschland lag die reale Wirtschaftsleistung im dritten Quartal 2021 noch immer gut ein Prozent unter der aus dem dritten Quartal 2019 und damit unter dem Vorkrisenniveau. In Spanien waren es für diesen Vergleichszeitraum sogar sechs Prozent weniger. In Verbindung mit den von der EZB projizierten Inflationsraten von 1,7 Prozent für 2022 und 1,5 Prozent für 2023 also zu wenig, um einen Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik in Aussicht zu stellen.
Für die Wertpapierkäufe der Notenbank wird zudem nicht ausgeschlossen, dass es ganzjährig auf relativ hohen Niveaus verbleibt. Das in der Pandemie aufgelegte Wertpapierkaufprogramm PEPP könnte womöglich sogar „gestreckt“ werden, indem das monatliche Ankaufvolumen des bereits länger laufenden APP-Programms von zuletzt 20 Milliarden Euro aufgestockt wird.
Zugegeben, die australische Notenbank beeinflusst nur selten die Weltmärkte. Doch das im November verkündete Ende der „Yield Curve Control“ der RBA zeigt die Grenzen der Geldpolitik. Was war passiert? Die RBA hatte Ende Oktober ohne Kommentierung ihre Zinskurvenkontrolle („Yield Curve Control“) aufgegeben, indem sie die angestrebte Rendite von 0,1 Prozent für eine Staatsanleihe mit einer Fälligkeit im April 2024 nicht am Markt verteidigte. Die Rendite der genannten Anleihe stieg daraufhin binnen 24 Stunden um rund 60 Basispunkte.
Ein wesentlicher Grund, warum dieses Ziel aufgegeben wurde, war die Marktabhängigkeit der Notenbank(en). Denn hätte man dieses Renditeniveau verteidigen wollen, hätte die australische Notenbank möglicherweise die gesamten frei handelbaren Bestände dieser Anleihe aufkaufen müssen, wie Notenbankpräsident Philip Lowe monierte. Insofern hat diese Entwicklung die entscheidende Schwachstelle einer Zinskurvenkontrolle zu Tage befördert: Werden alle Bestände aufgekauft, wäre dies ein offizieller Freifahrtschein für die ausgabenfreudige Fiskalpolitik.
Denkt man die Implikationen einer Zinskurvenkontrolle also zu Ende, ist eine glaubwürdige Umsetzung immer mit der Gefahr verbunden, die geldpolitische Unabhängigkeit in Frage zu stellen. Auch die Fed hatte im vergangenen Jahr die Vor- und Nachteile der Zinskurvenkontrolle diskutiert, sich aber dann (noch) dagegen entschieden, diese in den Werkzeugkasten der US-Notenbanker mit aufzunehmen.
Während sich der Rest der Welt mit hohen Inflationsraten befassen muss, konnten Japans Verbraucherpreise im September 2021 lediglich um 0,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr zulegen. Für japanische Verhältnisse ist das aber gar nicht so wenig. Zwischen Oktober 2020 und August 2021 waren die Inflationsraten sogar negativ.
Für die Bevölkerung kommt dies aber eigentlich einem ganz normalen Jahr im jahrzehntelangen „Kampf“ um höhere Inflationsraten gleich. In Verbindung mit dem nach wie vor gültigen „Inflation-Overshooting Commitment“, mit dem ein nachhaltiges Überschießen des Zwei-Prozent-Inflationsziels angestrebt wird, gibt es daher auf absehbare Zeit keinen Anlass, die hochexpansive Geldpolitik zurückzufahren.
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