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Gesellschaft
4 Minuten

Zeit für mehr Mut

- Gunther Schnabl

Deutschland verliert im internationalen Wettbewerb den Anschluss. Dafür gibt es Gründe, aber auch Möglichkeiten, den Trend zu stoppen und umzukehren.

Gerhard Schröder hat gezeigt, dass auch in Deutschland Reformen möglich sind, auch wenn sie ihn sein Amt gekostet haben. Zeit für mehr Mut wäre es! Nach einer Umfrage von Forsa trauten im Dezember 2023 jedoch 60 Prozent der Bevölkerung keiner politischen Partei zu, dass sie die derzeit wichtigsten Probleme lösen kann.

Das Gefühl, im politischen Raum gar nicht gehört zu werden, treibe viele Wähler in die Ohnmacht, in die Wahlabstinenz, in die Protestwahl, in die Suche nach Gegenöffentlichkeiten, so der Wahlforscher Karl-Rudolf Korte.

Die großen deutschen Unternehmen haben gegenüber der internationalen Konkurrenz deutlich an Schlagkraft verloren. Der deutschen Aktienindex Dax ist weit hinter dem US-amerikanischen Dow Jones zurückgeblieben.

Die Industrieproduktion stagniert seit 2007 und fällt seit 2018. Deutschland wird in den Rankings zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit nach unten durchgereicht. Die Unternehmen haben angefangen abzuwandern und denken immer öfter darüber nach.

Das ist keine Marktwirtschaft

Die Kompetenz des Wirtschafts- und Klimaministers Robert Habeck, der im Jahr 2022 noch als Politiker des Jahres gekürt worden war und den der ehemalige Siemens-Vorstandvorsitzende Joe Kaeser noch für die Tragweite seines Wirkens gelobt hat, steht spätestens seit einer Aussage zu möglichen Insolvenzen von Bäckern in der Kritik.

Im November 2023 schien er sich mit Vertretern von Großunternehmen gegenseitig die Bälle zuzuspielen, um für diese grüne Subventionen zu sichern. Doch das ist keine Marktwirtschaft.

Die basiert auf freiem Wettbewerb ohne staatliche Hilfen für besonders politisch einflussreiche Unternehmen. Meine Friseurin sagte zu mir, dass sie den Verdacht habe, dass der Wirtschaftsminister inkompetent sei. Sie wolle am liebsten den Koffer packen und davonlaufen.

In der Tat scheinen immer mehr junge Menschen ans Auswandern zu denken. Eine Studie der Otto Brenner Stiftung hat gezeigt, dass die Jugend krisenmüde und mit dem Anpassungsdruck der vergangenen Jahre überfordert ist. Sie vertraue nicht mehr darauf, dass Politiker die Herausforderungen für das Land bewältigen können.

Bereits seit dem Jahr 2005 ist der Wanderungssaldo bei den deutschen Staatsbürgern negativ. Insgesamt sind seither inzwischen netto rund eine Million überwiegend gut qualifizierte Menschen abgewandert. Das deutet darauf hin, dass trotz eines gemeinsamen globalen Trends der Schmerz in Deutschland besonders stark ist.

Der Euro als Bürde

Grundlegende Reformen sind doppelt schwer. Zum einen treffen diese grundsätzlich auf Widerstand, weil sie die Privilegien von bisher begünstigten Gruppen brechen. Das dürften in Deutschland insbesondere Menschen sein, die im öffentlichen Sektor und bei den Großunternehmen beschäftigt sind.

Zum anderen wird der politische Entscheidungsspielraum von Deutschland durch die Europäische Union eingeengt. Selbst wenn die deutsche Regierung Regulierungen abbauen wollte, schränken europäische Bürokratiemonster wie die Taxonomie und das Lieferkettengesetz die Entscheidungen der Unternehmen immer noch stark ein.

Obwohl der Euro zu einer großen Bürde für die Bürgerinnen und Bürger geworden ist, gilt er aus politischer Sicht als unumkehrbar. Mario Draghi hat das Bundesverdienstkreuz erhalten, obwohl er für umfangreiche Staatsanleihekäufe der Europäischen Zentralbank verantwortlich ist. Es scheint, als ob der schleichende Weg in die Planwirtschaft der politisch einfachere ist.

Doch nach Ludwig Erhard gilt, dass eine freiheitliche Wirtschaftsordnung auf die Dauer nur dann bestehen kann, wenn und solange auch im sozialen Leben ein Höchstmaß an Freiheit, an privater Initiative und Selbstvorsorge gewährleistet ist.

Das große Potenzial der Menschen in Deutschland sollte genutzt werden, indem der Staat den Menschen und Unternehmen wieder mehr Freiheiten gewährt. Die Bevölkerung in Deutschland ist immer noch gut ausgebildet und hat sich über viele Jahre hinweg in einem marktwirtschaftlichen System bewährt. Die Jugend wäre leistungsbereiter, wenn es sich lohnen würde.

Das Produktivitätspotenzial der deutschen Wirtschaft ist hoch genug, dass sich das Problem einer alternden Gesellschaft – auch mithilfe Künstlicher Intelligenz – lösen ließe. Mit mehr binnenwirtschaftlichem Wachstum würde sich ganz von allein die wirtschaftliche Abhängigkeit von China und den USA reduzieren.

Blaupause für ein Wirtschaftswunder

Was zu tun ist, ist klar! Walter Eucken hat einst die Blaupause für ein Wirtschaftswunder geschaffen. Das ist auch heute der Plan für den Erhalt des Wohlstands, auch wenn der Weg dorthin nicht einfach ist. Konkret bedeutet das: Zuerst braucht es eine stabile Währung in Deutschland und Europa.

Das kann der Euro sein, wenn die Europäische Zentralbank die Zinsen auf Dauer hochhält und ihren Bestand an Staats- und Unternehmensanleihen konsequent abbaut.

Alle Eurostaaten müssen die in den europäischen Verträgen ursprünglich verankerten Stabilitätskriterien beachten. Wenn nicht, dann braucht es eine stabile Neue Deutsche Mark oder einen stabilen Nordost-Euro, die den Wohlstand in Europa sichern könnten.

Eine stabile Währung setzt solide Staatsfinanzen ohne Schattenhaushalte voraus, was umfangreiche Ausgabenkürzungen und bescheidenere politische Zukunftspläne notwendig macht. Auch um das Privateigentum und die damit verbundene private Initiative wieder zu stärken, müssen die Steuern und Abgaben sinken, statt immer weiter zu steigen.

Um eine freie Preisbildung zu gewährleisten, muss die Regierung die wuchernden Subventionen streichen, was in offenen Märkten den Wettbewerb zwischen den Unternehmen wiederherstellen würde. Dann würden alle Unternehmen und Manager nach dem Haftungsprinzip wieder für ihre Entscheidungen verantwortlich sein.

Die Vertragsfreiheit muss dadurch wieder gestärkt werden, dass die Taxonomie der Europäischen Union abgeschafft wird. Sie entspricht einer grünen Planwirtschaft, die die selbst gesteckten Ziele nicht erreichen kann.

Eine CO2-Steuer reicht für den Klimaschutz aus, sie muss aber durch eine entsprechende Senkung der Mehrwertsteuer aufkommensneutral sein. Alles in allem kann nur der Dreiklang aus stabilitätsorientierter Geldpolitik, Kürzungen der Staatsausgaben und umfassender Deregulierung den europäischen Binnenmarkt als Herzstück des europäischen Wohlstands sichern. Der Staat würde dann weniger in den Wirtschaftsprozess intervenieren, sodass die Konstanz der Wirtschaftspolitik gesichert wäre.

Raus aus der Selbstzufriedenheit

Ludwig Erhard hat bewiesen, dass es funktioniert. Doch welcher Politiker ist heute gewillt und in der Lage, die Widerstände gegen Veränderungen zu überwinden? Nach Karl-Rudolf Korte sind die Deutschen sicherheitsorientiert und risikoscheu.

Sie wählten mehrheitlich politisch moderat und stabil-mittig, oft mittelmäßig. Sie stärkten das Bekannte und wählten eher aufregungsresistente Amtsinhaber als Populisten. Das würde bedeuten, dass tragfähige Reformen nur aus der Mitte des politischen Spektrums kommen können.

Der Druck zu Reformen würde in Europa steigen, wenn die US-amerikanische Zentralbank Fed den Zins auf längere Zeit hochhalten würde. Dann müsste auch die Europäische Zentralbank die Geldpolitik weiter straff halten, um einen Gesichtsverlust durch einen immer weiter abwertenden Euro zu verhindern.

Auch wenn derzeit wieder Zinssenkungen im Gespräch sind, zwei Gründe sprechen für eine dauerhafte geldpolitische Wende in den USA. Erstens kommen dauerhaft niedrige Zinsen planwirtschaftlichen Strukturen gleich, die in den USA keine gesellschaftliche Akzeptanz hätten.

Zweitens gibt es seit der Finanzkrise 2008 den Bitcoin, der bei einer anhaltend lockeren Geldpolitik in den USA, den lukrativen Weltwährungsstatus des Dollars unterwandern könnte.

Umfassende Reformen in den USA, die sich derzeit noch nicht abzeichnen, könnten Reformen in Europa den Weg ebnen. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Mitte von der politischen Selbstzufriedenheit der Merkel-Jahre endlich lösen und sich zum Wohle Deutschlands und Europas dem Einfluss einflussreicher Interessengruppen entziehen kann. Dann wäre der Weg zu einem neuen Wirtschaftswunder frei. Die Reformen unter Ludwig Erhard würden den Weg weisen.

Über den Autor

Prof. Dr. Gunther Schnabl ist Senior Advisor des Flossbach von Storch Research Institute. Er hat seit 2006 an der Universität Leipzig den Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik und internationale Wirtschaftsbeziehungen inne und leitet dort das Institut für Wirtschaftspolitik.

Der Beitrag entstammt seinem jüngst im FinanzBuch Verlag erschienenem Werk „Deutschlands fette Jahre sind vorbei“.

Prof. Dr. Gunther Schnabl

Deutschlands fette Jahre sind vorbei

FinanzBuch Verlag, 320 Seiten

ISBN-10: 395972733X

ISBN-13: 978-3959727334

25,00 Euro

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