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Märkte

Nullzins trotz Inflation

- Julian Marx

Die Preise steigen rasant, vor allem in den Vereinigten Staaten. Eigentlich müssten dann auch bald die Zinsen nachziehen. Aber die Notenbanken zögern.

Vielerorts erreichen die Inflationsraten Niveaus, die seit vielen Jahren nicht gesehen wurden. Mit 5,4 Prozent im Juni stieg die Inflation in den USA auf den höchsten Wert seit dem Jahr 2008. Die Kerninflation, ohne im Preis oft schwankende Komponenten wie etwa Energiepreise, erreichte im Juni dieses Jahres mit 4,5 Prozent sogar den höchsten Stand seit 1991.

Auch in Europa steigen die Preise. In Deutschland hält Bundesbank-Präsident Weidmann in der zweiten Jahreshälfte 2021 stolze vier Prozent für möglich. Letztmals stand bei der deutschen Verbraucherpreisinflation im Juni 1992 eine „4“ vor dem Komma.

Wenn die Preise steigen, müssten die Zinsen dann nicht bald nachziehen? Eine kurze Bestandsaufnahme, ob eine zeitnahe Anhebung der Leitzinsen in den beiden Währungsräumen tatsächlich realistisch erscheint.

Eurozone: Kein Handlungsdruck

Preisstabilität ist das oberste Ziel der Währungshüter des Euroraums. Es gilt ein symmetrisches Inflationsziel von zwei Prozent. Konkret setzt man für mögliche Zinsanhebungen voraus, dass sich die Inflationsaussichten im Projektionszeitraum (aktuell bis einschließlich 2023) deutlich dem Zielniveau annähern sollen, und dass sich diese Annäherung in der Dynamik der zugrunde liegenden Inflation durchgängig widerspiegelt.

Die aktuelle Inflationsdynamik im Euroraum, die mit einer jährlichen Inflationsrate von 1,9 Prozent im Juni 2021 daherkommt, ist vor allem getragen von Basiseffekten sowie Energiepreisanstiegen. Ohne Energie wäre die Inflationsrate bei lediglich 0,8 Prozent gelegen.

Die für mögliche Leitzinsanhebungen relevante Kerninflationsrate ist also noch ein gutes Stück davon entfernt, die magischen zwei Prozent nachhaltig zu erreichen. Die Inflationsaussichten sind ebenfalls nicht gerade vielversprechend: Für 2023 rechneten die EZB-Mitarbeiter in ihren jüngsten Projektionen mit lediglich 1,4 Prozent bei der Kerninflation. Eine mögliche Zinswende dürfte also in weiter Ferne liegen.

USA: Es braucht mehr Jobs

In den USA ist die Inflation zurück! Und wie: Um 5,4 Prozent legten die Verbraucherpreise im Juni 2021 gegenüber dem Vorjahresmonat zu. Aber reicht das schon für eine Anhebung der Leitzinsen?

Im Rahmen ihres dualen Mandats verfolgt die US-Notenbank zwei große Ziele, die beide erfüllt sein müssen, ehe man an der Zinsschraube dreht: Beim ersten Ziel handelt es sich um ein „temporary price-level targeting“, mit dem über einen nicht konkret definierten Zeitraum weniger Jahre eine durchschnittliche Inflationsrate von zwei Prozent erreicht werden soll.

Da sowohl die Gesamtinflation als auch die Kerninflation zuletzt deutlich oberhalb der Zwei-Prozent-Marke lagen, ist davon auszugehen, dass die Inflationsdelle des vergangenen Jahres in den kommenden Quartalen aufgeholt sein dürfte.

Auch der Inflationsausblick ist nicht nur angesichts von Basiseffekten und deutlich gestiegenen Energiepreisen positiv. Die Kerninflationsrate sehen die Mitglieder des Federal Open Market Committee, also die geldpolitischen Entscheidungsträger der USA, in den Jahren 2022 und 2023 jeweils um die Zielmarke von zwei Prozent. Folglich ist es plausibel anzunehmen, dass man das Inflationsziel im Laufe des kommenden Jahres als erreicht ansehen könnte.

Problematischer ist derzeit das zweite Ziel der US-Notenbanker, die Vollbeschäftigung. Denn aktuell stehen hinter dem US-Arbeitsmarkt noch einige Fragezeichen. Die Zahl der Beschäftigten lag in den USA im Juni 2021 noch immer um knapp sieben Millionen Beschäftigte unter dem Vorkrisenniveau.

Wie die Notenbanker jüngst betonten, gilt es aber nicht nur die Jobverluste aufzuholen. Um dem säkularen Beschäftigungswachstum Rechnung zu tragen, müssen mindestens zwei bis drei Millionen weitere Personen den Weg in eine Beschäftigung finden. Erst dann erreiche man Niveaus, in denen man das Vollbeschäftigungsziel als erreicht ansehen könne.

Zwar ist davon auszugehen, dass etwa im Bereich der Gastronomie und Beherbergung zahlreiche Jobangebote angesichts der rasanten wirtschaftlichen Erholungen zügig zurückkehren. Nichtsdestotrotz darf man gespannt sein, wie zeitnah das Ziel erreicht wird.

Nach aktuellen Schätzungen, die mit einer hohen Unsicherheit verbunden sind, könnten sich die US-Notenbanker veranlasst sehen, um die Jahreswende 2022/2023 eine erste Zinsanhebung vorzunehmen. Mit deutlich steigenden Zinsniveaus ist kurzfristig unseres Erachtens wohl eher nicht zu rechnen.

Schwedens Notenbanker bringen es auf den Punkt

Auch in Nordeuropa bleiben die Zinsen erstmal tief. Die schwedische Reichsbank hat die aktuelle Sicht- und Arbeitsweise der Notenbanken in ihrem geldpolitischen Lagebericht Anfang Juli auf den Punkt gebracht: Die überragende Mehrheit der Notenbanken erachtet die Risiken, die mit einer zu frühen Reduktion der geldpolitischen Stimuli einhergehen, einfach als größer als die Risiken, die aus einer Geldpolitik resultieren, welche zu lange hochexpansiv bleibt.

Da überrascht es dann auch nicht, dass die Reichsbank in ihrem Projektionszeitraum bis zum dritten Quartal 2024 keine Anhebung ihres Leitzinsniveaus plant. Das Chance-Risiko-Verhältnis verfrühter Zinsschritte erscheint einfach mager. Eine mögliche Abkehr von den gegenwärtigen Leitzinsniveaus wird in der Folge bestenfalls graduell erfolgen – wie auch in den USA.

In Großbritannien, Japan und vielen anderen Ländern ist die Lage ähnlich. Die Beispiele zeigen: Trotz steigender Inflationsraten bleiben die Zinsen in den meisten Ländern erst einmal niedrig. Das hat Folgen für Zinssparer. Ihnen droht in den nächsten Jahren eine Beschleunigung des realen Wertverlusts ihres Vermögens, wenn sie nicht andere Ertragsquellen finden.

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