Die Verbraucherpreise steigen so stark wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Kapitalmarktstratege Philipp Vorndran erläutert, was das für Anlegerinnen und Anleger bedeutet.
Herr Vorndran, die Verbraucherpreisinflation in Deutschland steigt seit einigen Monaten rasant und hat zuletzt die Fünf-Prozent-Marke im Vergleich zum Vorjahr überschritten. Ein neuer trauriger Rekord. Wird dieser Trend länger anhalten?
Gute Frage. Es gab einige Sondereffekte, etwa die im Januar eingeführte Kohlendioxidabgabe auf Benzin, Diesel, Heizöl und Gas oder das Auslaufen der in der Coronakrise zeitweise geltenden Umsatzsteuererleichterungen; beides waren einmalige Effekte. Hinzu kommen pandemiebedingte Schwierigkeiten bei den Lieferketten. Nehmen wir den deutlichen Anstieg der Holzpreise oder die Knappheit bei verschiedenen Baumaterialen oder Computerchips. Bei Letzteren könnten uns die Engpässe wohl noch etwas länger begleiten. In Summe, also bereinigt um die Sondereffekte, dürften die Inflationsraten zwar wieder zurückfallen, aber auf ein Niveau, das immer noch spürbar über dem der vergangenen Jahre liegt. Es gibt auch genügend strukturelle Gründe, die uns veranlassen zu argumentieren, die Inflation ist gekommen, um zu bleiben.
Wie hoch wird die Teuerungsrate im kommenden Jahr um diese Zeit sein?
Wir haben keine Kristallkugel. Insofern tun wir uns mit Stichtagsprognosen schwer. Für Anleger ist das auch nicht entscheidend. Es reicht zu wissen, dass die Wahrscheinlichkeit eines nachhaltigen Inflationsanstiegs relativ hoch ist.
Das bedeutet einen höheren Kaufkraftverlust als bisher – in einem Umfeld von dauerhaften Null- und Negativzinsen.
Genau. Und das sind keine guten Nachrichten für Zinssparer – für Anleger, die ihr Geld beispielsweise in Festgeld oder klassischen Anleihen halten. Das höhere Niveau der Verbraucherpreisinflation drückt die Realzinsen ins Negative. Dass sich daran schnell etwas ändert, sollten Sparer besser nicht erwarten, zumal die Europäische Zentralbank (EZB) bereits angekündigt hat, dass sie nicht so bald reagieren wird.
Trotz dieses nahezu sicheren Verlustrisikos betonen viele deutsche Sparer gerne, dass sie besser schlafen, wenn ihr Geld auf dem Konto liegt, als wenn es an den Aktienmärkten investiert ist, wo die Wertentwicklung zeitweise schwanken kann.
Wenn ich das höre, empfehle ich immer, mit Freunden aus der Türkei zu reden, die Erfahrung haben mit sehr hohen Inflationsraten. In der Regel erhält man von ihnen eine Antwort wie: „Ich schlafe erst dann ruhig, wenn mein Geld eben nicht mehr auf der Bank liegt, sondern investiert wurde“ – in Häuser, Unternehmen, Gold oder meinetwegen Kühlschränke; Hauptsache, in Sachwerte.
Kühlschränke kaufen, im Ernst?
Etwas überspitzt formuliert: ja. Solange die Inflation aber nicht ausufert, und das bleibt unser Szenario, gibt es zweifellos bessere Optionen. Von daher ist das keine Empfehlung, sondern bitte mit einem Augenzwinkern zu verstehen. So oder so brauchen Anleger in Zeiten negativer Realzinsen erstklassige Sachwerte, wenn sie ihr Vermögen mittelfristig zumindest erhalten wollen. Die Deutschen sind im Übrigen nicht nur wegen ihrer Vorliebe für unverzinste Konten der Inflation besonders stark ausgesetzt, sondern auch, weil es keine entwickelte Volkswirtschaft gibt, in der im Schnitt so wenige Eigentümer ihrer vier Wände sind. Deswegen auch die hitzige Diskussion über Mietbremse und Verstaatlichung von Wohnungsunternehmen.
Ein ausreichender Schutz vor Inflation wird gemeinhin auch Gold zugesprochen.
Stimmt, aber bei Gold ist die Wirkung als Inflationsausgleich eher träge. Es funktionierte auf Jahressicht nicht, speziell dann, wenn die Inflation bei unter fünf Prozent lag und zeitgleich die Renditen von Anleihen stiegen. Langfristig erwarten wir aber, dass Bewegungen beim Goldpreis die Inflation ausgleichen, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wir sehen es in unserer Anlagestrategie daher auch als Währung der letzten Instanz, die das Vermögen schützen soll, wenn das Vertrauen in das Finanzsystem schwindet.
Mit Gold kann ich also auf lange Sicht Vermögen erhalten, aber nicht unbedingt mehren. Wenn ich nun auf ein Aktienportfolio setzen würde – breit gestreut und global ausgerichtet. Kann sich dann eine Phase mit höherer Inflation positiv auf meine Ertragschancen auswirken?
Auch bei Aktien ist die Wirkung als Inflationsschutz nicht unbedingt eindeutig. Historisch gesehen waren Phasen mit hoher Inflation nicht immer gut für die Aktienmärkte. Von 1972 bis 1979 beispielsweise stieg die US-Inflation durch den Ölpreisschock von 6 auf 13,5 Prozent. Die Notenbank hob daraufhin in mehreren Schritten die Zinsen von 6 auf 19 Prozent an. Klar, dass zu einer Zeit, wenn man mehr als 20 Prozent Rendite für US-Staatsanleihen bekommen kann, Aktien wenig spannend waren, auch wenn die Gewinne trotz schwacher Wirtschaftsdynamik im Durchschnitt deutlich zulegen konnten.
Ist das auch jetzt zu erwarten?
Das größte Problem für die Aktienmärkte damals war, dass die Zinsen so stark gestiegen sind. Die Bewertung von Aktien ist schließlich nichts anderes als die abgezinsten Ertragserwartungen von Unternehmen. Letztere fallen mit steigenden Zinsen. Dieses Mal ist mit einer solchen Entwicklung nicht in vergleichbarem Umfang zu rechnen, weil die Zinsen wegen der gewaltigen Verschuldung weltweit niedrig bleiben müssen. Aber es würde mich nicht überraschen, wenn am Markt ein Zinsanstieg immer wieder zum Thema wird und zu temporären Rückschlägen an den Aktienmärkten führen würde.
Mittelfristig könnte man mit einem Aktien-Portfolio aber punkten?
Das kommt darauf an.
Worauf?
Entscheidend ist, wie robust die Geschäftsmodelle der Unternehmen sind, in die Sie investieren. Nur wenn Unternehmen die höheren Kosten aufgrund der gestiegenen Inflation an Kunden weiterreichen können, eignen sie sich als Inflationsschutz. Denn dann steigen neben den Kosten auch die Umsätze und die Gewinne.
Einfach einen börsengehandelten Indexfonds (ETF) auf einen breit gestreuten Aktienindex zu kaufen, wäre damit keine gute Idee?
Nicht unbedingt. Ein Aktienindex soll einen Markt spiegeln und möglichst repräsentativ sein. Es sind daher gute und weniger gute Titel enthalten. Investments können attraktiv sein, solange es auf dem jeweiligen Markt deutlich nach oben geht, in Rally-Phasen. Irgendwann hebt die Flut aber nicht mehr alle Schiffe. Die Aktienauswahl ist dann das A und O.
Und wie finden Anlegerinnen und Anleger „gute“ Unternehmen, also Unternehmen, die höhere Kosten weiterreichen können?
Das ist die entscheidende Frage. Qualitätsunternehmen sind unseres Erachtens durch eine attraktive und möglichst gut vorhersagbare Ertragsentwicklung gekennzeichnet. Um attraktive Geschäftsmodelle herauszufiltern, legen unsere Analysten mehrere Kriterien an. Unsere Analyse beginnt mit dem Markt, auf dem der Umsatz erzielt wird. Wir suchen Unternehmen mit einer starken Wettbewerbsposition, einer sauber finanzierten Bilanz, erstklassigem Management und ausreichend Wachstumspotenzial. Nicht alle Unternehmen erfüllen diese Kriterien gleichermaßen. Unser Job ist es deshalb, Chancen und Risiken jedes einzelnen Investments abzuwägen, immer wieder. Dabei ist mir ein Hinweis noch ganz wichtig: Ein sehr gutes Unternehmen muss noch lange kein sehr gutes Investment sein. Dann nämlich nicht, wenn der Preis schon sehr viel Gutes vorwegnimmt, die Aktie also zu teuer ist.
Inflation ist ja auch Ausdruck schwindenden Vertrauens in Währungen. Wie groß ist die Gefahr, dass die Menschen das Vertrauen in das Papiergeldsystem verlieren?
Speziell wenn eine Lohn-Preis-Spirale in Schwung kommt, besteht definitiv dieses Risiko. Aktuell ist das noch nicht der Haupttreiber der Inflation. Die nächsten zwölf Monate werden dafür sehr entscheidend. Solche Debatten werden derzeit primär unter Finanzexperten geführt. Eine Diskussion in der breiten Öffentlichkeit darüber, ob das Vertrauen in unsere Währung gerechtfertigt ist, sehen wir noch nicht, auch wenn unser Geld- und Finanzsystem in den vergangenen Jahren fragiler geworden ist. Je länger aber die Phase hoher Inflationsraten andauert, umso größer wird das Risiko, dass Vertrauen verloren geht. Deshalb verfolgen wir diese Entwicklung sehr aufmerksam.
Vielen Dank für das Gespräch.
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