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Gesellschaft
6 Minuten

Chinas Sozialversicherung: Zu teuer?

- Shenwei Li

Wirtschaftsmotor, Supermacht, Parteidiktatur. Wer sich für globale Trends interessiert, der blickt nach China. Die Analystin Shenwei Li berichtet von ihren Erfahrungen – subjektiv, aus dem Blickwinkel einer Chinesin. Diesmal geht es um drohende Austritte aus der Sozialversicherung.

Wie die Europäer plaudern auch wir gerne mit unserem Friseur. Dabei sprechen wir manchmal auch über persönliche Nöte. Und so erfuhr ich bei meinem Besuch, dass mein Coiffeur überlegt, künftig keine Sozialversicherung mehr zu zahlen, weil er sich die Beiträge nicht mehr leisten könne.

Schon zuvor habe er mithilfe von Dienstleistern meist nur den Mindestbetrag überwiesen. Nachdem aber Shanghai die Bemessungsgrundlage für die Sozialversicherung auch in diesem Jahr um zwölf Prozent erhöhte, sei selbst der Mindestbetrag für ihn nicht mehr leistbar.

Grundsätzlich ist bei uns die Sozialversicherung, die die Beiträge zur Renten- und Krankenkasse umfasst, für jeden obligatorisch. Ein Ausstieg scheint auch schon deshalb keine gute Option zu sein, weil erst ein paar Jahre Mitgliedschaft dazu berechtigen, Immobilien oder Autos zu kaufen, im lokalen Haushaltsregister der Großstädte geführt zu werden, Renten zu beziehen oder im Ruhestand medizinische Ausgaben erstattet zu bekommen.

 

Dennoch ist immer öfter Ähnliches insbesondere von Geringverdienern und Soloselbstständigen zu hören. Auch die Begründung geht immer in dieselbe Richtung: „Ich kann es mir nur noch leisten, mich um meine Gegenwart zu kümmern. Die Zukunft ist zu teuer.“ Was steckt dahinter?

Stagnierende Einkommen, steigende Beiträge

Bei uns sind die verfügbaren Durchschnittseinkommen über Jahrzehnte sehr stark gestiegen. Doch seit einigen Jahren fällt dieser Zuwachs nur noch einstellig aus, oder die Entwicklung ist rückläufig. Dennoch wird die Bemessungsgrundlage für die Sozialversicherung jedes Jahr zweistellig angehoben. Nur im Corona-Jahr 2020 gab es eine Pause.

Doch die Belastung der Beitragszahler ist enorm: So ist beispielsweise die Untergrenze der Bemessungsgrundlage seit 2018 in Shanghai von 4.300 Renminbi (etwa 550 Euro) monatlich auf inzwischen 7.310 Renminbi (etwa 940 Euro) gestiegen, also im Durchschnitt um elf Prozent per annum oder insgesamt um etwa 70 Prozent.

Enorme Last für Niedrigverdiener und Selbstständige

Und dabei muss, anders als in Deutschland, auch derjenige Beiträge zahlen, der weniger als die Untergrenze verdient – und zwar in einer Höhe, als ob die Verdienstgrenze von 7.310 Renminbi bereits erreicht würde. Der Anteil der Arbeitnehmer in Shanghai liegt in solchen Fällen bei 700 Renminbi, Arbeitgeber zahlen 1.900 Renminbi. Wer nun selbstständig arbeitet, muss sowohl den Arbeitnehmer- als auch den Arbeitgeberanteil zahlen, also insgesamt 2.600 Renminbi.

Das kann Niedrigverdiener oder Selbstständige mit wenig stabilen Einkommen also ganz schön in die Bredouille bringen. Es ist daher verständlich, wenn jemand in einer solchen Lage versucht, die Beiträge zu reduzieren.

Doch wieso ist es überhaupt möglich, weniger zu bezahlen? Dazu muss man wissen, dass die Sozialversicherung in China eine regionale Angelegenheit ist und jede Provinz eigene Beitragsbemessungsgrundlagen sowie Ober- und Untergrenzen festlegt. „Dienstleister“ helfen Versicherten, die dabei entstehenden regionalen Unterschiede zu nutzen. Viele Leute arbeiten etwa in der Stadt A, haben aber einen Arbeitsvertrag mit einem Unternehmen in der Stadt B, weil dort die Untergrenze der Bemessungsgrundlage wesentlich tiefer liegt.

Diese Praxis war zwar nie legal, wird aber geduldet, auch weil sie Unternehmen finanziell entlastet, die ja bei Niedrigverdienern einen höheren Beitragsanteil übernehmen müssen. Eine Studie eines HR-Dienstleisters, das „China Enterprise Social Insurance White Paper“, die seit 2012 jährlich veröffentlicht wird und für die etwa 5.000 Unternehmen befragt werden, zeigt, dass in den letzten Jahren nur knapp 30 Prozent der befragten Unternehmen die Sozialversicherungsbeiträge völlig konform mit den regionalen Bemessungsgrundlagen bezahlen konnten.

Dieser Anteil ist seit 2020 noch weiter gesunken. Auch der Anteil von Unternehmen, die sich am lokalen Mindestlohn orientieren, hat abgenommen. Die Beiträge also weiter zweistellig anzuheben, wenn die Löhne sich nicht mit nach oben entwickeln, funktioniert eben nicht.

Um eine drohende Austrittswelle zu verhindern, sollte sich die Regierung daher etwas einfallen lassen. Als Gesellschaft mit immer mehr Rentenbeziehern können wir es uns einfach nicht leisten, immer mehr junge Beitragszahler zu verlieren.

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