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Theorie und Praxis

- Dr. Bert Flossbach

Der Klimawandel bedroht unsere Ökosysteme, rücksichtsloses Wirtschaften unseren Wohlstand. Die EU hat sich der Sache angenommen.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Das Thema Nachhaltigkeit nehmen wir sehr ernst. Seit der Gründung der Flossbach von Storch AG ist es ein wichtiger Bestandteil unserer Unternehmens-DNA. Wir verstehen Nachhaltigkeit vor allem im Sinne von dauerhaft, beständig und zukunftsfähig, sie ist fester Bestandteil unseres Anlageprozesses.

Umwelt- und Sozialthemen sowie Fragen einer guten Unternehmensführung spielen sowohl im eigenen Unternehmen wie auch bei unserem Auswahlprozess für Wertpapiere eine wichtige Rolle. Das Thema ist allerdings viel zu wichtig, um es als Marketinggag verkommen zu lassen. Auch weil es in (naher) Zukunft massive Auswirkungen auf unsere Ökonomie haben dürfte.

Einerseits dürften die Kosten des Klimawandels, beziehungsweise dessen Auswirkungen auf Gesellschaft und Politik, das Wirtschaftswachstum schwächen und gleichzeitig zu höherer Inflation führen. Andererseits können neue Technologien auch Wachstumsimpulse liefern. Der Internationale Währungsfonds erwartet für das Jahr 2030 eine Einbuße beim weltweiten realen Pro-Kopf-Einkommen von 0,8 Prozent, falls sich die Erderwärmung ungebremst fortsetzt.

Die mit dem Klimawandel verbundenen Belastungen der Steuerzahler, Unternehmen und Staatshaushalte werden sich auf das Wirtschaftswachstum auswirken. Wie sehr, das dürfte auch davon abhängen, ob die Regierungen zu wenig, zu viel oder das Falsche beschließen werden.

Klar ist: Eine erfolgreiche Klimapolitik ist ohne eine umfassende Bepreisung des CO2-Ausstoßes kaum möglich. Die von der Bundesregierung festgelegte CO2-Abgabe von 25 Euro ab 2021 und mindestens 55 Euro ab 2026 ist zu starr und zu niedrig, um wirksame ökonomische Anreize zu setzen. So lassen sich ambitionierte ökologische Ziele kaum erreichen.

Andererseits bergen deutlich höhere Preise für Auto, Heizung oder Flüge aber die Gefahr, dass die Wähler auf die Barrikaden steigen. Da in der Politik die Angst vor dem Mandatsverlust oft größer ist als vor dem Klimawandel, versucht man den Schwarzen Peter weiterzureichen. Deshalb wurde die Finanzbranche in Europa dazu auserkoren, das Klima zu retten.

Die Experten von der Europäischen Union

Finanzdienstleister, Banken, ja selbst die Europäische Zentralbank (EZB) sollen zukünftig dazu beitragen, dass die Kapitalströme möglichst umweltfreundlich und sozialverantwortlich umgelenkt werden. Weil es dazu klarer Vorgaben bedarf, wurde eine „High-Level Expert Group“ zusammengestellt.

Sie arbeitet an einer Taxonomie, die festlegen soll, welche wirtschaftliche Tätigkeit als (ökologisch) nachhaltig eingestuft werden darf. Eine Investition gilt demnach dann als nachhaltig, wenn sie einen wesentlichen Beitrag zu mindestens einem von sechs verschiedenen Umweltzielen vom Klimaschutz bis zum Schutz gesunder Ökosysteme leistet, ohne gegen eines der Ziele zu verstoßen.

Dabei gibt es Streitpunkte, wie die Einstufung der Atomenergie, die die unterschiedlichen Länderinteressen aufzeigen und die Schwierigkeit eines solchen Regelwerks verdeutlichen. Frankreich und Großbritannien werten Atomkraft als nachhaltig, Deutschland und Österreich wollen diese, genau wie Kohlekraft, ausdrücklich ausschließen.

Die von der EU-Kommission eingerichtete „Technical Expert Group on Sustainable Finance“ (TEG) hat nach dem Do-no-significant-Harm-Prinzip die Technologie einem ersten Test unterzogen und im März 2020 vorerst den Ausschluss empfohlen – im gleichen Atemzug aber auch zu tiefer gehenden Untersuchungen durch Experten mit fundiertem Fachwissen geraten. Eine diplomatische Entscheidung – und gleichfalls eine Hintertür, die Lobbyisten zu Hochform auflaufen lässt.

An weiteren kritischen Punkten herrscht kein Mangel. Dabei geht es etwa um die Schwellenwerte, ab denen Kraftfahrzeuge und damit ihre Hersteller als umweltfreundlich gelten. Die von der TEG im Juni 2019 vorgelegten Grenzen betragen nur 50 Gramm CO2 pro Kilometer (was weniger als die Hälfte des aktuellen EU-Flottenverbrauchsziels ist). Ab 2026 soll der Schwellenwert auf null absinken. Dann wären die Hersteller von Autos mit Verbrennungsmotoren (also alle außer Tesla) nicht mehr als ökologisch verträglich einzustufen.

Beschäftigungsprogramm für ESG-Berater

Für ESG-Berater, Ratingagenturen, Wirtschaftsprüfer, Marketingexperten und Juristen bietet diese Taxonomie neue Geschäftspotenziale. Juristen können dabei gleich doppelt verdienen, könnte man etwas spöttisch einwerfen. Zunächst bei der Beratung von Banken, Fondsgesellschaften und Vermögensverwaltern, danach beim Verklagen derselben durch enttäuschte Anleger.

Auf Finanzberater kommen erhebliche Vorab-Informationspflichten zu. Berücksichtigen sie Nachhaltigkeitsfaktoren, sollen die Berater nicht nur die Art und Weise darlegen, wie dies erfolgt. Sie sollen auch die zu erwartenden Auswirkungen auf die zukünftige Rendite erläutern – was praktisch unmöglich ist. Berücksichtigen sie diese Faktoren nicht, sollen sie erklären, warum.

Investoren sind gehalten, die Wirkung von Anlageentscheidungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren zu ermitteln und dabei den Grad der Ausrichtung auf die Ziele des Pariser Klimaabkommens festzustellen. Wer das nicht macht, weil er sich etwa außerstande sieht, die Auswirkungen eines Kaufs von tausend Aktien eines Chemiekonzerns auf die Ziele des Pariser Klimaabkommens sinnvoll zu benennen, soll klare Gründe für seine Entscheidung liefern.

Wenn Kunden eines Vermögensverwalters auch soziale Belange als Anlageziel äußern – was für praktisch alle ESG-Mandate gilt – muss zukünftig zum Beispiel auch die Steuerehrlichkeit der Unternehmen, die sich in den Depots der Kunden befinden, überprüft werden. Ohne eine enge Kooperation mit den internationalen Finanzbehörden dürfte dies kaum gelingen. Des Weiteren sollen für diese Kunden möglichst keine Titel von Unternehmen erworben werden, bei denen aus den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung Risiken für die Vermögens- oder Ertragslage drohen.

Dieses Gebot sollte eigentlich jeder umsichtige Investor auch ohne Taxonomie befolgen. Es würde aber auch dazu führen, dass Aktien oder Anleihen europäischer Banken angesichts immer wiederkehrender Schadensersatzklagen grundsätzlich ausgeschlossen sind und es würden Institutionen getroffen, die ihrerseits mit ESG-Produkten Anlegergelder einsammeln möchten.

Um das Dilemma der Taxonomie zu verdeutlichen, drängt sich ein Vergleich mit der Kunst auf: Die Taxonomie versucht nicht nur, gute von schlechter Kunst zu trennen, sondern Künstler durch „Malen nach Zahlen“ zur Schaffung schöner Gemälde anzuleiten.

Erfolgreiche Geldanlage ist zwar keine bildende Kunst, aber eben auch keine präzise Wissenschaft wie die Physik. Deshalb ist es ein Irrtum zu glauben, es gäbe eine allgemeingültige Bauanleitung, die von der Anlagestrategie bis zur Einzeltitelauswahl alles genau messen und regeln kann.

Gäbe es diese, könnte man ja auch im Sinne des Anlegerschutzes vorschreiben, dass Banken nur noch Aktien empfehlen dürfen, die garantiert steigen, oder dass die Politik nur noch gute Gesetze erlassen darf.

Die Ratingagenturen sollen es richten

Da praktisch kein Vermögensverwalter die geforderte Nachhaltigkeitsprüfung für alle Unternehmen in seinen Portfolios sinnvoll leisten kann, schlägt die Stunde spezialisierter ESG-Ratingagenturen. Sie sollen die Detailarbeit übernehmen und die Welt mit feinem Federstrich in Gut und Böse trennen.

Was bei gut messbaren Größen wie dem CO2-Ausstoß vergleichsweise einfach ist, ist bei anderen, oft schwammigen Faktoren nahezu unmöglich. Deshalb ist die feine Feder oft ein breiter Pinsel, der zudem von verschiedenen Malern noch unterschiedlich angesetzt wird.

Unser Kollege Kai Lehmann aus dem Flossbach von Storch Research Institute hat bereits 2019 die Methodik von ESG-Ratings und die Arbeit von ESG-Ratingagenturen untersucht und die Ergebnisse in einer Studie mit dem Titel: „Nachhaltig? Ja ... Nein ... Vielleicht!“ zusammengefasst.

Die Ergebnisse:

  • ESG-Ratings verletzen wissenschaftliche Gütekriterien für Messverfahren.
  • Umfangreiche Nachhaltigkeitsberichte führen ungeachtet ihres Inhalts zu einer besseren Bewertung, was Großkonzerne mit entsprechenden Stabsabteilungen bevorzugt.
  • Das gleiche Unternehmen wird von verschiedenen Ratingagenturen nicht selten völlig unterschiedlich bewertet. Diese Uneinigkeit ist die logische Konsequenz eines fehlenden gemeinsamen Nachhaltigkeitsverständnisses und verdeutlicht, dass es unmöglich ist, qualitative Faktoren objektiv zu quantifizieren.

Der US-Investor Warren Buffett hat in den vergangenen Jahren über ein zu seiner Holding Berkshire Hathaway gehörendes Unternehmen rund 30 Milliarden US-Dollar in Windenergieanlagen im US-Staat Iowa investiert. Als sein Motiv formulierte er betont pointiert, Iowa in das Saudi-Arabien des Windes verwandeln zu wollen. Doch statt dies als großen Beitrag Berkshire Hathaways zur Bekämpfung des Klimawandels zu proklamieren, um damit möglichst gute ESG-Ratings zu erhaschen, fügte er nüchtern hinzu:

“ We wouldn’t do (it) without the production tax credit we get.”

Freie Übersetzung: „Wir würden es ohne die Steuervorteile nicht tun.“

Damit weist Buffett auf die Lenkungsfunktion von Steuern hin und gibt gleichzeitig ein Beispiel für ehrliche Kommunikation und gute Corporate Governance (auch wenn er dafür nicht mit hohen ESG-Scores belohnt wird, wie Berkshires unseres Erachtens kaum angemessenes MSCI-Rating von „BB“ zeigt).

Ohne Martwirtschaft kein Klimaschutz

Buffetts Investment in Windenergie verdeutlicht, dass die EU-Taxonomie eigentlich auf dem Kopf steht. Wenn die Politik die richtigen Rahmenbedingungen setzt, also einen klugen Mix aus Entlastungen und Belastungen beschließt, dann fließt auch das Geld der Investoren in die gewünschte Richtung. Wenn der politische Wille oder der ökologische Wunsch aber versucht, ökonomische und methodische Gesetzmäßigkeiten zu überwinden, bleibt die erhoffte Wirkung aus.

Umweltschutz, gute Sozialstandards und Unternehmensführung sind erstrebenswerte Ziele für eine bessere Welt. Unternehmen müssen ihr Produktangebot und ihre gesamte Unternehmensstrategie daran ausrichten, um langfristig erfolgreich zu sein.

Eine Taxonomie, die mit ihren Verordnungen methodische Grenzen überschreitet und sich ein Wissen anmaßt, das sie nicht haben kann, gefährdet aber ihre eigenen Ziele. Die Welt wird besser, wenn Umwelt- und Sozialstandards besser werden. Dazu braucht es gute Rahmenbedingungen, Anreizstrukturen und Gesetze.

Letztlich könnte die EU-Taxonomie sogar zu einer Gefahr für den Klimaschutz und die anderen ESG-Ziele werden, weil sie vom Gesetzgeber als Exkulpationsinstrument missbraucht werden kann und ihn davon abhält, richtige, aber unpopuläre Entscheidungen zu treffen.

Am Ende droht das Kapital nicht dorthin zu fließen, wo es der Umwelt und Gesellschaft am meisten hilft, sondern wo der beste ESG-Score winkt. Die Fehlanreize, die zur Finanzkrise geführt haben, sollten uns ein warnendes Beispiel sein.

Vorsicht vor der Planwirtschaft

Die Herausforderungen des Klimawandels sind nur mit einer effizienten Klimapolitik, neuen Technologien und einer prosperierenden Wirtschaft zu meistern. Ohne ein eindeutiges Bekenntnis zur Marktwirtschaft als effizienteste Wirtschaftsordnung zur Wahrung des Wohlstands unter Einbeziehung der Umwelt kann dies nicht gelingen. Die Geschichte hat uns gelehrt, dass der Sozialismus der größte Umweltfeind ist, wie wir am Beispiel der DDR hautnah erleben mussten.

Daher ist es besorgniserregend, wenn die gesellschaftliche Akzeptanz der sozialen Marktwirtschaft, trotz ihrer unbestreitbaren Erfolge in Deutschland und Europa, stark gesunken ist. Eine EU-Taxonomie schafft keine bessere Welt, ein Mietendeckel schafft keinen Wohnraum und die Verstaatlichung von Unternehmen keine sicheren Arbeitsplätze. Eine Vermögenssteuer schwächt Unternehmen und die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts. Trotzdem findet sie Zustimmung bei der Bevölkerung, die glaubt, nicht betroffen zu sein.

Die Politik wird die zentralen Probleme der Menschen und Ökosysteme nicht mit einer ausufernden und wahllosen Regulierung stoppen können. Masse bedeutet eben nicht Klasse.

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