Skip to Content
Gesellschaft
12 Minuten

Wenn der digitale Euro kommt

- Prof. Dr. Thomas Mayer

Die Europäische Zentralbank will im Wettbewerb der digitalen Währungen mitmischen. Was Anleger davon erwarten können – und was wohl eher nicht.

Im Oktober 2021 geht es los. Die Europäische Zentralbank (EZB) wird eine zweijährige Untersuchungsphase starten, die zeigen soll, wie ein digitaler Euro gestaltet werden könnte. Und welche Auswirkungen die Einführung einer europäischen Digitalwährung hätte. Danach soll darüber entschieden werden, ob es den digitalen Euro geben soll.

Schon jetzt ist klar: Neue Digitalwährungen von Notenbanken dürften völlig anders funktionieren als die privaten Kryptowährungen, wie etwa der Bitcoin. Zwar könnte die EZB mit dem digitalen Euro das Staatsschuldenproblem im Euroraum verringern, wenn die Notenbanker die Digitalisierung der Währung kompromisslos umsetzen würden. Aber dazu wird es nicht kommen.

Sechs Thesen zu Hintergründen, Folgen und Möglichkeiten einer neuen europäischen Digitalwährung.

1. Private Kryptowährungen bedrohen das staatliche Geldmonopol

Bitcoin und andere private Kryptowährungen sind den Zentralbanken aktuell ein Dorn im Auge. Eine ungeliebte Konkurrenz, stellen sie doch das von ihnen verwaltete staatliche Geldmonopol infrage. Würden private Kryptowährungen peu à peu das derzeitige Geld ablösen, könnten die Notenbanken die Geldschaffung nicht mehr zur Konjunktursteuerung und Staatsfinanzierung einsetzen.

Nicht umsonst warnte die chinesische Notenbank (People's Bank of China) die Finanzinstitute unlängst davor, Kryptowährungen als Zahlungsmittel anzunehmen und stellte den Bitcoin-„Minern“ den Strom ab. Die EZB verglich in ihrem Bericht zur Finanzstabilität die Preisentwicklung von Bitcoin mit den Tulpen- und Südseeblasen des 17. und 18. Jahrhunderts.

2. Eigene Kryptowährungen sind hilfreich für Notenbanken

Die Notenbanken haben in der Coronakrise begriffen, dass die Menschen gerne bargeldlos zahlen. In der Pandemie ist der Bargeldbestand für Transaktionszwecke auch in Deutschland massiv nach unten gegangen. Mit Kartenzahlungen könnten die Zentralbanken vielleicht noch leben, aber das Entstehen neuer Kryptowährungen (wie etwa im Libra-Projekt von Facebook) ist für sie beängstigend.

Denn dadurch könnte das von ihnen emittierte Bargeld, das einzige gesetzliche Zahlungsmittel, verdrängt werden. Deshalb denkt auch die EZB inzwischen sehr konkret über Zentralbankgeld in digitaler Form nach: Central Bank Digital Currency (CBDC) ist dazu das Akronym. Die Chinesen haben den digitalen Renminbi schon im Versuchsprogramm. Im nächsten Jahr soll er auf breiter Fläche kommen. Die EZB meint, dass ihre digitale Währung vielleicht in fünf Jahren so weit wäre.

3. Für Verbraucher wird sich mit dem digitalen Euro nicht viel ändern

Nach allem, was bislang bekannt ist, dürfte der Unterschied zu Euro-Banknoten jedoch gering sein. Jetzt heben Verbraucher Banknoten am Geldautomaten vom Girokonto ab. In Zukunft könnten sie bei der CBDC der EZB einen begrenzten Betrag auf ihr Handy oder eine Karte laden. Wieviel und wie der digitale Zahlungsverkehr genau funktionieren soll, steht noch nicht fest. Der digitale Euro dürfte aber wohl ein Pendant zur Banknote mit beschränkter Nutzbarkeit werden.

4. Der digitale Euro funktioniert anders als der Bitcoin

Die Idee beim Bitcoin war, dass man Geldscheine nicht mehr physisch aushändigen muss, sondern virtuell transferieren kann. Etwa, wie wenn man statt der Banknote nur die Nummer weitergibt. Und das von Person zu Person; nicht über eine Bank, die eine Überweisung zentral aufzeichnet. Dem Erfinder ging es darum, die Banken aus den Transaktionen herauszuhalten. Das betrifft die Geschäftsbanken, die auch im Euroraum Giralgeld, also Guthaben auf Girokonten, über die Kreditvergabe erzeugen, und die Zentralbanken, die den Prozess der Geldschaffung über Kreditvergabe managen. Dadurch kann man die Transaktionskosten verringern. Aber nicht nur darum ging es.

Der Bitcoin-Blockchain-Algorithmus wurde Ende 2008 vorgestellt, also kurz nach dem Kollaps der Lehman Bank, der den Höhepunkt der Kreditkrise markierte. Mit der Gelderzeugung durch diesen Algorithmus sollten durch die Kreditgeldschöpfung erzeugte Kreditblasen und Kreditkrisen verhindert werden.

Der digitale Euro soll hingegen dem Kreditgeld nur eine neue Variante beifügen. Wäre der digitale Euro ein Auto, könnte man sagen, er sehe wie ein modernes Elektroauto aus, aber unter der Motorhaube tuckere immer noch der Verbrennungsmotor – eben die Geldschöpfung durch Kreditvergabe der Banken. Kryptowährungen wie Bitcoin entsprechen dagegen dem hundertprozentigen Elektroauto.

5. Ein digitaler Euro könnte die Eurozone stabiler machen

Der digitale Euro hätte für Verbraucherinnen und Verbraucher einen entscheidenden Vorteil: Zentralbankgeld als Forderung gegen die Notenbank ist risikolos, anders als beispielsweise Guthaben auf Girokonten. Letztere sind nur private Schuldverschreibungen der Banken beziehungsweise eine Forderung des Kunden gegen sie, die im Euroraum generell nur bis zu 100.000 Euro durch eine staatliche Einlagensicherung gedeckt ist.

Das digitale Zentralbankgeld wäre damit in allen Mitgliedsländern ausfallsicher und würde die Währungsunion, die derzeit nur eine Bargeldunion ist, einen Schritt weiterbringen, wenn es das Giralgeld der Banken ersetzen würde.

6. Der digitale Euro könnte beim Schuldenproblem helfen

Noch radikaler gedacht könnte der digitale Euro für Staaten sogar die Möglichkeit bieten, ein gutes Stück aus dem Schuldensumpf herauszukommen: Im gegenwärtigen Kreditgeldsystem ist das Giralgeld durch einen rollierenden Bestand an Krediten der Banken gedeckt. Giralgeld entsteht, wenn ein Kredit vergeben wird, und es vergeht, wenn er zurückgezahlt wird.

Den digitalen Euro könnte man dagegen als Zentralbankgeld aufstellen, das durch einen festen, auf der Bilanz der EZB liegenden Bestand an Staatsanleihen gedeckt ist. Den Deckungsstock kann sich die EZB schaffen, indem sie bis zum gewünschten Volumen an digitalen Euros Staatsanleihen kauft.

Mit ihren Kaufprogrammen für Staatsanleihen ist die EZB schon ein Stück auf diesem Weg gegangen. Wenn sie den gewünschten Betrag erreicht hat, kann sie weitere Anleihen in dem Umfang zukaufen, in dem die digitale Eurogeldmenge wachsen soll. Sie würde dann Staatsanleihen nicht nach dem Bedarf der Staaten kaufen, sondern immer nur die Menge an Anleihen zukaufen, die sie braucht, um den Geldbedarf der Wirtschaft zu decken. Die so geschaffenen neuen digitalen Euros könnten nicht den Eurostaaten ausgezahlt, sondern den Bürgen als Gelddividende direkt zugewiesen werden.

Da die EZB die Anleihen als festen Deckungsstock braucht, würden die Papiere aus dem Markt gezogen und könnten zins- und tilgungsfrei gestellt werden. Entsprechend würde sich die am Markt ausstehende Staatsverschuldung verringern. Nimmt man an, dass etwa sechs Billionen Euro an Sichteinlagen der Banken durch den digitalen Euro ersetzt würden, würde sich die am Markte ausstehende Staatsverschuldung von etwa elf Billionen auf fünf Billionen verringern.

Ein gewaltiger Schuldenschnitt, der aber einmalig sein müsste, damit das Vertrauen in den Euro erhalten bliebe. Kritiker werfen dagegen ein, dass die Zentralbank dann auch für die Kreditvergabe verantwortlich wäre. Das ist Unsinn. Die Kreditvergabe bliebe weiterhin in den Händen der Banken. Nur mit dem Unterschied, dass sie Spargeld zur Kreditvergabe einsammeln müssten – wie es in den ökonomischen Lehrbüchern steht –, statt das Geld durch Kreditvergabe zu schaffen (was vielen akademischen Autoren der Lehrbücher bis heute fremd ist).

Eine Staatsentschuldung durch die Umstellung von Kreditgeld auf „Vollgeld“ wird schon lange diskutiert, wurde aber noch nie durchgeführt. Dazu bräuchte es Weitsicht und Mut. An beidem mangelt es den Verantwortlichen anscheinend. Folglich wird man sich wohl weiter durchwursteln – womöglich bis zu einem bitteren Ende.

Prof. Dr. Thomas Mayer ist Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute.

Das könnte Sie auch interessieren

Glossar

Verschiedene Fachbegriffe aus der Welt der Finanzen finden Sie in unserem Glossar erklärt.

Die neuste Ausgabe der Position

„Innovation oder Revolution?“

Das Thema Künstliche Intelligenz (KI) ist in aller Munde, auch (oder besser: insbesondere) an der Börse. Aktien, die als die großen KI-Profiteure gelten, haben ein Hoch nach dem anderen erklommen, bevor so manche von ihnen Anfang August korrigierten. Was bedeutet das langfristig für Anlegerinnen und Anleger?

 

RECHTLICHER HINWEIS

Diese Veröffentlichung dient unter anderem als Werbemitteilung.

Die in dieser Veröffentlichung enthaltenen Informationen und zum Ausdruck gebrachten Meinungen geben die Einschätzungen von Flossbach von Storch zum Zeitpunkt der Veröffentlichung wieder und können sich jederzeit ohne vorherige Ankündigung ändern. Angaben zu in die Zukunft gerichteten Aussagen spiegeln die Zukunftserwartung von Flossbach von Storch wider, können aber erheblich von den tatsächlichen Entwicklungen und Ergebnissen abweichen. Für die Richtigkeit und Vollständigkeit kann keine Gewähr übernommen werden. Der Wert jedes Investments kann sinken oder steigen und Sie erhalten möglicherweise nicht den investierten Geldbetrag zurück.

Mit dieser Veröffentlichung wird kein Angebot zum Verkauf, Kauf oder zur Zeichnung von Wertpapieren oder sonstigen Titeln unterbreitet. Die enthaltenen Informationen und Einschätzungen stellen keine Anlageberatung oder sonstige Empfehlung dar. Sie ersetzen unter anderem keine individuelle Anlageberatung.

Diese Veröffentlichung unterliegt urheber-, marken- und gewerblichen Schutzrechten. Eine Vervielfältigung, Verbreitung, Bereithaltung zum Abruf oder Online-Zugänglichmachung (Übernahme in andere Webseite) der Veröffentlichung ganz oder teilweise, in veränderter oder unveränderter Form ist nur nach vorheriger schriftlicher Zustimmung von Flossbach von Storch zulässig.

Angaben zu historischen Wertentwicklungen sind kein Indikator für zukünftige Wertentwicklungen.

© 2024 Flossbach von Storch. Alle Rechte vorbehalten.

Back to top