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Gesellschaft
12 Minuten

Wetten, dass …

- Theresa Eyerund

… sich allein an der Treibhausgasbilanz eines Unternehmens erkennen lässt, welches Unternehmen sich dahinter verbirgt? Ein Selbstversuch.

Theresa E. aus Köln wettet, dass sie 100 börsengelistete Unternehmen nur anhand ihrer Treibhausgas-Bilanz identifizieren und benennen kann. So ähnlich hätte man sich die Anmoderation von Thomas Gottschalk in einer Sendung „Wetten, dass…“ vorstellen können. Regelmäßig überraschten dort Menschen mit ausgeprägtem Erinnerungsvermögen, skurrilen Hobbies oder außergewöhnlichem Talent fürs Bagger-Fahren die Zuschauer mit ihren Auftritten.

Besonders in Erinnerung ist die Wette einer 11-Jährigen im Jahr 2005 geblieben. Anhand kleinster Unterschiede im Muster der Schottenröcke konnte sie zwischen 100 verschiedenen Clans unterscheiden.

So ähnlich könnte man sich den Verlauf der Treibhausgasbilanz-Wette vorstellen: Ein mehr oder weniger prominenter Gast wählt aus einer Übersicht von 100 Unternehmen aus. Die Kandidatin hat während der Auswahl Augen und Ohren verdeckt und bekommt im Anschluss nur die Treibhausgasbilanz des Unternehmens präsentiert.

So wie Schottenröcke bei allen Unterschieden in den Farben und Mustern immer kariert sind, folgen auch Treibhausgasbilanzen immer dem gleichen Muster. Mindestens vier Zeilen mit den Kategorien, mindestens eine Spalte mit dem Berichtsjahr – gerne mehr. Die Zeilen beinhalten:

  • Scope 1: Die Emissionen, die durch den direkten Energieverbrauch z.B. durch eine Gasheizung oder Kraftstoffverbrauch einer Fahrzeugflotte entsteht.
     
  • Scope 2: Die Emissionen, die durch eingekauften Strom oder Fernwärme bei den Energieerzeugern entstehen.
    • Die standortbasierte Methode zeigt die Emissionen durch den lokalen, tatsächlichen Energiemix auf.
    • Die marktbasierte Methode zieht vom Unternehmen bewusst genutzte erneuerbare Energieinstrumente wie Zertifikate oder Grünstromverträge ab.
       
  • Scope 3: Die Emissionen, die in der vor- und nachgelagerten Wertschöpfungskette im Zusammenhang mit der Unternehmensaktivität entstehen. Hierunter fallen bis zu 15 Kategorien wie eingekaufte Güter und Dienstleistungen, Transport durch Dritte oder die Nutzung der Produkte durch Endkunden.

Auf die Schottenwette bereitete sich die Kandidatin mit einem Gedächtnistrainer vor, der zu den kleinen und großen Unterschieden in den Mustern Merksätze oder Eselsbrücken entwickelte.

Bei Treibhausgasbilanzen bräuchte es das nicht, denn aus ihnen kann man oft prägnante und reale Merkmale des Unternehmens ablesen, die als Heuristik dienen können. Die Zahlen zeigen tatsächliche Vorkommnisse und Eigenschaften im Unternehmen.

Muster erkennen

Sagen wir also: „Top, die Wette gilt“ – und als erstes erscheint die folgende Tabelle:

Fall 1:

Direkte Emissionen (Scope 1) höher als indirekte (Scope 2), Ausreißerwert bei Scope 3 in 2022, obwohl Scope 1 und Scope 2 nahezu gleichgeblieben sind.

tCO2e2019202120222023
Scope 1700.185659.226647.707620.124
Scope 2 marktbasiert570.557484.200484.471486.384
Scope 2 standortbasiert557.783491.174500.399500.077
Scope33.654.5774.443.0919.419.4274.338.487

 

Die Kandidatin könnte sich der Aufgabe folgendermaßen annähern: Es handelt sich vermutlich um ein produzierendes Unternehmen mit großem direkten Energiebedarf für Wärme oder Kühlung von Prozessen (Scope 1 ist größer als Scope 2). Der große Ausreißer in den Wertschöpfungsketten-Emissionen (Scope 3) deutet auf ein besonderes Ereignis im Jahr 2022 hin.

Auflösung:

Es handelt sich um den Pharmakonzern Pfizer. Zur Produktion von Medikamenten sind nicht nur große Mengen an eingekauften Komponenten (hohes Scope-3-Niveau) nötig, sondern auch energieintensive Prozessschritte in Produktionsparks (nennenswerte Scope 1 und 2 Mengen).

Wärmeenergie durch Kraftstoffe, Gas oder Öl sind für bestimmte Prozessschritte wichtig, daher ist der direkte Energieverbrauch hoch. Teilweise werden in Chemparks eigene Kraftwerke für Wärme und Strom betrieben.

Besonders prägnant ist aber das Jahr 2022. Der Vertrieb des Corona-Impfstoffes in Kooperation mit Biontech ließ die Emissionen durch eingekaufte Güter und Dienstleistungen schlagartig ansteigen (Ausreißerwert Scope 3).

Fall 2:

Geringe direkte Emissionen (Scope 1) im Vergleich zu den indirekten (Scope 2). Großer Unterschied zwischen marktbasierten und standortbasierten Emissionen (Scope 2), starker Anstieg der Scope-2- und -3-Emissionen in den vergangenen Jahren, nicht aber von Scope 1.

tCO2e20192020202120222023
Scope 181.90055.80064.10091.20079.400
Scope 2 marktbasiert835.500911.4001.823.1002.492.2003.423.400
Scope 2 standortbasiert5.116.9005.865.1006.576.2008.045.4009.252.900
Scope 38.754.0007.600.0008.888.00010.034.00010.812.000

 

Annäherung/Heuristik: Hierbei handelt es sich eher nicht um ein produzierendes, aber um ein großes Unternehmen. Es gibt geringe direkte Emissionen – vermutlich zum Beheizen von Büros und den Betrieb eines Fuhrparks.

Die demgegenüber massiven indirekten Emissionen (Scope 2) weisen aber auf einen hohen Strombedarf hin, sodass der Betrieb von großen und vielen Rechenzentren nahe liegt. Da auch über die Pandemiejahre die Emissionen dort stiegen, scheinen die Dienstleistungen von der Pandemie nicht betroffen gewesen zu sein.

Der große Unterschied zwischen marktbasierten und standortbasierten Emissionen zeigt den Einkauf erneuerbarer Energie im großen Stil.

Auflösung: Es handelt sich um den Big-Tech-Player Alphabet bzw. Google. Das Unternehmen hat im Zuge des KI-Booms massiv Datenzentrenkapazitäten erweitert (Anstieg Scope 2) und kauft in großem Stil erneuerbare Energien ein (marktbasierte Werte sind geringer).

Kapitalinvestitionen, die in der jüngsten Vergangenheit auch wesentliches Thema der finanziellen Quartalsberichte waren (CapEx), beispielsweise der Einkauf von Chips, Elektronik oder Hüllen für Serverparks, führten zu einem Anstieg bei den Upstream-Emissionen (Scope 3).

Fall 3:

Starker Rückgang der direkten (Scope 1) und indirekten (Scope 2) Emissionen in 2020 und 2021, danach starker Wiederanstieg. Die direkten Emissionen sanken stärker als die indirekten und sprangen danach auch stärker wieder hoch.

tCO2e201920202021202220232024
Scope 1909.382614.971503.221901.714993.347921.163
Scope 2 marktbasiert898.696681.456687.042679.506727.414572.653
Scope 2 standortbasiert913.359714.874675.984702.062782.066745.985
Scope 3   10.637.94310.849.252 

 

Annäherung/Heuristik: Es scheint sich trotz hoher Scope-1-Emissionen nicht um ein produzierendes Unternehmen zu handeln, denn in der Industrie fiel die Produktion während Corona nicht schlagartig ab.

Dass die Scope-2-Emissionen weniger stark sanken und auch danach moderater anstiegen zeigt, dass ggf. diversifizierte Aktivitäten mit unterschiedlich starkem Pandemie-Impact durchgeführt werden.

Auflösung: Es handelt sich um das Entertainment-Unternehmen Walt Disney. Disney betreibt neben den Themenparks auch Kreuzfahrtschiffe, die signifikanten Treibstoffverbrauch haben und die während der Pandemie nicht im gewohnten Umfang in Betrieb waren (Abfall Scope 1).

Gleichzeit baute Disney seine TV- und Streaming-Angebote während der Pandemie stark aus, sodass der Stromverbrauch nicht gleichmäßig abfiel (Scope 2). Nach der Pandemie kam es zu Nachholeffekten beim Reisen, die Streaming Abonnenten nahmen jedoch tendenziell ab.

Fall 4:

Extrem hohe Wertschöpfungsketten-Emissionen bei relativ dazu geringen direkten Emissionen.

tCO2e20202021202220232024
Scope 1335.755341.107297.725226.131227.215
Scope 2 marktbasiert422.675365.862367.379389.928393.573
Scope 2 standortbasiert519.589512.458501.745474.715474.155
Scope 3291.462.668285.269.261274.934.685267.433.725

293.303.832

 

Annäherung/Heuristik: Bei Scope-3-Emissionen von mehreren hundert Millionen Tonnen CO2e sind wir im Bereich von Ölkonzernen.

Die im Vergleich dazu aber viel zu geringen direkten Emissionen weisen eher auf ein produzierendes Unternehmen mit energieintensiver vor- oder nachgelagerter Wertschöpfungskette hin. Die bereits erfolgten Reduktionen und ein deutlicher Hinweis auf erneuerbare Energienutzung durch die Differenz zwischen marktbasierten und standortbasierten Scope-2-Emissionen weisen auf ein „etabliertes“ Unternehmen hin.

Auflösung: Es handelt sich um den Kabelproduzenten Prysmian. Das Unternehmen stellt u.a. Strom- und Telekommunikationskabel her, die aus Kupfer und anderen Rohmaterialien gewalzt und verarbeitet werden.

Die großen Scope-3-Emissionen ergeben sich durch die Kategorie „Nutzung der Produkte“. Schicken Energieversorger ihren u.a. aus fossilen Energieträgern gewonnenen Strom durch die Kabel, bilanziert Prysmian diese Emissionen (freiwillig).

Von der Bilanz zur Bewertung

Schon der oberflächliche Blick auf das grundsätzliche Muster kann also einige prägnante Informationen über Unternehmen verraten. Wäre es in der Schottenrock-Wette zulässig gewesen, auch weitere Details wie z.B. die Dicke des Stoffs, die Verarbeitung der Nähte oder den Schnitt zu betrachten, wäre das Auswendiglernen bzw. die Zuordnung der Clans vermutlich leichter gefallen.

Ähnlich verhält es sich mit den Treibhausgasbilanzen. Die methodischen Fußnoten, die rückwirkenden Korrekturen, die einbezogenen Kategorien usw. verraten viel über ein Unternehmen; etwa wie transparent es mit seinem Fußabdruck umgeht und wie „reif“ es in seiner Erhebung ist.

Selbstverständlich gibt es große Qualitätsunterschiede: Manch eine Treibhausgasbilanz befindet sich noch auf dem qualitativen Niveau eines Polyester-Schottenrocks aus dem Kostümladen.

Die obigen Beispiele zeigen, dass Treibhausgasbilanzen keineswegs nur eine regulatorisch erforderliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahme sein müssen und sie trotz allem Erhebungsaufwand und Ungenauigkeiten das Bild eines Unternehmens erweitern.

Dabei können sie auch völlig wertfrei gelesen werden. Die Höhe der Emissionen sagt zunächst nichts darüber aus, ob das Unternehmen gut oder schlecht ist (siehe z.B. der Kabelproduzent Prysmian). Für Entscheidungsträger kann eine genaue Auseinandersetzung mit dem eigenen Fußabdruck und dem der Wertschöpfungskette zukunftsrelevante Risiken und Chancen aufzeigen.

So können steigende Energie- und CO2-Preise, standortspezifische Verfügbarkeit erneuerbarer Energien oder Risiken durch Stromausfälle Unternehmen erheblich belasten - und Möglichkeiten der Dekarbonisierung die Kapitalintensität beeinflussen. Während in der Pharmaindustrie aufwendig ganze Anlagen verändert werden müssen, können Technologieunternehmen auf den Einkauf erneuerbarer Energien zurückgreifen. Hinzu können Implikationen durch Wachstum und Diversifizierung kommen, wie das Beispiel von Disney mit unterschiedlichem Pandemie-Impact gezeigt hat.

Die Treibhausgasbilanz kann daher viele der Informationen aus den klassischen Bilanzen und Berichten ergänzen. Ohnehin ergibt sich nur aus sorgfältiger Finanz- und ESG-Analyse ein umfassendes Bild. Eine Fundamentalanalyse und profunde Unternehmenskenntnis sind als langfristiger Investor wichtig.

Viele Unternehmensanalysten und Portfoliomanager könnten sicher auch anhand der Gewinn- und Verlustrechnung oder des Cash-Flow-Statements die Unternehmen, mit denen sie sich regelmäßig befassen, identifizieren. Wie sieht es aus, Bert F. oder Andreas E. aus K.? Wollen wir wetten?

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