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Bonds in the Spotlight
8 Minuten

Von vier Billionen auf null

- Julian Marx

Die Europäische Zentralbank hat angekündigt, die Anleiheportfolios ihrer Wertpapierkaufprogramme „APP“ und „PEPP“ gegen null laufen zu lassen. Die Folgen.

Mit gigantischen Geldmengen hatte die Europäische Zentralbank (EZB) das Finanzsystem im Zuge der Eurokrise und später in der Corona-Pandemie geflutet. Dabei wandelte sich auch der Werkzeugkasten der Notenbank.

Während die EZB Zentralbankliquidität früher hauptsächlich in Form kurzfristiger Kredite weitergab, installierte sie in den beiden jüngsten Krisen neue (temporäre) Instrumente – allen voran massive (Staats-)Anleihekäufe und gezielte längerfristige Refinanzierungsgeschäfte – und nutzte diese in einem Umfang, der jede frühere Vorstellungskraft sprengte.

Das Ergebnis: Im Juni 2022 erreichte die Eurosystem-Bilanzsumme zwischenzeitlich fast 8.900 Milliarden Euro. Seither arbeitet die EZB an einer behutsamen Rückführung ihrer Bilanzsumme. Mit sichtbaren Erfolgen.

So war die Bilanz des Eurosystems bis zuletzt auf etwas mehr als 6.100 Milliarden Euro abgeschmolzen, und das Ende scheint noch nicht erreicht. Wirft man einen näheren Blick auf die Bilanz und sucht, wo noch überschüssiger Speck an der Hüfte haften könnte, landet man fast zwangsläufig bei den Wertpapieren, die zu geldpolitischen Zwecken gehalten werden. Denn bei fast zwei Drittel der Bilanzsumme handelte es sich um Wertpapiere, die im Rahmen des Programms zum Ankauf von Vermögenswerten (APP) sowie des Pandemiekaufprogramms (PEPP) erworben wurden.

Wie EZB-Ratsmitglied Isabel Schnabel in der vergangenen Woche nun mitteilte, soll das Anleiheportfolio der beiden knapp 4.000 Milliarden Euro schweren Programme perspektivisch auf null heruntergefahren werden. Doch wie können die massiven Wertpapierbestände zurückgeführt werden, ohne Turbulenzen an den Finanzmärkten zu riskieren?

Gut Ding braucht Weile

Die EZB zeigt sich zuversichtlich, dass sie einen störungsfreien Abbau der Wertpapierbestände gewährleisten kann. Ihr Vorhaben klingt schlüssig. Ein wichtiger Aspekt ist in diesem Zusammenhang, dass es sich beim geplanten Abbau der bestehenden Wertpapierbestände nicht um eine „Hau-Ruck“-Aktion handeln soll. Vielmehr ist eine graduelle und vorhersehbare Reduktion der Anleihebestände geplant.

So werden die gehaltenen Wertpapiere derzeit auch nicht aktiv abverkauft, sondern die EZB lässt sie auslaufen. Sie ersetzt also die fällig werdenden Papiere nicht mehr durch den Erwerb neuer Papiere.

Das hat zur Folge, dass sich der Wertpapierbestand in den kommenden zwölf Monaten um rund 520 Milliarden Euro beziehungsweise gut 43 Milliarden Euro pro Monat reduziert. Damit verringert die EZB ihren aktuellen Bestand an APP- und PEPP-Anleihen um durchschnittlich etwas mehr als ein Prozent pro Monat.

Sollte es im Verlauf eines derart planbaren Abbaus zu Störgeräuschen an den Kapitalmärkten kommen, etwa in Form unerwartet und unerwünscht deutlicher Renditeanstiege, hätte die EZB zudem ausreichend Möglichkeiten, um solchen Entwicklungen frühzeitig entgegenzusteuern.

Kein Entzug von Liquidität

Es sei auch gar nicht die Absicht der EZB, sich „zurückzuziehen“ und den Kapitalmärkten die enorme (Überschuss-)Liquidität ersatzlos zu entziehen. Das wäre vermutlich auch nicht ohne massive Störfeuer möglich. Wie groß der Fußabdruck der EZB im Markt ohnehin ist, zeigt sich nicht zuletzt auch daran, dass das Eurosystem jüngst noch immer der mit Abstand größte Gläubiger der Eurostaaten war. Beispielsweise hielt das Eurosystem gut 20 Prozent der italienischen Staatsschulden.

Vielmehr soll sich zukünftig vor allem die Form der Liquiditätsbereitstellung ändern. Dazu wird die EZB ihre kurzfristigen Refinanzierungsgeschäfte zu einem späteren Zeitpunkt durch neue längerfristige Kreditgeschäfte und ein neues Portfolio struktureller Anleihen ergänzen.

Im Unterschied zu den bisherigen Wertpapierkaufprogrammen und den gezielten, längerfristigen Refinanzierungsgeschäften, die wir beispielsweise in der Pandemie gesehen haben, handelt es sich bei den künftigen Instrumenten nicht um zeitlich begrenzte, sondern um dauerhaft implementierte Maßnahmen.

Somit werden beide fortwährend eine stabile Liquiditätsquelle darstellen. Die Liquidität bleibt also da, lediglich die Form der Liquiditätszufuhr verschiebt sich perspektivisch etwas.

Neues Steuerungsinstrument

Bleibt die Frage, wie hoch die Überschussliquidität künftig sein wird. Wie groß dürfte also der künftige Fußabdruck der EZB, gemessen an der Bilanzsumme ausfallen? Genau beantworten lässt sich diese Frage derzeit noch nicht. Klar ist aber, dass die Kreditinstitute mit ausreichend Liquidität vonseiten der EZB unterstützt werden dürften. Dazu hat sich die EZB auch einen intelligenten Mechanismus einfallen lassen, um jederzeit ein angemessenes Liquiditätsniveau auszutarieren.

Während sich also die gigantischen Wertpapierbestände von APP und PEPP Monat für Monat in planbaren Schritten verringern, beobachtet die EZB parallel dazu die Nachfrage nach ihren kurzfristigen Refinanzierungsgeschäften.

Sofern diese Kreditgeschäfte eine steigende Nachfrage nach Notenbankliquidität signalisieren, wäre das eine Art Signal für die EZB, dass sie die schwindenden Anleihebestände der bisherigen Kaufprogramme durch zusätzliche Liquidität aus den neu geschaffenen Instrumenten, den strukturellen längerfristigen Kreditgeschäften und dem strukturellen Anleiheportfolio, kompensieren sollte.

Anreize für Staatsanleihen

Zudem stellt sich die Frage, inwiefern die Staatsfinanzen negativ von einer Reduktion der erheblichen Staatsanleihebestände auf der Bilanz des Eurosystems beeinflusst werden könnten. Immerhin zieht sich schließlich der größte Gläubiger schleichend aus dem Markt zurück. Hier spricht einiges für eine geordnete Nachfrageverschiebung. Zum einen hat die EZB die Möglichkeit, direkt im Rahmen ihres strukturellen Anleiheportfolios zu intervenieren, dessen finale Größe sich später an den erforderlichen Marktbegebenheiten orientieren dürfte.

Zudem könnten Kreditinstitute wieder vermehrt in die Rolle der Staatsanleihekäufer rücken. Anreize dazu gibt es einige: So müssen Banken, die EZB-Liquidität künftig verstärkt über (strukturelle) Refinanzierungsgeschäfte nachfragen, die erhaltenen Kredite besichern. Bei den zu hinterlegenden Sicherheiten kann es sich um Staatsanleihen, Unternehmensanleihen oder sonstige Kredite handeln.

Staatsanleihen weisen dabei in der Regel einen entscheidenden Vorteil zu anderen Sicherheiten auf: Denn jede Sicherheit wird mit einem Abschlag zu ihrem Marktwert bewertet, und dieser Abschlag ist bei Staatsanleihen für gewöhnlich besonders gering.

Insofern könnte die Rolle von Staatsanleihen auf den Bankbilanzen wieder etwas zunehmen, wenn das künftige geldpolitische Regime an praktischer Relevanz gewinnt. Italienische Banken hielten im Jahr 2013 in der Spitze beispielsweise mehr als 30 Prozent der italienischen Staatsschulden. Zuletzt waren es nur noch etwa 20 Prozent. Gut möglich, dass sich dieser Trend in den kommenden Jahren wieder umkehrt.

Alter Wein in neuen Schläuchen

Die EZB-Ankündigung, ihre knapp 4.000 Milliarden Euro an APP- und PEPP-Beständen gegen null laufen zu lassen, klingt also zunächst dramatisch; mit Blick auf die abschmelzende Überschussliquidität im Finanzsystem, aber ebenso hinsichtlich der massiven Staatsanleihebestände, die fortan neue Käufer benötigen.

Doch so schlimm dürfte es wohl nicht werden. Nachdem die EZB in den vergangenen Krisen vorwiegend über unkonventionelle Maßnahmen wie Staatsanleihekäufe agierte, treten künftig gewissermaßen neue, strukturelle Instrumente an die Stelle der bisherigen Kaufprogramme. Diese werden die benötigte Liquidität bereitstellen. Für das Bankensystem, und damit nachgelagert wohl auch für die Staaten.

Dabei begrenzen die neuen Instrumente für sich genommen bereits das Risiko, dass die schleichende Abnabelung von den unkonventionellen Maßnahmen der jüngeren Vergangenheit Verwerfungen nach sich ziehen könnte.

Und sollten diese nicht ausreichen, behält sich die EZB immer noch die Möglichkeit vor, unkonventionelle Maßnahmen wie das sogenannte „Quantitative Easing“ zu reaktivieren, oder das im Sommer 2022 geschaffene „Transmission Protection Instrument“, das ihr theoretisch die Möglichkeit einräumt, unbegrenzt Staatsanleihen einzelner Eurostaaten zu erwerben, erstmals zu aktivieren.

Bei allen Diskussionen um den gegenwärtigen Bilanzabbau und künftige Instrumente hat die Vergangenheit gelehrt, dass der EZB-Bilanzabbau derzeit zwar geordnet und vorhersehbar ablaufen mag. Aber eben nur so lange, wie es die äußeren Umstände zulassen.

Egal ob Eurokrise oder Pandemie: Wenn es die Situation erfordert, entwickelt sich die EZB-Bilanz erfahrungsgemäß äußerst dynamisch, sodass zuvor gesehene Erfolge beim Bilanzabbau in der Historie mitunter kaum mehr als eine Randnotiz waren. So schoss die Bilanzsumme des Eurosystems nach Ausbruch der Pandemie binnen zwei Jahren um mehr als 4.000 Milliarden Euro in die Höhe und verdoppelte sich nahezu.

In Summe bleibt die EZB ihrer geldpolitischen Stoßrichtung der vergangenen Jahrzehnte damit treu und ist sich ihrer Rolle als Kreditgeberin der letzten Instanz unverändert bewusst. So gesehen sollte der dramatisch klingende Abbau der bestehenden Kaufprogramme zumindest auch nicht überbetont werden. Letztlich präsentiert die EZB dieser Tage also vor allem alten Wein in neuen Schläuchen.

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