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"Wir sind noch nicht durch"

Die Notenbanken meinen es ernst im Kampf gegen die Inflation. Die Frage ist: wird das auch reichen? Axel Weber und Thomas Mayer im Gespräch, die Fragen stellt Thomas Lehr.

Es wird viel über Inflationsziele und -prognosen gesprochen. Wo fängt Geldwertstabilität an, wo hört sie auf?

Thomas Mayer: Den allermeisten dürfte es um Kaufkrafterhalt gehen. Ich möchte mir in ein, zwei, sechs oder zwölf Monaten mit meinem Geld noch genau die gleichen Güter kaufen können wie heute. Insofern komme ich nicht ganz mit, wenn die Notenbanken Preisstabilität mit einem Anstieg der Preise um rund zwei Prozent pro Jahr definieren. Ich würde sogar so weit gehen und sagen: Das passt nicht zur Eigentumsgarantie, die im deutschen Grundgesetz verankert ist. Denn die Menschen werden schleichend enteignet. Und das bedürfte eigentlich einer gesetzlichen Regelung. Die gibt es aber nicht ...

Das Inflationsziel von rund zwei Prozent findet sich auch bei der Deutschen Bundesbank. Was wäre denn so schlimm an einer Inflation von 0,8 oder 1,1 Prozent?

Axel Weber: Wichtig ist die Verankerung der langfristigen Inflationserwartungen bei einem numerischen Zielwert, weniger der Zielwert selbst. Die Bundesbank weist denn auch dezent daraufhin, dass das Zwei-Prozent-Ziel die Vorgabe des EZB-Rates ist. Ich habe damals die beiden Runden des Rates, bei denen es um eben diese Definition ging, verpasst. Bei der ersten war ich noch nicht im Rat – bei der zweiten nicht mehr.

Aber wie war dann die Haltung der Bundesbank damals?

Axel Weber:Die Bundesbank hatte vor Einführung des Euros ein niedrigeres Preisstabilitätsziel, basierend auf dem Konzept der unvermeidbaren Inflation. Es gab immer Lohn-Preis-Dynamiken, die bereits im Wirtschaftsprozess angelegt sind und die zu Preissteigerungen führen – etwa durch die Weitergabe der gestiegenen Löhne oder Produzentenpreise durch die Unternehmen. Diese unvermeidbare Inflation wurde damals oft zwischen einem halben und anderthalb Prozent taxiert. Es gab also keinerlei Verankerung bei einem fixen Wert von zwei Prozent.

"Viel wichtiger ist aber die Antwort auf die Frage, wie es sein konnte, dass die Notenbanken die Inflation haben auf zehn Prozent laufen lassen? Das ist schon ein eklatantes Versagen, ganz gleich, ob der Zielwert bei null, ein oder zwei Prozent liegt." - Axel Weber

Woher kommt dann der internationale Standard, woher kommen die zwei Prozent?

Axel Weber: Er ist das Resultat einer Evolution von 20 Jahren Notenbankpolitik, insbesondere der Einsicht, dass regelgebundene Geldpolitik besser ist als diskretionäre. Ich würde mich – aus heutiger Perspektive – aber nicht so sehr mit der Definition aufhalten. Ja, mein persönlicher Zielwert läge unter zwei Prozent und hätte eine Spannweite, die zwei Prozent beinhaltet, etwa null bis zwei Prozent; das ist übrigens die Preisstabilitätsnorm in der Schweiz, wo ich die vergangenen zehn Jahre gelebt und gearbeitet habe. Viel wichtiger ist aber die Antwort auf die Frage, wie es sein konnte, dass die Notenbanken die Inflation haben auf zehn Prozent laufen lassen? Das ist schon ein eklatantes Versagen, ganz gleich, ob der Zielwert bei null, ein oder zwei Prozent liegt. Was jetzt wichtig ist, ist das erklärte Preisstabilitätsziel glaubwürdig wieder einzuhalten und nicht, das Ziel selbst zu diskutieren oder gar zur Disposition zu stellen.

Wo genau lag das Versagen der Notenbanken? Zwischen 2012 und 2020 hatten wir Preisstabilität – trotz der sehr expansiven Geldpolitik.

Axel Weber: Mich hat die extrem expansive Geldpolitik in der Folge der Finanzkrise mit Negativzinsen und massiver Bilanzausweitung der Notenbanken massiv gestört, insbesondere die dahinterstehende Haltung, die vermeintliche Alternativlosigkeit, mit der sie deklariert wurde. Die Notenbanken haben die Märkte mit Geld überflutet und die Kosten der Verschuldung nicht nur eliminiert, sondern Schuldenmachen sogar subventioniert; das konnte nicht ewig gut gehen. Heute sehen wir die Spätfolgen dieser Politik.

Aber wieso war Inflation so lange kein Thema?

Axel Weber: Es brauchte einen Auslöser – die Lieferkettenprobleme und die massiven staatlichen Einkommenstransfers infolge der Pandemie und den Krieg in der Ukraine. In Finanzkrisenzeiten wollte niemand Kritik an den Notenbanken hören, weil die Angst vor einer Deflation groß war, fast schon paranoid. So wurde über viele Jahre eine sehr expansive Geldpolitik zementiert.

Thomas Mayer: Der Inflationsdruck hat sich auch schon früher aufgebaut, wenngleich nicht für jedermann sofort erkennbar – über die Vermögenspreise, Immobilien beispielsweise. An dem Vermögenspreisindex, den wir als Flossbach von Storch Research Institute regelmäßig veröffentlichen, ließ sich das sehr gut nachvollziehen – der ist in den vergangenen Jahren von einem Höchststand zum nächsten geeilt.

Wie kommen wir von der Inflation wieder runter?

Axel Weber: Es wird nicht ohne eine deutliche Wirtschaftsabkühlung funktionieren. Ein sogenanntes Soft Landing, wie so oft geschrieben wird, ist meines Erachtens reines Wunschdenken. Insofern reichen die Zinsanhebungen der Notenbanken in den vergangenen Monaten womöglich noch nicht aus. Die Kerninflationsraten sind noch intolerabel hoch, Zweit-Runden-Effekte und adverse Lohn-Preis-Dynamiken können nicht ausgeschlossen werden. Hier gibt es sicher noch Handlungsbedarf.

Der eine oder andere fürchtet, die Notenbanken würden es im Kampf um die Inflation übertreiben ...

Axel Weber: Ich fürchte eher, sie tun nicht genug.

Thomas, Du hast einmal gesagt, die Notenbanken seien mit dem falschen GPS unterwegs. Als Außenstehender fragt man sich: Warum bemerken die das nicht?

Thomas Mayer: Ich glaube, das hat sich so eingeschlichen. In den 1970er-/80er-Jahren war Inflation das große Thema, auch im wissenschaftlichen Diskurs. Die sogenannten Monetaristen hatten Auftrieb. Von Milton Friedman, ihrem wichtigsten Vertreter, stammt denn auch der bekannte Satz, sinngemäß, dass Inflation immer Ergebnis einer allzu großzügigen Geldpolitik sei. Kurzum: Es ist Vorsicht geboten, wenn die Notenbanken die Geldschleusen sehr weit öffnen! Als die Inflation dann runterkam, in den 90er-Jahren, und auch nicht mehr zu steigen schien, gewannen die Keynesianer Oberwasser, auch innerhalb der volkswirtschaftlichen Abteilungen der Notenbanken. Die Deflation wurde – gegenüber der Inflation – als das weit größere Übel betrachtet. Was sicherlich damit zusammenhing, dass Keynes seine General Theory aus den Erfahrungen der Großen Depression in den 1930er-Jahren heraus verfasst hatte. Insofern haben sich die Koordinaten der Geldpolitik in den vergangenen Jahrzehnten verschoben, mit dem Ergebnis, dass die Inflation lange Zeit unterschätzt wurde. Jetzt haben wir den Schlamassel ...

Axel Weber:  Ich vergleiche die Notenbanken gerne mit einem Flugzeug, das fünfmal so hoch fliegt als es sollte, weil der Autopilot, weil die Instrumente (Anm. der Red.: gemeint sind primär die Inflationsprognosen) versagt haben. Das ist zwar noch nicht hoch genug, um in der Stratosphäre mit den Satelliten zu kollidieren, aber es ist deutlich oberhalb der herkömmlichen Flughöhe. Worauf ich hinauswill: Jetzt ein Soft Landing mit denselben defekten Instrumenten zu erwarten, erscheint mir riskant. Es wäre fahrlässig, die Landung mit defektem Autopiloten zu probieren. Jeder Pilot, jede Pilotin täte stattdessen gut daran, den Autopiloten abzuschalten, nach vorne aus dem Fenster zu schauen, auf Sicht zu navigieren und mit gesundem Menschenverstand und Flugerfahrung zu manövrieren.

Sie treffen die EZB-Pilotin, Christine Lagarde, regelmäßig – und auch Fed-Chef Jerome Powell. Was sagen die denn zum Flugverhalten der Notenbanken?

Axel Weber: Ich werde Ihnen dazu leider keine Details nennen können. Vielleicht so viel: Die Modellgläubigkeit in den volkswirtschaftlichen Abteilungen war lange Zeit sehr groß. Das scheint sich nun ein Stück weit zu ändern – was ein gutes Zeichen ist.

Wenn ein Soft Landing nicht funktioniert, könnte ein Hard Landing schmerzhafte Folgen haben ...

Thomas Mayer: Die Befürchtung habe ich. Wenn mir jemand gesagt hätte, 2020 oder 2021, dass die EZB ihren Leitzins innerhalb kürzester Zeit von null auf vier Prozent „reißen“ würde, und die US-Fed von etwas über null auf mehr als fünf, dann hätte ich einen „Rumms“ erwartet. Bislang ist aber nicht allzu viel passiert – einige US-Regionalbanken hat es getroffen, dazu die Credit Suisse, wobei die ihre ganz eigenen Probleme hatte. Mehr nicht. Die Risikoaufschläge für italienische Staatsanleihen beispielsweise – alles im Rahmen. Nichts, was besorgniserregend wäre. Ich finde das beunruhigend, weil es mich ein wenig an die Krise auf dem US-Subprime-Markt erinnert. 2004 hatte Alan Greenspan, der damalige US-Notenbankchef, begonnen, die Zinsen anzuheben. Die Wirtschaft boomte – da würde nichts passieren, hieß es. 2006/07 poppten dann die Probleme auf dem US-Hypothekenmarkt auf. 2008 ging Lehman Brothers Pleite. Ich habe nicht das Gefühl, dass wir diesmal schon durch sind.

Axel Weber: Ich sehe das ähnlich. Wir stehen am Anfang der geldpolitischen Normalisierung. Auch wenn die Zinsen sehr schnell angehoben wurden, braucht es eine Weile, bis die Wirkung der Anpassungen voll durchschlägt – und das wird unangenehme Nebenwirkungen haben, sowohl bei der Konjunktur wie auch bei der Finanzstabilität. Die Normalisierung der aufgeblähten Notenbankbilanzen steht weitgehend noch aus. Deswegen stört es mich, dass allenthalben so getan wird, als verlaufe alles streng nach Plan. Es ist ein wenig so wie bei einem Fallschirmspringer, der ohne Fallschirm aus dem Flugzeug spring und ruft: „Bis hierher ist alles in Ordnung!“

Woher kommt dann der Optimismus bei vielen Marktbeobachtern?

Axel Weber: Bislang haben die Notenbanken „nur“ den Zins angefasst, um die Inflation in den Griff zu bekommen. Der Bilanzabbau der Notenbanken hat noch nicht richtig angefangen. Die langfristigen Auswirkungen auf Kreditkonditionen, Liquidität in den Märkten und Profitmargen von Unternehmen sind noch nicht voll sichtbar. Womöglich ist das dem ein oder anderen noch gar nicht so recht bewusst.

Was verstehen Sie denn unter „richtig anfangen“?

Axel Weber: Die Notenbanken haben den Märkten in Summe bisher kaum Liquidität entzogen, im Gegenteil. Als in den USA einige Regionalbanken drohten umzukippen, wurde erneut massiv Krisenliquidität in das Finanzsystem gepumpt. Die Notenbankbilanzen sind mittlerweile gewaltig – und müssen reduziert werden.

Thomas Mayer: Die Notenbanken haben sich von den Regierungen in eine Rolle drängen lassen, die ihnen eigentlich gar nicht zusteht: Ganz gleich, welche Krise es zu bekämpfen gilt, die Notenbanken drucken Geld! Ausbaden müssen es am Ende die Bürger. Die Kaufkraft ihrer Einkünfte und Geldersparnisse schmilzt wie Schnee an der Sonne, und die Verluste aus den Wertpapierkäufen mindern die Staatseinnahmen. Die Bürger sind wehr- und hilflos, solange sie nicht verstehen, was Politiker und Bürokraten mit ihrem Geld anstellen.

Prof. Dr. Axel A. Weber berät den Vorstand von Flossbach von Storch. Er war unter anderem von 2004 bis 2011 Präsident der Deutschen Bundesbank und danach für rund zehn Jahre Präsident des Verwaltungsrats der UBS. Prof. Dr. Thomas Mayer ist Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute. Thomas Lehr ist Kapitalmarktstratege bei Flossbach von Storch. Der Beitrag stammt aus dem Magazin „Position“, das Sie hier kostenfrei abonnieren können.

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