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Gesellschaft
3 Minuten

Glück im Unglück

- Julian Marx

Die Zinsen steigen und die Schulden bewegen sich auf hohen Niveaus. Trotz dieser schwierigen Gemengelage gibt es auch positive Nachrichten für Kreditnehmer.

Was für ein Schuldenberg! Ende vergangenen Jahres beliefen sich die US-Staatsschulden auf gut 30 Billionen US-Dollar. In der Eurozone waren es 11,7 Billionen Euro. Damit aber nicht genug: Die US-Privathaushalte hatten Ende vergangenen Jahres rund zwölf Billionen US-Dollar an Immobilienkrediten ausständig. Kredite und Schuldverschreibungen von Unternehmen des Euroraums schlugen Ende 2021 mit 13,7 Billionen Euro zu Buche.

Umso größer scheinen die Sorgen, wenn die Zinsen steigen. Staaten, Unternehmen und Bürger könnten zunehmend in Zahlungsschwierigkeiten geraten, weil sie sich ihre Schulden nicht mehr leisten können. Bereits im Juni ist die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen, die im März diesen Jahres zeitweise negativ war, in der Spitze auf knapp 1,8 Prozentpunkte gestiegen – mit entsprechenden Auswirkungen auf die Zinsen für Immobilien- und Unternehmenskredite.

Lang, länger, Baugeld

Immobilienkredite sind der mit Abstand größte Schuldenblock der Haushalte. In Deutschland standen sie zuletzt für gut drei Viertel der gesamten Haushaltsschulden. Insofern vermittelt ein Blick auf die Zusammensetzung der Immobilienkredite ein gutes Gefühl für die Zinssensitivität bestehender Haushaltsschulden.

Und hier zeigt sich: In Ländern wie Deutschland oder den USA, in denen üblicherweise festverzinsliche Immobilienkredite vergeben werden, sind lange Kreditlaufzeiten die Regel. Beispielsweise hatte in Deutschland knapp die Hälfte aller im Jahr 2021 vergebenen Wohnungsbaukredite eine Laufzeit von mehr als zehn Jahren. Zum Vergleich: Im Jahr 2010 wählten nur rund 30 Prozent der Immobilienkreditnehmer derart lange Laufzeiten. Insofern dürften hierzulande die meisten Eigenheimbesitzer erst mit einem deutlichen Zeitverzug unter steigenden Zinsen leiden, wenn überhaupt. Zudem dürften viele bei einer anhaltend hohen Inflation von Lohnerhöhungen profitieren. Folglich ist nicht damit zu rechnen, dass die anziehenden Bauzinsen unmittelbar zu einer breitflächigen Be- oder Überlastung bei den deutschen Haushalten führen.

Gleiches gilt für die weltgrößte Volkswirtschaft USA. Hier betrug die durchschnittliche Laufzeit bei Kreditabschluss in den vergangenen Jahren mehr als 26 Jahre. Zudem haben zahlreiche Eigenheimbesitzer von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, ihren Altkredit vorzeitig abzulösen. Beispielsweise handelte es sich im Februar 2021 bei drei von vier vergebenen US-Immobilienkrediten um eine vorzeitige Refinanzierung eines Altkredits. Somit konnten die Eigenheimbesitzer von den historisch günstigen Zinskonditionen seit Pandemiebeginn profitieren. Für einen 30-jährigen Immobilienkredit mussten US-Haushalte im Zinstief nach Pandemiebeginn durchschnittlich weniger als drei Prozent an jährlichen Zinsen zahlen. Der starke Anstieg der Hypothekenzinsen dürfte daher nur wenige belasten (vgl. Grafik 1).

Teure Hauskredite

Höhere Preise, mehr Umsatz

Im Vergleich zu Immobilienkrediten ist die Restlaufzeit bei Unternehmensschulden in der Regel kürzer. Aus einem einfachen Grund: Die Investitionszyklen von Unternehmen dauern zumeist nicht so lang. Maschinen oder Lagerhallen müssen sich oft nach wenigen Jahren amortisieren, während eine Investition ins Eigenheim in der Regel über mehrere Jahrzehnte abgetragen werden kann. Und kürzere Restlaufzeiten bei Unternehmensschulden bedeuten in Zeiten wie diesen, dass Firmen einem höheren Zinsänderungsrisiko ausgesetzt sind.

Für einzelne Unternehmen könnten die jüngsten Zinsanstiege in den kommenden Jahren also bedrohlich werden. Allerdings lässt sich ein derart düsterer Ausblick keinesfalls auf die breite Masse der Unternehmen übertragen; schon gar nicht auf Unternehmen mit einer geringen Verschuldung. Es stimmt zwar, dass steigende Zinsen kurz- bis mittelfristig zu höheren Kosten bei Unternehmen führen dürften. Gleichzeitig sehen wir diese Zinsanstiege aber nur aufgrund der außerordentlich hohen Inflationsraten. Und „Inflation“ heißt nichts anderes, als dass die Verbraucherpreise steigen, also viele Unternehmen ihre Preise offenbar anheben können und so ihre Umsätze steigern.

Schon jetzt stehen nicht mehr nur die Verteuerungen bei Öl und Gas im Fokus, sondern Verbraucher müssen für viele Produkte tiefer in die Tasche greifen. Eine solche breitgetragene Inflation lässt die Unternehmensumsätze branchenübergreifend anwachsen. So ist es auch kein Zufall, dass die US-Einzelhandelsumsätze in den Monaten Januar bis Mai dieses Jahres um 31 Prozent höher ausfielen als im gleichen Zeitraum 2019, also im Jahr vor der Pandemie (vgl. Grafik 2).

Inflation: Rückenwind für die nominalen Unternehmensumsätze

Und während die Umsätze (inflationsbedingt) steigen, verharren die Altschulden auf ihren festgelegten Kreditbeträgen. Die Schuldentragfähigkeit so mancher Unternehmen dürfte sich so sogar verbessern.

Mehr Inflation, höhere Steuereinnahmen

Was für Unternehmen und Haushalte gilt, lässt sich auch ohne Weiteres auf die Staaten übertragen. Umsatzinflation bei den Unternehmen und Lohninflation bei den Haushalten vergrößern die Einnahmenbasis für die Staaten. Denn Unternehmens-, Lohn- oder Mehrwertsteuer wachsen einfach mit. Im Verhältnis zu den (nominal) wachsenden Staatseinnahmen sinken also auch bei den Staaten die Altschulden. Vorausgesetzt, die Zinsbelastung steigt in geringerem Umfang als die inflationsgetriebene Einnahmenseite. 

Insbesondere hochverschuldete Staaten müssen daher keineswegs die Verlierer der gegenwärtig steigenden Zinsbelastung sein, sondern könnten sich sogar als Gewinner herauskristallisieren. Denn solange die Inflationsraten weiter das Zinsniveau übersteigen, setzt sich diese Altschuldenentwertung Jahr für Jahr fort.

Sichere Verlierer einer Phase anhaltend höherer Inflationsraten sind hingegen diejenigen, die ihr Geld in Zinsanlagen parken. Reicht doch der Zinsertrag nicht aus, um den inflationsbedingten Kaufkraftverlust auszugleichen. Auch wenn daher im Euroraum das Ende der Negativzinsen bevorsteht, eignet sich das Sparbuch nicht zur langfristigen Geldanlage.

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