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Stabile Seitenlage

- Thomas Lehr

Krieg, Inflation, Energie- und Klimawende. Diese Liste ließe sich sicher noch erweitern. Die Vielzahl der Krisen, die sich zum Teil gegenseitig verstärken, ist eine historische Herausforderung. Seit mehr als einem Jahr hat sich an diesen Themen (leider) kaum etwas geändert. Immerhin: Unter dem Strich kann man zumindest von einer vorsichtigen Stabilisierung sprechen. Das gilt zum einen für die Inflationsraten, die immerhin nicht mehr weiter steigen und in Deutschland derzeit knapp über dem Niveau von September verharren. Auf dem September-Niveau stabilisieren sich auch die Renditen und damit die Kurse langlaufender Anleihen. Auch die Aktienmärkte haben sich seit Herbst erholt. Wie ist die aktuelle Lage an den Märkten und der Ausblick? Ein Gespräch mit dem Portfoliomanager Tobias Schafföner und dem Kapitalmarktstrategen Thomas Lehr.

Thomas Lehr: Auch wenn es zuletzt wieder etwas ruppiger an den Börsen zuging, konnte man seit Herbst eine Beruhigung beobachten. An den Aktienmärkten gilt das unter anderem für Deutschland, aber auch für das restliche Europa. Also für die Regionen, in denen die Sorgen im vergangenen Sommer am größten waren. Tobias, was meinst Du – sehen wir an den Märkten gerade die Erleichterung darüber, dass wir sehr viel besser durch den Winter gekommen sind als befürchtet?  

Tobias Schafföner: Man kann aus heutiger Sicht wohl sagen, dass Europa konjunkturell gut durch den Winter gekommen ist. In Teilen ist das natürlich schlicht dem Wetter geschuldet. Es ist schon faszinierend, wenn man sich die Gaspreise ansieht. Die Entspannung in den vergangenen sechs Monaten ist beachtlich, seit August sind sie in Europa um mehr als 80 Prozent gefallen. Heute haben wir Preise, die sogar noch einmal deutlich tiefer liegen als vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine.

Thomas Lehr: Eine sehr wichtige Entwicklung. Denken wir nur mal an die Risikoszenarien von Blackouts bis hin zu Produktionsstopps, die glücklicherweise nicht eingetroffen sind. Auch wenn der Krieg Russlands gegen die Ukraine weiter andauert und kein Ende absehbar ist.

Tobias Schafföner: Wenn wir darüber sprechen, was sich im Vergleich zum Herbst des vergangenen Jahres verbessert hat, dann müssen wir auch über China sprechen. Xi Jinping hat eine echte Kehrtwende hingelegt. Auf eine radikale Zero-Covid-Politik folgte die vollständige Öffnung des Landes, auch wenn dazu beim Parteitag im November noch nichts gesagt wurde.

Thomas Lehr: Wobei wir den sogenannten „Faktor China“ und damit mögliche Investments in China nicht grundsätzlich neu bewerten. In dem Land gibt es zahlreiche politische Risiken, nicht nur, wenn wir an das Verhältnis zu Russland oder die Spannungen mit Taiwan denken. 

Tobias Schafföner: Bei Anlagen in China müssen wir eine gewisse Risikoprämie einkalkulieren. Da geht es nicht nur um die Weltpolitik, Ost gegen West, das neue Blockdenken. Ein weitgehend beliebiges Agieren eines Alleinherrschers hat immer ein enorm hohes Risikopotenzial, auch wenn wir hier nur in Kategorien wie Rechtssicherheit denken.

Thomas Lehr: Andererseits müssen wir auch festhalten, dass die Entspannung bei den Lieferketten der globalen Wirtschaft hilft. Damit verliert ein Inflationstreiber an Gewicht.

Tobias Schafföner: Das ist sicher so. Viel wichtiger für die „Headline-Inflation“, also die Preissteigerungen aller für die Volkswirtschaft relevanten Produkte und Dienstleistungen, ist aber Energie. Wir gehen davon aus, dass wir durch den Rückgang der Energiepreise ab März signifikant negative Inflationsbeiträge der entsprechenden Index-Komponenten sehen werden.

Thomas Lehr: Das ist leider kein Grund zur Entwarnung. Es gibt immer noch viele strukturelle Faktoren, die sehr viel träger und nachhaltiger wirken als die Kosten für Öl, Gas und Strom. Das lässt sich nicht zuletzt an der jüngsten Lohnentwicklung und noch sehr viel deutlicher an den aktuellen Lohnforderungen ablesen …

Tobias Schafföner: … weswegen wir auch schon länger vor überzogenen Erwartungen mit Blick auf bald wieder fallende (Leit-)Zinsen warnen. Wenn die Kerninflation hartnäckig auf höheren Niveaus bleibt, sollte man nicht damit rechnen, dass das höhere Zinsniveau sehr schnell wieder rückabgewickelt wird.

Thomas Lehr: Das ist ein Marktumfeld, das für Anleger natürlich auch die eine oder andere Chance bieten kann. Lass uns mal bei den Zinsen bleiben: Für deutsche Bundesanleihen mit einer Restlaufzeit von einem Jahr erhält man jetzt wieder eine Rendite von drei Prozent. Vor einem halben Jahr lag der Satz noch bei 0,5 Prozent.

Tobias Schafföner: Das sind Renditen, die wir zuletzt vor 15 Jahren gesehen haben. Insofern haben wir unsere Positionen in kurzlaufenden Bundesanleihen auch ausgebaut.

Thomas Lehr: Sehr sicherheitsorientierte Anleger fragen sich schon: Warum eigentlich nicht alles in solche Bundesanleihen investieren? Wozu sind noch Aktien nötig?

Tobias Schafföner: Und diese Fragen sind natürlich auch berechtigt, zumindest auf den ersten Blick. Die relative Attraktivität von Anleihen ist jetzt viel höher als in den vergangenen Jahren. Angesichts der hartnäckig hohen Inflation gehen wir aber dennoch davon aus, dass „risikolose“ Staatsanleihen kaum ausreichen dürften, um die Kaufkraftverluste auszugleichen.

Thomas Lehr: Werden wir doch etwas deutlicher: Die Attraktivität einer Rendite von drei Prozent für ein Jahr, in dem die Preise um (mindestens) fünf Prozent steigen, unterscheidet sich nicht von der eines „Verwahrentgelts“ von -0,5 Prozent bei einer Inflation von 1,5 Prozent. Ich verliere in beiden Fällen etwa zwei Prozent Kaufkraft. Viele Zins-Fans schauen deshalb in die USA. Hier ist die Notenbank schon ein paar Schritte weiter. Kurzlaufende US-Staatsanleihen rentieren dort sogar wieder bei fünf Prozent.

Tobias Schafföner: Das ist richtig. Wenn man aber als Euro-Anleger US-Staatsanleihen als risikoreduzierende Anlagen in einem Portfolio einsetzen möchte, muss man bedenken, dass es ein Währungsrisiko gibt. Und wenn ich mich gegen Schwankungen am Devisenmarkt absichern möchte, zahle ich dafür aktuell rund zwei Prozent. Trotz einer sicheren Anleiherendite von fünf Prozent bleiben in Summe also nur die drei Prozent übrig, die wir bei vergleichbaren Anleihen in Euro bekommen. Es gibt in der Geldanlage nun mal leider keinen „free lunch“, wie der US-Ökonom Milton Friedman einmal gesagt hat.

 Thomas Lehr: Gehen wir eine Risikostufe höher. Mit Unternehmensanleihen lassen sich natürlich deutlich höhere Renditen erzielen …

Tobias Schafföner: … dafür ist das Risiko aber je nach Qualität der Emittenten auch schon eher im Bereich von Aktien.

Thomas Lehr: Dann lass uns doch in Richtung Aktienmarkt schauen. Vonseiten der Unternehmen gab es zuletzt einige positive Nachrichten.

Tobias Schafföner: Insgesamt könnte man das als übergeordnetes Fazit der jüngsten Berichtssaison sicherlich so stehen lassen.

Thomas Lehr: Dass wir trotz steigender Unternehmensgewinne über das vergangene Jahr in der Breite Kursrückgänge gesehen haben, heißt demnach, dass es einen enormen Druck auf die Bewertungen gegeben hat.

Tobias Schafföner: Im Rückblick verwundert das auch nicht. Wir haben ja gerade über die Alternative gesprochen. Die Renditen, die Anleger mit Anleihen erwirtschaften können, sind für die Attraktivität von Aktien nicht irrelevant. Auch wir haben in den vergangenen Wochen und Monaten sukzessive Anleihepositionen aufgebaut und die Aktienquoten im Umkehrschluss etwas abschmelzen lassen.

Thomas Lehr: Dein Beispiel aus der Praxis zeigt ganz gut,dass etwas niedrigere Aktienquoten nicht automatisch als ein Ergebnis zunehmender Skepsis zu deuten sind. Umso spannender ist ein Blick in die Zukunft. Wie ist Dein Ausblick? Themen wie Gasmangel und China dürften die Konjunktur jetzt ja weniger belasten. Kommt bald, mit Blick auf die Wirtschaft, die Entwarnung?

Tobias Schafföner: So weit würde ich noch nicht gehen. Ich würde aber sagen, dass sich der Risikofokus verändert hat. Es bleibt ein sehr relevantes Risiko für die Realwirtschaft und das ist das veränderte Zinsumfeld. Es ist nun einmal so, dass die Geldpolitik erst mit Verzögerung von vielen Monaten wirkt. Dann entfalten die höheren Zinsen ihren bremsenden Effekt. Das lässt sich etwa auf den Immobilienmärkten sehen, wo sich steigende Kreditkosten zunächst auf die Nachfrage und dann früher oder später auf die Preise auswirken. Der Balanceakt für die Notenbanken besteht darin, die Zinsen so weit anzuheben, dass es die Wirtschaft ausreichend bremst – um die Inflation zu senken, ohne, dass es zu einer tiefen Rezession kommt.

Thomas Lehr: Bleibt die Frage, was das für den Aktienmarkt bedeutet. Wir sehen weiterhin Kursschwankungen. Insbesondere nach neuen Inflationszahlen, die Einfluss nehmen auf die geldpolitischen Erwartungen der Marktteilnehmer.

Tobias Schafföner: Wenn man davon ausgeht, dass die Zinswende nicht so schnell wieder rückabgewickelt wird, wie sich manche erhoffen, hat das natürlich Konsequenzen. Der „Bewertungsrückenwind“ durch niedrige Zinsen, den wir viele Jahre am Aktienmarkt gesehen haben, ist Geschichte. Und möglicherweise dauert die Flaute länger, als allzu optimistische Investoren zuletzt erwartet haben.

Thomas Lehr: Richtig ist aber auch: Die Kurspflege der Notenbanken, die wir viele Jahre gesehen haben, erklärt nur einen Teil der Kursentwicklung. Jetzt verschiebt sich der Fokus wieder – zurück auf die Gewinne. Und wir haben gesehen, dass „unsere“ Unternehmen ihre Gewinne auch in Inflationszeiten steigern konnten. Das ist ein wichtiges Kriterium bei unserer Aktienauswahl.

Tobias Schafföner: Das ist ein ganz entscheidender Punkt. Inflation bedeutet eben auch immer eine Inflationierung der Unternehmensgewinne – auch wenn sich daraus kurzfristig leider keine Kursprognosen ableiten lassen.

Thomas Lehr: Kurzfristige Kursprognosen sicher nicht. Aber langfristig folgen die Aktienkurse der Gewinnentwicklung. Insofern ist die „Inflationierung der Unternehmensgewinne“ für einen Ausblick ja ein ganz entscheidender Punkt. Und um dem noch etwas Positives auf der Anleiheseite hinzuzufügen: Es gibt wieder einen Zins! Der reicht in Europa zwar noch nicht aus, um die Inflation zu schlagen. Aber Anleihen bieten in zunehmendem Maße wieder eine Alternative – zumindest, was die Stabilisierungs- und Diversifikationseffekte im Portfolio angeht.

 

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