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Von Zöllen, Zahlen – und trügerischer Sicherheit

- Flossbach von Storch

In diesem Monat treten für viele US-Handelspartner neue Importzölle in Kraft. Im Interview warnt Kapitalmarktstratege Thomas Lehr vor vermeintlichen Gewissheiten – und waghalsigen Interpretationen.

15 Prozent für die EU-Staaten, 39 Prozent für die Schweiz. Nach langen Verhandlungen gelten für viele US-Handelspartner neue und meist höhere Importzölle. Was sind die Folgen?

Thomas Lehr: Die sicherste Folge lässt sich seit einigen Monaten im täglichen Finanzbericht des US-Finanzministeriums ablesen. In diesem Jahr haben die USA bislang 128 Milliarden US-Dollar an Zöllen eingenommen. Das sind 72,5 Milliarden US-Dollar mehr als letztes Jahr um diese Zeit.

Bei einem jährlichen Importvolumen von knapp 3,5 Billionen US-Dollar klingt das aber eigentlich nach gar nicht so viel.

Stimmt, auch wenn die Zölle erst seit einigen Monaten erhoben werden, ist das weniger als viele von uns wohl vermuten würden. Man darf aber nicht vergessen, dass ein Drittel der Importe der USA aus Mexiko und Kanada kommen, die durch das bestehende Freihandelsabkommen USMCA weitgehend geschützt sind. Weil beispielsweise 85 Prozent der kanadischen Exporte in die USA zollfrei sind, liegt der effektive Zollsatz für Kanada gerade einmal bei 2,4 Prozent …

… obwohl der Standardzollsatz für Waren aus Kanada, die nicht unter das USMCA fallen, bei 25 Prozent liegt.

So ist es. Ähnlich sieht es bei Mexiko aus. Hier liegt der effektive Zollsatz bei vier Prozent und damit ebenfalls deutlich unter dem Standardzoll. Und wenn knapp für ein Drittel der US-Importe der effektive Zollsatz die Marke von 2,4 – beziehungsweise 4 Prozent – nicht übersteigt, überrascht es nicht, dass der effektive Zollsatz insgesamt – also der auf alle US-Importe – gerade einmal bei knapp über neun Prozent liegt. Diese Zahlen sind aktuell, stammen aber von Ende Juni. Daher sind in den Zahlen die „Deals“ mit Japan und der EU, die jetzt erst greifen, noch nicht abzulesen.

Dennoch – die zusätzlichen 72 Milliarden US-Dollar in den Kassen des US-Finanzministeriums gegenüber dem Vorjahr müssen ja von irgendjemandem gezahlt worden sein.

Technisch gesehen wird der Zoll vom demjenigen gezahlt, der die Ware über den US-Zoll ins Land bringt – also in der Regel vom Importeur. Entscheidend ist aber, wer die Last am Ende trägt. Sie kann beim Importeur bleiben, an Produzenten im Ausland weitergegeben oder an Endkunden durch höhere Preise abgewälzt werden. Genau hier beginnt die eigentliche Analyse: Wer trägt wie viel – und welche Folgen hat das für Unternehmensgewinne, Preise und die Inflation? Schätzungen gehen etwa von 0,4 Prozentpunkten zusätzlicher Inflation und rund 100 Milliarden US-Dollar Belastung bei Unternehmensgewinnen aus.

Alles in allem klingt das nach ziemlich genauen Zahlen. Doch Sie schütteln den Kopf?

Erstens ist die Berechnungsgrundlage instabil – fast täglich werden neue Zolldrohungen veröffentlicht und Abkommen infrage gestellt. Zweitens ist die Rechnung komplex: Wie Unternehmen und Verbraucher reagieren, ist noch kaum absehbar. Wer jedoch den Effekt auf Preise und Inflation falsch einschätzt, liegt fast automatisch auch bei den Unternehmensgewinnen daneben.

Das bedeutet?

Der entscheidende Punkt ist: Selbst, wenn klar wäre, dass höhere Zölle die Gewinne um beispielsweise 78 Milliarden US-Dollar drücken werden, wüsste niemand, wovon dieser Betrag abzuziehen wäre oder worauf man ihn aufschlagen sollte – doch ohne diesen Kontext bleibt es ein isolierter Wert ohne Aussagekraft.

Dennoch scheint unbestritten, dass die Gewinne der Unternehmen sinken und die Inflation steigen wird. Beides klingt nach einem erheblichen Nachteil für die Geldanlage.

Stimmt – allerdings nur, wenn der Effekt durch die Zollthematik isoliert betrachtet wird. In der Realität wirken jedoch unzählige andere Variablen. Bekannte und noch unbekannte. Variablen, die diesen Effekt überlagern, verstärken oder sogar ins Gegenteil verkehren können. Denken wir beispielsweise an die Wechselkursbewegungen in diesem Jahr. Oder an den ungebremsten Investitionsschub im Bereich Künstliche Intelligenz, der die Aktienmärkte bislang befeuert hat. Oder aber an die steuerlichen Impulse durch Donald Trumps ‚Big Beautiful Bill Act‘. Ein Gesetz, das Schätzungen zufolge allein in diesem Jahr für drei Viertel der S&P-500-Unternehmen Steuerersparnisse von etwa 150 Milliarden US-Dollar bringt. Wer also nur den Zolleffekt betrachtet, blendet diesen größeren Kontext aus.

Könnte insbesondere dieser steuerliche Effekt die Auswirkungen der Zölle kompensieren?

Gesamtwirtschaftlich gesehen auf jeden Fall. Ich denke sogar, dass die Steuererleichterungen in Summe mehr für die Unternehmensgewinne bringen könnten, als die Zölle diese belasten dürften.

Aber?

Selbst wenn sich Zölle und Steuervorteile auf gesamtwirtschaftlicher Ebene neutralisieren, können die Auswirkungen auf Einzelwerte gravierend sein – etwa, weil andere Unternehmen von höheren Zöllen betroffen sind als sie von Steuererleichterungen profitieren.

Was sich also makroökonomisch ausgleichen könnte, kann auf Unternehmensebene dennoch zu starken Effekten führen?

Genau. Natürlich versuchen wir, die Effekte so gut wie möglich zu quantifizieren – alles andere wäre fahrlässig. Man muss sich aber bewusst sein, dass jede Zahl immer nur einen kleinen, zudem unsicheren Ausschnitt einer insgesamt unsicheren Zukunft zeigt. Deshalb sind Ableitungen aus solchen Einzelwerten mit Vorsicht zu genießen.

Die Sehnsucht nach Präzision sorgt in einer unsicheren Welt leicht für ein trügerisches Gefühl der Sicherheit.

Ja, oder mit anderen Worten: Die größte Gefahr ist nicht, etwas nicht exakt zu wissen – sondern zu glauben, man wüsste es genau.

Herr Lehr, vielen Dank für das Gespräch.

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