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Gesellschaft
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Altersvorsorge: Krankengeschichte in fünf Akten

- Dr. Sven Ebert

Die Rente ist nicht sicher. Zumindest, wenn es nicht zu substanziellen Reformen kommt. Über Symptome, Diagnosen – und eine mögliche Therapie. Von Dr. Sven Ebert, Senior Research Analyst Flossbach von Storch Research Institute.

- I - Der Befund: Der Patient Altersvorsorge ist krank

Bei jeder neuen Regierung in Deutschland geht es immer auch um die Rente. So auch bei den Koalitionsgesprächen von CDU/CSU und SPD. Bereits das Sondierungspapier verspricht einiges für Rentner und Rentnerinnen – und solche, die es bald werden. Große Reformen sind wohl auch in der neuen Regierung eher nicht zu erwarten. Das Renteneintrittsalter wird nicht angehoben, das Rentenniveau gesichert. Die „Rente mit 63“ bleibt – und die „Mütterrente“ wird sogar noch ausgebaut. 

Dabei hängt der „Patient Altersvorsorge“ schon heute am Tropf des Bundeshaushalts. Rund jeder vierte Euro wird in die Rente umgeleitet. 2024 waren das 116 Milliarden Euro. Und viele Deutsche sind von der gesetzlichen Rentenversicherung abhängig. Denn betriebliche und private Vorsorge liefern mit einem Anteil von 13 Prozent vergleichsweise geringe Beiträge zum Alterseinkommen, wie Grafik 1 zeigt.

Altersvorsorge: Krankengeschichte in fünf Akten -

Erfüllt die neue Regierung all ihre Versprechungen, werden die jährlichen Gesamtausgaben der Rentenkasse in fünf Jahren fast 500 Milliarden Euro betragen. Das entspricht dem Gesamtvolumen des gerade verabschiedeten, schuldenfinanzierten „Sondervermögens Infrastruktur“. Der Bundeszuschuss muss dafür von den 116 Milliarden Euro für das Jahr 2024 auf fast 150 Milliarden Euro im Jahr 2030 anwachsen. Dazu kommen schon heute weitere 11 Milliarden aus Steuern für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung hinzu. 

Und auch mit steigenden Sozialbeiträgen zur Rentenversicherung ist zu rechnen. Laut einer Projektion des Bundes aus dem letzten Sommer wird der Beitragssatz für die Rentenversicherung von heute 18,6 Prozent auf 20,6 Prozent im Jahr 2030 steigen. Dieser Zuwachs von zwei Prozentpunkten entspricht zusätzlichen Belastungen von über 30 Milliarden Euro pro Jahr für die Unternehmen und deren Beschäftigte. Es ist der verzweifelte Versuch, einen schwerkranken Patienten mit der falschen Medizin zu kurieren. 

- II - Die Krankheiten: Demografischer Wandel und schwächelnde Wirtschaft

Das Umlagesystem der gesetzlichen Rente leidet schon lange unter der Alterung unserer Gesellschaft. Standen 1960 noch fünf Menschen zwischen 20 und 64 einem Menschen über 65 Jahre gegenüber, so sind es heute nur noch halb so viele. Im Jahr 2035 werden es etwas weniger als zwei sein.

Grob gesprochen muss ein Ehepaar dann sich selbst, die eigenen Kinder und einen Rentner finanzieren. Verschärft wird das Problem durch die schwächelnde deutsche Wirtschaft. Die Produktivität stagniert seit 2018 genauso wie das reale Bruttoinlandsprodukt.

Ohne Produktivitätsgewinne und Wachstum können aber die Löhne in Deutschland langfristig nicht steigen. Damit erodiert nicht nur das wirtschaftliche Fundament der gesetzlichen Umlage für die Alterssicherung. Mit stagnierenden Löhnen und steigenden Sozialabgaben schwindet auch die Möglichkeit für den Einzelnen, vom Arbeitseinkommen privat etwas zurückzulegen. 

- III - Fehlerhafte Therapien: Politische Fehlentscheidungen verschärfen das Problem

Aufgrund mangelhafter Familienpolitik sind Kinder – insbesondere in der Mittelschicht – zum Luxus geworden. Laut Statistischem Bundesamt geben die Eltern zweier Kinder bis zu deren 18. Lebensjahr im Schnitt 275.000 Euro für diese aus.

Entlastungen gibt es wenige. So gewährt die gesetzliche Rente zum Beispiel keine Beitragsrabatte für Eltern, sichert aber auch Kinderlose ab. Kinderbetreuung ist in einigen Teilen unseres Landes knapp und teuer. Die 255 Euro Kindergeld pro Monat sind schnell aufgebraucht. Vor allem Eltern mit mittleren Einkommen werden im Vergleich zu Haushalten mit niedrigem Einkommen weniger unterstützt und anteilig am Einkommen stärker als wohlhabende Haushalte belastet.

Dem gegenüber steht eine Vielzahl mutloser Geschenke der Politik an eine alternde Wählerschaft. Großzügige Frühverrentungsregelungen gehören zwar seit der Agenda 2010 der Vergangenheit an, aber die Einführung von „Mütterrente“ und „Rente mit 63“ entschädigt die ältere Generation bis heute für diese Einschnitte.

Junge Menschen werden dagegen im Alter wohl kaum mehr in den Genuss dieser Vergünstigungen kommen können. Betriebliche und private Altersvorsorge sind überreguliert. Weit verbreitet ist die gesetzliche Anforderung, eingezahlte Beiträge zu garantieren, um die Sparer vor Verlusten zu schützen. Das erschwert jedoch die Anlage in volatile, aber renditestarke Anlageklassen wie Aktien.

In der Riester-Rente mündete dies in eine staatlich geförderte Kapitalvernichtung. Die Beitragsgarantien erzwangen in der Niedrigzinsphase der 2010er-Jahre, dass Ersparnisse in Staatsanleihen mit negativer Realverzinsung angelegt werden mussten.

- IV - Wie (be)handelt das Ausland?

Andere Länder haben besser vorgesorgt. Die betriebliche Altersvorsorge in den USA, der sogenannte 401(k)-Plan, ermöglicht steuerbegünstigte Einzahlungen bis zu 69.000 US-Dollar pro Jahr und erfordert keinerlei Kapitalgarantien.

Das hat Anlagen in Aktien erleichtert, die seit der Jahrtausendwende stark im Wert gestiegen sind. In den Niederlanden stellen die Tarifverträge sicher, dass 90 Prozent der Angestellten eine betriebliche Altersversorgung besitzen. Pensionsfonds sorgen dafür, dass ein substanzieller Teil des gesparten Gehalts in Aktien investiert ist.

In Schweden herrscht seit rund dreißig Jahren Einigkeit darüber, dass der Beitragssatz zur gesetzlichen Rente nicht über 18,5 Prozent des Einkommens steigen darf. Alles andere belaste Wirtschaft und Arbeitnehmer über Gebühr, so der gesellschaftliche Konsens.

Eine aus Steuern bezahlte Grundrente sichert das Existenzminimum für alle, die keine anderen Rentenansprüche besitzen. Zusätzliche staatliche Rentenzahlungen sind an die Beitragseinnahmen und damit an die demografische Entwicklung gekoppelt. Dazu wurden kapitalbildende Elemente eingeführt, sodass ein großer Teil der schwedischen Bevölkerung in der Altersvorsorge heute zusätzlich auf globale Aktienfonds setzt.

Kanada hat seine Anlagekultur fit gemacht, während in Deutschland nichts passierte. Die Kanadier haben seit Beginn der 1990er-Jahre in allen drei Säulen der Altersvorsorge die Aktienanlage gestärkt.

Altersvorsorge: Krankengeschichte in fünf Akten -

In Deutschland entfällt ein großer Teil des privaten Finanzvermögens dagegen nach wie vor auf Bankeinlagen und Bargeld, was die Ersparnisse verwundbar für Inflation gemacht hat. 

Und der norwegische Staat legt seine Einnahmen aus Öl- und Gasvorkommen in einem global gestreuten Multi-Asset-Portfolio an. Mit einer Aktienquote von 70 Prozent liegt die durchschnittliche Rendite seit 1998 bei durchschnittlich 6,3 Prozent pro Jahr. 

Deutsche Staatsfondsideen aus dem Wahlkampf sollte dies jedoch nicht beflügeln, da es an staatlichem Vermögen fehlt. Ein schuldenfinanzierter staatlicher Rentenfonds könnte zum politischen Missbrauch der Einlagen verleiten und ergäbe vermutlich Renditen, die bestenfalls nur knapp oberhalb der Inflationsrate lägen. 

- V - Wirksame Therapien: Handlungsempfehlungen für Deutschland 

In Deutschland hätten wir besser gestern als heute eine Diskussion zur Zukunft unserer Altersvorsorge geführt. Insbesondere gilt es sich der Illusion zu stellen, dass das gesetzliche Umlageverfahren in seiner bestehenden Form zukunftsfähig ist. 

Vielmehr muss das Rentenalter steigen, bestenfalls auf 70 Jahre. Die „Rente mit 63“ und die „Mütterrente“ müssten zurückgenommen werden. Geringe Renten sollten moderat angehoben werden. Hohe Renten und Pensionen gilt es einzufrieren. Mit diesen Anpassungen würde sich die gesetzliche Rente in Richtung einer bezahlbaren Basisabsicherung im Alter bewegen.

Darüber hinaus sollte jeder Einzelne künftig individuell mehr vorsorgen. Um die betriebliche Altersvorsorge für Sparer attraktiver zu machen, könnte sie grundsätzlich von Kapitalgarantien befreit werden. Dies würde höhere Aktienquoten und folglich eine bessere Absicherung gegen Inflation möglich machen. Beitragsgarantien, die vor kurzfristigen Kursrücksetzern schützen, mindern im Kontext der langfristig angelegten betrieblichen Vorsorge in einem inflationären Umfeld die Rendite. 

Als Alternative zur Riester-Rente wäre das Altersvorsorgedepot des ehemaligen Finanzministers Christian Lindner denkbar. Internationales Aktiensparen würde ins gesellschaftliche Bewusstsein rücken und noch leichter zugänglich für jedermann. Staatliche Zulagen für junge Menschen mit Kindern könnten helfen, die Demografie zu verbessern.

Und schließlich braucht Deutschland wieder eine starke Wirtschaft, denn ohne diese kann weder mehr umgelegt noch mehr gespart werden. Dafür braucht es eine auf marktwirtschaftliche Prinzipien ausgerichtete Wirtschaftspolitik, also mutige Reformen.

Dazu gehört auch eine Wende in der Finanzpolitik. Die künftige Regierung muss Prioritäten setzen. Die Modernisierung physischer und digitaler Infrastruktur und ein erstklassiges Bildungssystem sollten Vorrang haben. Ausufernde Rentenleistungen, fortwährend steigende Schuldenstände und Inflation sollten dagegen der Vergangenheit angehören. 

So würde die junge Generation die Möglichkeit zur beruflichen Entwicklung und finanziellen Spielraum für die eigene Altersvorsorge erhalten, statt in einem maroden Land mit hohen Steuer- und Sozialabgaben belastet zu sein.

Ausblick:

Nach Franz Münteferings großem Wurf aus dem Jahr 2007 – der Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre – ist in der Altersvorsorge in Deutschland wenig Hilfreiches passiert. 

Einige der Vorschläge des Flossbach von Storch Research Instituts finden sich so (oder so ähnlich) auch in einem Gutachten der Wirtschaftsweisen, aber in den Parteiprogrammen und gesellschaftlichen Diskussionen vermissen wir sie. Noch können wir die Dinge geraderücken. Wenn nicht uns selbst, so schulden wir es der jungen Generation, jetzt entschlossen und mutig zu handeln.

(Foto-Credit: Marcelo Leal / Unsplash)

Mehr zum Thema:

Essay von Philipp Vorndran: Die Rente ist sicher. Früher war dieser Wahlkampfslogan der „Renner“. Heute wirkt er aus der Zeit gefallen. Die Rente ist nicht sicher. Den meisten dürfte das mittlerweile klar sein. Ohne Reform des Rentensystems sieht es düster aus. Höchste Zeit, etwas dagegen zu unternehmen.

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