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„Wie eine Abschalteinrichtung“

- Prof. Dr. Thomas Mayer

Die EZB hat eine neue „Waffe“. Thomas Mayer, Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute, erklärt, was davon zu halten ist.

Herr Mayer, als Begleitmaßnahme zu der ersten Zinserhöhung nach elf Jahren hat die Europäische Zentralbank (EZB) unlängst das Transmission Protection Instrument, kurz TPI eingeführt. Es wird als „Antifragmentierungswaffe“ verkauft, die verhindern soll, dass die Zinsdifferenz zwischen Euro-Staatsanleihen zu hoch wird. Was halten Sie davon?

Thomas Mayer: Das TPI hat eine gewisse Ähnlichkeit mit der Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung bei Verbrennungsmotoren, die etwa bei bestimmten Lufttemperaturen angesprungen ist. Beim TPI werden die Marktkräfte von der EZB durch Intervention abgeschaltet, wenn die Zinsdifferenz bei den zehnjährigen Staatsanleihen hoch verschuldeter Euroländer zu entsprechenden Bundesanleihen eine geheime Grenze überschreitet.

Kann das Programm funktionieren?

Technisch bin ich mir da nicht so sicher.

Wieso?

Dieses Instrument erinnert mich an eine andere Vorrichtung, die kläglich versagt hat: an den Wechselkursmechanismus des Europäischen Währungssystems (ERM), der 1979 ins Leben gerufen wurde. Vor der Einführung des Euro wurden dabei die Wechselkurse von strukturell verschiedenen EU-Ländern aneinandergekettet.

Sie dürften damals nur in einer engen Bandbreite gegeneinander schwanken.

Es waren im Allgemeinen 2,25 Prozent und für die italienische Lira 6 Prozent nach oben und nach unten. Andernfalls war die entsprechende Notenbank verpflichtet, einzugreifen. Das hat wiederholt zu Krisen geführt, weil Spekulanten aus ihrer Sicht überwertete Währungen auf Termin gegen die D-Mark verkauft haben. Dann versuchten die betroffenen Zentralbanken ihre unter Druck stehenden Währungen mit zum Teil extremen Zinserhöhungen zu verteidigen.

Und das ist nicht gut gegangen?

Die hohen Zinsen waren Gift für die Wirtschaft und konnten nicht lange durchgehalten werden. Am 16. September 1992, dem „schwarzen Mittwoch“, flog zunächst das britische Pfund nach einer Spekulation aus dem Wechselkursverbund, einen Tag später folgte die italienische Lira. Nach einigen weiteren Schlachten wurde der ERM am 1. August 1993 faktisch außer Kraft gesetzt.

Im Unterschied zum ERM ist zu den Bedingungen für das TPI ja wenig bekannt; vor allem gibt es hier keine klaren Interventionsgrenzen. Ist das ein Vorteil?

Es ist immerhin klar, dass die „Spreads“, also die Zinsabstände zu Bundesanleihen, nicht zu groß werden dürfen. Seit 2018 scheint die EZB zum Beispiel den italienischen „Spread“ bei unter drei Prozent halten zu wollen. Spekulanten können also damit rechnen, dass ein Verkauf italienischer Anleihen gegen Bundesanleihen auf Termin auf Jahresbasis nicht mehr als drei Prozent kostet.

Aber wann wird die EZB im Rahmen des TPI Anleihen kaufen?

Die Aktivierung des TPI ist an Bedingungen geknüpft. Es kann eigentlich nur aktiviert werden, wenn es keine Ungleichgewichte und Verwerfungen an den Märkten gibt.

Wenn der Markt funktioniert, dann muss doch gar keiner eingreifen.

So ist es. Dann wäre es sehr verwunderlich, wenn der Markt den „Spread“ ausweiten würde. Marktteilnehmer müssten sich dann komplett irrational verhalten.

Und wozu dann das ganze Programm?

Wenn Marktteilnehmer Anleihen aus guten Gründen verkaufen, kann die EZB das TPI aktivieren, wenn sie die dafür eigens aufgestellten Bedingungen missachtet. Angesichts der gezeigten „Flexibilität“ bei der Auslegung ihres Mandats, darf man wohl davon ausgehen, dass die EZB davor nicht zurückschrecken wird, sobald dies politisch opportun erscheint.

Das ERM ist ja seinerzeit an seiner Aufgabe gescheitert. Glauben Sie, das TPI könnte das Ziel – die Differenzen zwischen den Renditen der Euro-Anleihen nicht zu groß werden zu lassen - erreichen?

Wie der ERM dürfte auch das TPI an seine Grenzen kommen, wenn die Flucht aus Risikoanleihen massiv wird. So könnten zum Beispiel anfänglich spekulative Terminverkäufe italienischer Staatsanleihen eine Panik unter den Haltern dieser Anleihen auslösen. Wenn die Verkäufer dann die Verkaufserlöse nach Deutschland schaffen, explodieren die Salden des Interbankzahlungssystems Target2 .

Können Sie das genauer erläutern? Wieso sollten Verkäufer Verkaufserlöse nach Deutschland schaffen wollen? Wir haben doch den Euro.

Stimmt, aber da die Höhe der Rendite auf zehnjährige Staatsanleihen das mit italienischen Papieren verbundene Risiko der Anleger nicht kompensiert, nutzen sie das Anleihekaufprogramm der EZB, um ein italienisches Kreditrisiko gegen ein deutsches zu tauschen. Schon heute steht Italien in diesem System mit rund 600 Milliarden Euro in der Kreide, während Deutschland Forderungen in Höhe von 1,2 Billionen Euro hat. Von den rund 2,8 Billionen italienischen Staatsschulden liegen rund 740 Milliarden auf den Bilanzen der Banca d’ Italia und EZB. Müsste die Banca d’ Italia nochmal so viel aufkaufen, könnten die Targetverbindlichkeiten Italiens weit über die Billionenschwelle steigen und die Forderungen Deutschlands zwei Billionen überschreiten.

Werden die Risiken von Staaten, die wegen Überschuldung in Schwierigkeiten geraten könnten, weil sie die höheren Zinsen nicht mehr bedienen können, so nicht einfach  auf die einigermaßen solide wirtschaftende Staaten umverteilt?  

Grundsätzlich müsste für jeden im TPI für ein überschuldetes Euroland neu geschaffenen Euro anderen Kreditnehmern mindestens einen Euro entzogen werden. Dadurch würde sich nicht nur die Qualität der konsolidierten Bilanz des Eurobankensystems verschlechtern, sondern auch das Wirtschaftswachstum abnehmen, da Kredite für produktive Investitionen rarer würden. Schlussendlich hilft das TPI allein nicht einmal den überschuldeten Euroländern.

Wieso?

Für deren Finanzierungskosten sind nicht die „Spreads“ über den deutschen Zinsen, sondern die absolute Höhe der Zinsen maßgeblich. Folglich wird die EZB alle Zinsen weiterhin niedrig halten wollen, auch wenn dadurch die Inflation außer Kontrolle gerät.

Für Länder wie Deutschland könnte das TPI also teuer kommen?

In einer TPI-Krise würde Deutschland in weitere Target-Kredite ohne jede Begrenzung gezwungen und der Euroraum mit noch mehr Geld geflutet. Der Euro würde auf den Devisenmärkten noch weiter abwerten und die Inflation hoch bleiben. Es wäre dann an der deutschen Regierung, die Reißleine zu ziehen. Doch das würde sich die Berliner Ampel wohl kaum trauen.

Herr Mayer, vielen Dank für das Gespräch!

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