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Gesellschaft
4 Minuten

Mehr Mut

- Philipp Vorndran

Europa droht langfristig zwischen den Großmächten USA und China/Russland aufgerieben zu werden. Mit dieser Perspektive sollte es sich nicht abfinden.

Kanada, der Panamakanal oder Grönland. US-Präsident Donald Trump möchte sich perspektivisch „vergrössern“, mit welchen Mitteln auch immer. Das hat er zumindest über Grönland gesagt, das seit 1721 zu Dänemark gehört. Wir Europäer sind geschockt, ja geradezu abgestossen ob der wiederkehrenden Aussagen und beiläufigen Andeutungen aus dem Weissen Haus; gleichzeitig sind wir wegen des hohen Unterhaltungsfaktors amüsiert, irgendwie.

Alles Trump’- sches Gehabe und Teil seiner schrillen Show im Weissen Haus? Wir werden sehen. Ich habe mich in den vergangenen Wochen und Monaten jedenfalls häufiger den Satz sagen gehört, dass man zwar nicht jedes Wort aus dem Munde des US-Präsidenten auf die Goldwaage legen, ihn aber tunlichst ernst nehmen müsse.

Es geht um den Weltmachtstatus

Denn anders als wir chronisch naiven Europäer denken US-Amerikaner geostrategisch. Ihnen geht es nicht zuletzt um Einflusssphären, um Rohstoffe und Ressourcen, den Zugriff darauf. Die braucht es, um den Status als führende Weltmacht gegenüber China dauerhaft zu behaupten. Dessen Bündnis mit Russland und seinen gewaltigen Bodenschätzen setzt die Amerikaner zunehmend unter Druck. Insofern hätte Grönland aus ihrer Sicht einiges zu bieten. Das sah und sieht in den USA nicht nur Trump so. Nur posaunt er es in die Welt hinaus ...

Der US-Führungsanspruch, dessen Zementierung, gilt nicht erst seit Donald Trump, sondern  galt auch für jeden US-Präsidenten zuvor; Joe Biden sei an dieser Stelle ausdrücklich genannt. Der wirkte auf uns Europäer zwar stets wie der freundlich dreinblickende und friedfertige Onkel von nebenan, in der Sache aber war auch er knallhart. Denken wir nur an den „Inflation Reduction Act“ – zulasten der Europäer.

Auch Biden war ein Machtpolitiker, wenngleich im Ausdruck gemässigter. Wo Trump heute poltert und pöbelt, hat Biden in den vergangenen Jahren gelächelt und gewunken. Geschenke hat er trotzdem nicht verteilt.

Wenn Biden etwa gewollt hätte, dass die Ukraine sich den Angriffen der Russen nicht nur erwehrt, sondern die Angreifer erfolgreich zurückdrängt, wäre er bei den Hilfen nicht so zögerlich gewesen. Biden hat den freundlichen Helfer in der Not gegeben, den gütigen Beschützer, ohne sich dabei zu verausgaben. Ihm ging es lediglich darum, den Preis für Wladimir Putin in die Höhe zu treiben, nicht aber um den Sieg der Ukraine.

Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Ich hätte mir definitiv jemand anderen im Weissen Haus gewünscht als Donald Trump. Jemanden, dessen Verantwortung gegenüber dem Amt und dem Land grösser ist als das eigene Ego. Es könnte aber gut sein, dass gerade Trump, sein Narzissmus und das gänzlich undiplomatische Auftreten ein Segen sind für Europa und die Europäer.

Späte Erkenntnis

Womöglich hat es ein zweites Mal den schrillen Immobilien-Investor gebraucht, und eben keinen Teflon-Diplomaten, der den Europäern sagt, dass sie doch endlich erwachsen werden müssten. Sich nicht allein auf den grossen Bruder, die USA, verlassen sollten. Mehrere Generationen von US-Delegationen hatten zuvor freundlichst versucht, die Europäer zu mehr Eigenständigkeit „zu ermutigen“.

Der Auftritt von JD Vance, Trumps Vizepräsident, auf der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz war dagegen wenig freundlich. Es war ein Tritt vor das Schienbein der Europäer. Aber: Der Unterschied zu den Reden seiner Vorgänger war weniger der Inhalt als vielmehr die mitunter aggressive Form der Darbietung. Die Forderung der Amerikaner nach mehr europäischem Engagement im Rahmen der Nato ist in Wahrheit fast so alt wie das Verteidigungsbündnis selbst.

JD Vance befindet sich also in bester Gesellschaft. In der Vergangenheit hatten sich die Europäer die Ermahnungen, mehr in die eigene Sicherheit zu investieren, stets brav angehört und zu allem pflichtschuldig genickt – daran gehalten haben sie sich trotzdem nicht. Warum auch? Im Zweifel würde der grosse Bruder schon auf sie achtgeben – und sich notfalls auch für sie prügeln. Dafür gibt es doch schliesslich die Nato, oder etwa nicht? Ausserdem hatte es seit dem Ende des Kalten Krieges niemanden gegeben, der die Europäer ernsthaft bedroht hätte.

Die Trump-Administration wird sich aber nicht für Europa „prügeln“ – oder falls doch, einen sehr hohen Preis dafür verlangen, einen lukrativen Deal. Auch weil der grosse Bruder gemerkt hat, dass er in die Jahre kommt. Er kann und will nicht mehr überall Sherriff sein. Er muss mit seinen Kräften haushalten und sich deshalb auf das oder den konzentrieren, der ihm langfristig am gefährlichsten werden kann – auf China.

Was dagegen in Europa passiert, ist Sache der Europäer, Punkt. So sieht das Trump. Er spricht stets davon, dass zwischen Europa und den USA ein riesiger Ozean sei. Und weil Trump sich verhält, wie er sich verhält, dürfte auch dem letzten Europäer klargeworden sein, dass Schluss ist mit dem Herumschlawinern und dem Auf-Zeit-Spielen.  

Ja, die Einsicht kommt spät; als Optimist würde ich sagen, sie kommt womöglich gerade noch rechtzeitig. Europa braucht aber Mut – Mut, Entscheidungen zu treffen, vor denen es sich eine gefühlte Ewigkeit gedrückt hat. Europa muss weiter und schneller zusammenwachsen, Deutschland mehr Verantwortung übernehmen, zusammen mit Frankreich. Grossbritannien muss – trotz Brexit – eng eingebunden werden. Die Zeit der kleinkarierten Streitereien – Schluss damit!

Mehr Demokratie wagen

Europa muss nahbar sein für seine Bürger und mehr Demokratie wagen, indem es die Bevölkerung stärker einbindet, etwa über Volksabstimmungen. Deshalb braucht es, wie ich finde, auch einen direkt gewählten EU-Präsidenten. Letztlich sollte sich jedes Land fragen, wie weit es bereit ist zu gehen, wie europäisch es ist oder sein möchte ... Notfalls müssen diejenigen Staaten gemeinsam vorangehen, deren Wille zu einem geeinten Europa am weitesten trägt. Ein Europa der zwei Geschwindigkeiten ist besser als keines!

Wir müssen massiv in die eigene Verteidigung investieren. Europa ist ein Friedensprojekt – und das soll es auch bleiben. Europa darf seine Geschichte, seine Werte niemals vergessen oder verramschen; wir müssen aber runter von unserem hohen Ross. Moral wird anderswo auf der Welt mitunter anders interpretiert. Das gilt es anzuerkennen – und sich darauf einzustellen. Friede kann langfristig nur gesichert werden, wenn Europa ernst genommen wird in der Welt, statt belächelt; weil es stark ist – so stark, dass niemand auch nur im Entferntesten auf die Idee kommt, die Verteidigungsfähigkeit zu testen.

Die finanziellen Mittel dafür fallen gewiss nicht vom Himmel. Und bevor wir ausschliesslich darüber sprechen, wie sich ebendiese Mittel über gemeinsame Schulden aufbringen lassen, sollten wir auch und nicht zuletzt darüber diskutieren, wie wir die ökonomische Wettbewerbsfähigkeit des alten Kontinents stärken können, um auf diese Weise die finanziellen Möglichkeiten zu erweitern.

Europa ist arm an Rohstoffen. Umso mehr braucht es Erfindergeist und technologischen Fortschritt. Die gedeihen aber nur dort, wo sie nicht durch unzählige Regeln und Vorschriften erstickt werden. Europa sei ein bürokratisches Monster, so die weit verbreitete Kritik. Ich kann und mag sie nicht entkräften.

Wo Bürokratie wuchert, kann nichts (Neues) wachsen. Stattdessen versuchen Bürokraten krampfhaft, Bestehendes zu bewahren, mit dem Ergebnis, irgendwann nur noch den Missstand zu verwalten. Europa kann sich das dauerhaft schlicht nicht leisten! Weniger ist mehr, das gilt auch und nicht zuletzt für die Bürokratie. Ein wenig Disruption darf und muss dagegen erlaubt sein.

Anreize für Investoren

Europa braucht nicht zuletzt einen grossen gemeinsamen Kapitalmarkt. Junge Unternehmen, technologische Innovationen gibt es nicht ohne Investitionen. Unternehmertum wächst vor allem dort, wo es auch finanzielle Unterstützung erfährt. Die USA sind uns diesbezüglich meilenweit enteilt.

Zu guter Letzt braucht es mehr Engagement von uns allen – uns Europäern. Von Spaniern, Belgiern, Polen, Franzosen, Italienern, Österreichern, Deutschen. Von jedem Einzelnen. Europa ist nicht zuletzt, was wir daraus machen. Was wir darüber denken. Wie wir es verteidigen, in jeder Beziehung.

FDP-Politiker Klaus Kinkel, der frühere, leider 2019 verstorbene Bundesaussenminister, hat einmal vor der UN-Generalversammlung gesagt, dass Europa nicht aus Verträgen erwachse, sondern aus den Herzen seiner Bürger – oder gar nicht. Wir sollten selbstbewusst für unsere Interessen einstehen, so wie Amerikaner und Chinesen das auch tun. Wir sind nicht deren Spielball!

Ich habe neulich in einer der vielen Fernseh-Talkshows eine Frage zu den militärischen Fähigkeiten gehört, die als Aussage verstanden werden wollte – und die ich sehr treffend fand, wobei ich sie nicht allein auf das Militärische reduzieren würde: Warum in aller Welt sollten mehr als 500 Millionen Europäer sich von 340 Millionen Amerikanern vor 140 Millionen Russen beschützen lassen?!

Dieser Text ist aus der neuen Ausgabe unserer POSITION (02/2025), die Sie hier kostenfrei abonnieren können.

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